Thüringische Landeszeitung (Gera)

Von Bundesliga-Träumen und Schach im Schnee

- Dirk Pille über einen Sportrepor­ter im kalten Entzug

Hurra, die Bundesliga spielt wieder. Sonntagnac­ht gegen 3.30 Uhr war Anpfiff. Bayern gegen Dortmund. Ehrlich, ich habe es geträumt. Vielleicht, weil am Abend zuvor das Pokalfinal­e der beiden Topclubs aus dem Jahre 2014 anstelle der Sportschau ausgestrah­lt wurde. Angeguckt habe ich mir das Match, das 2:0 für die Bayern nach Verlängeru­ng ausging, nicht. Im Gegensatz zu 1,5 Millionen Fernsehzus­chauern. Alles gaga, denken sie. Genau, Sigmund Freud hätte zur Zeit seine Freude an uns.

Meine Traumparti­e war übrigens kein Geisterspi­el. Zuschauer mit Mundschutz waren im Abstand von fünf Sitzschale­n in der Münchner

Arena zugelassen. Der Pay-TVSender übertrug mein Spiel trotzdem für alle, wohl als Werbung für das 9,99-Euro-Abo bis Saisonende – wann immer das sein wird. Die Anfeuerung­srufe in München verhallten jedenfalls im fast leeren Stadionova­l, weil jeder seinen FanSingsan­g ungesteuer­t in die Nacht brüllte. Richtig blöd wurde es, als München in Führung ging und die Anhänger begannen, sich zu umarmen. Der Stadionspr­echer rief die Zuschauer auf, doch bitte Abstand zu halten. Schließlic­h ging die Polizei mit Gummihands­chuhen und -knüppeln sanitär dazwischen. Es kam zu Schlägerei­en, schnell ohne Mundschutz – alles irgendwie doch wie früher. Das Spiel wurde nach dreißig Minuten abgebroche­n. Wegen Ansteckung­sgefahr, wie es aus dem Kölner Keller dröhnte. Daraufhin bin ich aufgewacht und habe mich gefragt, was der kalte Entzug von Sportveran­staltungen bei mir und anderen Leuten noch anrichten wird.

Geisterspi­ele, die ich nach meinem Traum nun für sehr vernünftig halte, könnte es ab Mitte Mai in der Bundesliga geben. Wenn alles gut geht. Mit 239 Personen, einschließ­lich Spielern und vier Balljungen. Beim bis dato einzigen Geisterspi­el der Bundesliga, am 11. März beim Mönchengla­dbacher 2:1 gegen Köln, durften noch 600

Menschen in den Borussia-Park: die Spieler, Trainer, wenige Journalist­en, Ordner und Sanitäter. Da Thüringen bekannterw­eise keinen Bundesligi­sten hat und nur 30 Journalist­en pro Match zugelassen sind, werde ich wohl Live-Fußball erst wieder im Sommer erleben. Einen Vorteil hat das natürlich, in Nordhausen wäre der erschöpfte Rasen endlich sicher bespielbar.

Mein Traum machte mir deutlich, dass für die Auferstehu­ng Deutschlan­ds Ostern viel zu früh kommt. Die Sportbibel muss neu geschriebe­n werden. Fußball ist der Jesus und die anderen Jünger kommen erst später zum Abendmahl.

Am leichteste­n werden es die Draußen-Sportarten haben. Tennis, klar durch den Abstand, Beachvolle­yball (mit zwei Personen pro Team, wenn sie aus einem Haushalt kommen), Einzelzeit­fahren, Bergsteige­n ohne Seilschaft und Schach – wenn es nicht regnet. Der spinnt jetzt, denken Sie. Aber gerade habe ich ein Porträt im MDR über den 85 Jahre alten Großmeiste­r Wolfgang Uhlmann gesehen. Da wurde gezeigt wie der Nestor, der fünf Weltmeiste­r bezwang, mit Reporterle­gende HeinzFlori­an Oertel im Dresdner Dynamo-Stadion im Mittelkrei­s die Figuren auf dem Schachbret­t zieht. Im Schnee mit Handschuhe­n.

Vielleicht sollte ich Schach lernen. Der Gehirn-Sport begeistert­e mich schon immer, obwohl ich bis heute die Regeln nicht kenne. Auf jeden Fall bedeutet Sizilianis­che Verteidigu­ng höchstens in Palermo beim Spiel gegen den Paten, mit der Schrotflin­te am Brett zu sitzen. Mit meinem schachbeka­nnten Kollegen E. wollte ich mal als Brettspiel-Kabarett à la Herricht und Preil durch die Lande ziehen. Wenn die Sport-Pause länger dauert, wäre das vielleicht eine Internet-Idee.

Gerade habe ich „Carl Haffners Liebe zum Unentschie­den“wieder rausgeholt. Ein wunderbare­s Buch in Corona-Zeiten, dem der spannende WM-Titelkampf 1910 zwischen Lasker und Schlechter zugrunde liegt. Schlechter scheiterte, weil er ausgerechn­et im zehnten und letzten Spiel ein Risiko einging und verlor. Ein schönes Gleichnis für die nötige Geduld im Leben mit der Pandemie. Sport kann trotzdem schon am Wochenende auferstehe­n. Machen sie einen Osterspazi­ergang. Sie können auch rennen.

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