Thüringische Landeszeitung (Gera)
Oft unhaltbare Arbeitsbedingungen
Personalmangel bei den Lokführern hat Ursachen – In Deutschland sind Schichten bis 14 Stunden vorgesehen
Der Kommentar zum Lokführermangel von Nils R. Kawig hat einige Reaktionen hervorgerufen. Marius Wessel schreibt: Sehr geehrter Herr Kawig, Ihr kurzer Kommentar zur Personalsituation schildert sehr gut den aktuellen Stand der Mitarbeitergewinnung bei deutschen Eisenbahnunternehmen.
Hingegen gar nicht beleuchtet ist die Schwere generell Personal zu finden; die Arbeitsbedingungen sind einfach oft nicht haltbar und der Lohn dafür zu niedrig. In Deutschland sind Schichten bis 14 Stunden, dabei gerade im Güterverkehr, und bis zu drei Wochenenden in Folge ohne frei die Regel. Dazu hundertfache Überstunden.
Ich selber bin ausgewandert und arbeite als Lokführer in Dänemark – bei der Deutschen Bahn. Unser Tarifvertrag ist so stark, dagegen wirkt die GDL wie ein Kindergarten. Maximal zwei Nachtschichten in Folge und maximal neun im Monat, Nachtzuschläge ab 17 Uhr und ein Bruttolohn von mehr als 5000€ sind nur ausgewählte Punkte aus einem breiten Spektrum, wobei die Lebenserhaltungskosten nur 20 bis 30 Prozent höher sind.
Ist hier in Dänemark alles besser bei der Eisenbahn? Nein, natürlich nicht, aber das liegt nicht an uns Lokführern. Wir kommen motiviert zur Arbeit, fahren Extraschichten, fühlen uns wertgeschätzt. Das fehlt leider noch in Deutschland. Denn Motivation und Gesundheit sind bei deutschen Firmen nicht gefragt. David Conrad Fürstenberg schreibt zu diesem Thema: Sehr geehrter Herr Kawig, Mit Interesse habe ich ihren Leitartikel in der TLZ gelesen. Dazu möchte ich Ihnen ein paar Gedanken und Fakten nachreichen, die sie so auch gern als Leserbrief drucken dürfen.
Kurz vorweg: Ich bin seit 1996 im Unternehmen DB tätig, seit 1998 als Lokführer und nun als Ausbilder für Tf bei der DB.
In der Tat, wir haben ein großes Problem im Bereich der Personale, die Züge fahren. Aber nicht nur dort. Auch Fahrdienstleiter, Werkstattpersonale und viele mehr fehlen.
Sie schreiben für das Klientel der Lokführer, dass es Kopfprämien und Handgeld gibt. Alles richtig, wenn auch Ausdruck purer Verzweiflung. Viel wichtiger hingegen wäre zu erwähnen, warum das alles so ist und wie man dem entgegenwirken könnte. Früher mag der Beruf des Lokführers ein Traumberuf gewesen sein. Spätestens aber seit 2007, als die Lokführer zum ersten mal richtig groß für ihre Belange gekämpft haben und dafür von den Medien in der Luft zerrissen wurden, hat sich dieses Bild geändert. In den Folgejahren und den wiederkehrenden Tarifauseinandersetzungen taten die Medien und auch die Konzerne um die DB und Co ihr übriges, um das Berufsbild Lokführer weiter abzuwerten. Wir wurden öffentlich als Terroristen, Wegelagerer, Geiselnehmer und vieles mehr betitelt. Man würdigte die Verantwortung für mehrere hundert Menschen und millionen Euro teure Güter herunter, als würden wir mit Puppen oder Matchbox-Autos spielen. Als Krönung stellten sich Vorstände der DB hin und kündigten öffentlich an, ab 2022 ohne Lokführer auskommen zu wollen.
Man war bis vor ein paar Jahren in vielen Personalabteilungen, gerade im Bereich der ehemaligen DR noch der Meinung, dass niemand als Lokführer arbeiten müsste und wenn ihm was nicht passt, ja gehen könnte. Schließlich würden vor den Toren Heerscharen von arbeitswilligen Neulokführern warten. Auch daran zeigte sich, was man vom Beruf des Lokführers hielt.
Wem möchte man nach Jahren der Fehlinformationen und Negativdarstellungen eines einst so stolzen Berufes heute noch verübeln, wenn er sich etwas anderes sucht? Hinzu kommt der demografische Wandel. Um 1990 waren fast 60 Prozent der Fahrpersonale zwischen 30 und 35. Man kann sich also ausrechnen, wie alt die Kollegen heute etwa sind und somit den Fahrdienst in den verdienten Ruhestand verlassen. Wenn man zusätzlich noch die gesundheitsbedingten Ausfälle betrachtet, können Sie sich eins und eins zusammenzählen, warum wir heute diesen horrenden Bedarf an Lokführern haben. Warum also will kaum jemand diesen Beruf ausüben? Aus meiner Sicht sind das mehrere Punkte:
1. Schichtdienst mit wenig Freizeit, derzeit auf das Minimum reduziert, was eine familienfreundliche Freizeitgestaltung kaum noch möglich macht.
2. Das Gehalt und die Zulagenstruktur, die der Verantwortung und der Leistung absolut nicht gerecht werden, und zu guter Letzt die fehlende Wertschätzung sowie die öffentliche Sicht auf den Beruf Lokführer. Zulagen sind unter anderem: 1,38 Euro für eine Nachstunde, knappe 5 Euro für eine Sonntagsstunde... Nachzulesen in den Tarifwerken der Bahngewerkschaften. All dies spricht sich auch im Familien- und Freundeskreis der Kollegen herum.
Ein Lokführer, der zum Teil nur jedes dritte Wochenende frei hat, der mit einem Wechseldienst-Rhythmus, bei dem jeder Arbeitsmediziner schreiend davon läuft, klarkommen muss, der dafür mit Zulagen entlohnt wird, bei denen ihn jeder Arbeitnehmer in der Wirtschaft belächelt, ist kein Motivationsträger für den Beruf. Er ist schon gar kein zufriedener Familienvater oder Opa – und das wiederum wird sich im Berufsleben widerspiegeln. Da nutzen dann auch keine Wechselprämien etwas. Grundlegend muss sich am Gehalt und an den Schicht- und Wechseldienstzulagen etwas tun – und auch der Schicht-Symmetrie. Die Dienste sind bis auf die letzten Minuten der gesetzlich und tarifvertraglichen Arbeitszeitregelungen ausgereizt, die Übergänge zwischen den Schichten reichen oft nur noch, um nach Hause zu fahren, zu essen, seinen familiären Pflichten nachzukommen und sich aufs Ohr zu hauen. An den wenigen Ruhetagen fragt der Disponent noch teils förmlich bettelnd, ob man eine Schicht übernehmen könnte. Bislang hat das auch immer wieder funktioniert. Irgendwann sind die Ressourcen aufgebraucht und man ist schlichtweg nicht mehr in der Lage seinen Dienst verantwortungsvoll auszuüben. Solange sich an der Personalsituation nichts ändert, wird sich dieser Teufelskreis schneller und schneller drehen – solange, bis das System kollabiert und Züge im großen Stil ausfallen. Dann hilft auch kein Schönrechnen von Statistiken mehr über die Probleme hinweg...
Um junge Kolleginnen und Kollegen vom Beruf Lokführer und generell des Eisenbahners zu überzeugen, muss mehr getan werden als bunte Annoncen in Funk und Fernsehen zu schalten... Wechselprämien, um sich untereinander die Kollegen abzuwerben, bringen langfristig nichts. Dieses Geld sollte lieber in eine leistungs- und verantwortungsgerechte Entlohnung sowie Dienstplangestaltung investiert werden, damit der Beruf für junge Leute, die sonst lieber studieren gehen oder sich für besser bezahlte Jobs entscheiden, interessant wird. Nur dadurch gewinnt man in Konkurrenz zur freien Wirtschaft mehr und vor allem qualifiziertes Personal und stellt sich zukunftsfähig auf.
„Wem möchte man nach Jahren der Fehlinformationen und Negativdarstellungen eines einst so stolzen Berufes heute noch verübeln, wenn er sich etwas anderes sucht?“David Conrad Fürstenberg, Ausbilder bei der DB