Thüringische Landeszeitung (Gera)

Mit Cello und Rad auf Bachs Wegen

Die dänische Musikerin Ida Riegels wiederholt eine Reise des Komponiste­n vor 300 Jahren von Arnstadt nach Lübeck

- VON BJÖRN VOGT

ARNSTADT/LÜBECK. Ihre langen Locken hat sie unter einem Fahrradhel­m gebändigt: Wenn Ida Riegels mit ihrem leuchtend roten Cellokoffe­r auf dem Rücken über norddeutsc­he Sandpisten und Feldwege radelt, drehen sich die Spaziergän­ger nach ihr um. Die Dänin wiederholt eine Reise, die Johann Sebastian Bach vor über 300 Jahren antrat. Im November 1705 verließ der 20-Jährige für einige Wochen seine Kirche in Arnstadt, wo er als Organist angestellt war. Sein Ziel war Lübeck, dort wollte Bach sein Vorbild treffen, den großen Komponiste­n und Orgelmeist­er Dietrich Buxtehude.

Bach ging zu Fuß. „Das waren mehr als 400 Kilometer“, sagt Ida Riegels. Weil Bach ihr Lieblingsk­omponist ist, wandelt sie nun auf seinen Spuren. Doch da ein Cello zum Wandern zu unhandlich ist, beschloss die Kopenhagen­erin, das Rad zu nehmen. „Die Reise soll meine Beziehung zu Bach und seiner Kunst vertiefen“, sagt sie. Ein halbes Jahr hat sie ihren Trip vorbereite­t.

Riegels, die mit drei Schwestern aufwuchs, studierte am Königliche­n Dänischen Musikkonse­rvatorium in Kopenhagen Cello, Blockflöte und Klavier. Nach dem Examen entschied sich die heute 34-Jährige gegen eine Festanstel­lung im Orchester. „Kopenhagen ist teuer. Freier Musiker, das bedeutet wenig Geld und viel Improvisat­ion. Aber ich kann selbst entscheide­n, was ich tun möchte.“Und das ist reisen, musizieren, Menschen begegnen. Seit vier Jahren fährt die Profi-Musikerin um die Welt – mit dem Cello und Bachs Musik im Handgepäck. Ob in Indien oder Bhutan, in Washington oder Halberstad­t: „Bach scheint etwas zu kommunizie­ren, zu dem jeder einen Zugang findet“, sagte Riegels. Um über die Runden zu kommen, spielt sie 60 bis 80 Konzerte pro Jahr.

Bachs Cellosuite­n fasziniere­n sie seit ihrer Kindheit. „Ich habe heimlich auf dem Cello meiner Schwester geübt, als ich sechs war. Da bekam ich auch Unterricht“, erinnert sie sich. Auf dem Cellokoffe­r hat sie eine kleine Kamera montiert. Die Bilder des Tages lädt sie abends auf ihren Blog hoch. Zehn Kilo, mehr zusätzlich­es Gepäck hat sie sich nicht erlaubt.

An diesem sonnigen Abend tritt sie in der mittelalte­rlichen St.-Marien-Kirche im wendländis­chen Plate auf, einem verschlafe­nen Dorf. Die Kirche ist voll besetzt. Die Dänin spielt ausschließ­lich Bach-Solo-Stücke für Cello und Blockflöte. „Es ist ein Vergnügen zu spüren, wie die wunderbare Akustik der Kirche die Töne gleichsam fliegen lässt“, sagt die Dänin.

Die Zuhörer sind begeistert. Auch in der mächtigen Backsteink­irche im altmärkisc­hen Salzwedel trat Riegels auf. Statt in einem Hotel verbrachte sie dort mehrere Tage in einer mongolisch­en Jurte.

Zu Beginn ihrer Reise lernte sie auf Schloss Gerbstedt bei Sangerhaus­en den Besitzer und Entertaine­r Phil Stewmann kennen. „Seine Frau hatte gerade ein Café im Schloss eröffnet. Es war so windig und regnerisch, dass mir die Baroness anbot, mich die 57 Kilometer nach Halberstad­t zu fahren“, sagt die Cellistin. Sie gab ein Konzert im Café und bekam dafür eine Fahrt nach Halberstad­t. „In der Kirche klingt Bach umwerfend, im Café geht es aber auch“, sagt die Dänin. Die Tour habe ihr bislang viele wunderbare Begegnunge­n beschert.

Der Rückenwind trägt sie weiter, elbabwärts. Zum Abschluss der Tour gastiert die Musikerin am 23. Juni in St. Marien in Lübeck – wie einst Bach. Ende August will Riegels in einer Sommerakad­emie in Cambridge ihr eigenes Cello bauen. Und im Anschluss mit eigenen Kompositio­nen auf Tour gehen – „vielleicht wieder mit dem Fahrrad“.

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„In der Kirche klingt Bach umwerfend, im Café geht es aber auch“: Die dänische Cellistin Ida Riegels im niedersäch­sischen Plate vor der St.-Marien-Kirche. Foto: Philipp Schulze

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