Thüringische Landeszeitung (Gera)
Das Herz des Hauses
Die Küche ist mehr als eine bloße Koch und Versorgungsstation. Hier findet das Leben statt
icht selten enden Partys ungeplanterweise in der Küche, finden die wichtigsten Gespräche während des Abwaschs neben der Spüle statt oder wird am Küchentisch besonders ungehemmt gelacht. Zwischen Kühlschrank und Toaster darf man privat sein und sich einfach wohlfühlen. Die Küche ist gleichermaßen Familientreffpunkt wie Rückzugsort – und meistens mehr als bloße Koch- und Versorgungsstation.
1 Heimelige Wohlfühloase
Auch wenn das Kochen für viele nur eine notwendige Pflicht ist, gehört die zweckmäßige Küche heutzutage eher der Vergangenheit an. Während die Innenarchitektur der 70er-Jahre noch auf praktische Kochzeilen mit diskreter Durchreiche ins separate Speisezimmer setzte, hat der Wandel der Zeit mittlerweile seine Spuren in der Küchenlandschaft hinterlassen. Offen gestaltete Wohnküchen, häufig mit Loftcharakter, gelten als zeitgemäß. Verbargen sich Töpfe und Zutaten in der Vergangenheit hinter den Türen massiver Einbauzeilen, baumeln sie heute vielfach an dekorativen Haken von den Wänden oder schmücken offene Regale. Großzügige Kochinseln und Theken rücken Koch und Gast einander näher und vermitteln Geselligkeit. Mit den Töpfern wird heute direkt neben dem Esstisch geklappert anstatt hinter verschlossenen Türen. Denn Kochen ist zum Lifestyle-Ereignis geworden, das man gerne mit anderen teilt.
2 Rauchküche wird Wohnküche
Das war nicht immer so. Historisch betrachtet gehört die Küche erst seit jüngster Zeit zu den repräsentativen Wohnräumen, in denen auch Gäste empfangen werden. Früher wurde in der Küche geschnippelt, geputzt, gekocht oder pariert – sie war alles andere als eine edle Räumlichkeit, die dennoch immer ein wichtiges Element in der Entwicklung der Wohnkultur war und auch gesellschaftliche Strukturen spiegelte.
Der Begriff „Küche“leitet sich vom althochdeutschen Wort „chuhhina“ab und beschrieb bis ins späte Mittelalter hinein einen Raum mit offener Feuerstelle, der gleichzeitig zur Nahrungszubereitung und zum Heizen genutzt wurde. Da Wände und Decke der fensterlosen Zimmer permanent rußgeschwärzt waren, setzte sich der Begriff der „Rauchküche“oder „Schwarzküche“durch. In größeren Haushalten bestand die Küche vom Mittelalter bis zur Neuzeit in der Regel aus mehreren Räumen, in denen gebacken, gekocht, zubereitet und gelagert wurde. Die Versorgung eines ganzen Hauses galt als logistische Mammutaufgabe.
In den 1920er-Jahren entwickelte der Architekt Ernst May im Rahmen des urbanen Wohnungsbaus die kompakte Einbauküche, „Frankfurter Küche“genannt, die das Arbeiten in der Küche möglichst effizient gestalten und standardisieren sollte. Noch Mitte des 20. Jahrhunderts galt die Küche als Ort, an dem die tüchtige Hausfrau die Familie versorgt und sich an den neuesten technischen Helferlein erfreut. Mit der Auflockerung gesellschaftlicher Normen und Geschlechterrollen öffnete sich zunehmend auch die Küche nach amerikanischem Vorbild und entwickelte sich zum zentralen Wohnraum. In vielen Familien gehören gemeinsame Mahlzeiten nach wie vor zu den fundamentalen Ritualen.
3 Bratpfanne trifft Arbeitsplatz
Heute steht der Laptop oftmals ganz selbstverständlich auf dem Küchentisch. Häufig wird in der Küche gearbeitet oder ferngesehen. Eine Hausbar, Zimmerpflanzen oder die schicke Stereoanlage gehören in vielen Haushalten zur Einbauküche genauso dazu wie Kunst an der Wand. Stiefmütterliche Einrichtung hinter Resopal? Nur, wenn es sein muss. Hochwertige Hölzer, Naturstein oder Edelstahl machen aus vielen Kochlandschaften individuelle Lieblingsräume. 2016 setzten Küchenhersteller in Deutschland rund 4,9 Milliarden Euro um — Tendenz steigend. Kochen, Grillen und Selbstversorgen gelten schließlich als absolut trendige Hobbys.
4 Heiß geliebtes Freiluftkochen
Gerade im Sommer dehnt sich das Konzept Küche regelmäßig auf Terrasse und Garten aus. Sobald sich der letzte Bodenfrost verzogen hat, holen unzählige Grillmeister ihre Lieblingswerkzeuge hervor und die improvisierte — oder auch semiprofessionelle — Freiluftküche wird zum sozialen Treffpunkt. Die Anziehungskraft des offenen Feuers, der Duft nach Holzkohle und immer neue kulinarische Genüsse von Pulled Pork über Lachssteak bis Rote Bete machen das gemeinsame Draußenkochen und gesellige Um-den-Grill-Stehen zum Sommer-Highlight. Einige Terrassen warten sogar schon mit Außenkühlschrank, Gasherd und Spülbecken auf – und führen so quasi zurück zum urzeitlichen Ursprung der Küche: der offenen Feuerstelle als zentralem Versammlungsort.
5 Paradies für Technikfans
„Eine gute Küche ist das Fundament allen Glücks.“Auguste Escoffier, Meisterkoch
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Geht es auf der Terrasse meist recht rustikal zu, so gehört die neueste technische Ausstattung der Küche unter Hobbygourmets fast schon zum guten Ton. Dank einschlägiger Kochshows im Fernsehen und CleanEating-Trend trumpfen auch Amateurköche schon mit Profimixer, Vakuumiergerät oder Dampfgarer auf. Biolebensmittel und Hightechutensilien haben Uhr und Auto als Statussymbol vielerorts längst abgelöst.
Küchenhersteller und Designer haben den Trend erkannt und setzen bei ihren Entwürfen auf natürliche Materialien, wohnliche Lifestyle-Elemente, smarte Kühlschränke, die automatisch Lebensmittel nachbestellen, oder Haushaltsgeräte aus der Sternegastronomie. Zukünftig werden Küchengeräte noch stärker digital vernetzt und von unterwegs zu bedienen sein. Und wer weiß, ob wir nicht bald einen 3-D-Drucker in der Küche stehen haben, um uns unser Essen einfach auszudrucken. Technisch möglich ist das bereits.