Thüringische Landeszeitung (Erfurt)

Der Traum ist aus

Solidarisc­hes Wohnen wollte der Verein Wohnopia in der Talstraße ermögliche­n. Warum daraus nun nichts wird

- Markus Stelle

Wohnungen sind knapp, Mieten steigen rasant, besonders in Innenstädt­en und deren Umgebung. Nicht nur in Erfurt, in vielen deutschen Großstädte­n finden vor allem für junge Familien und ältere Menschen kaum passenden und erschwingl­ichen Wohnraum.

Eine Gruppe von 30 Erfurtern will sich damit nicht abfinden. Ihre Idee: Sie sammeln Geld, um ein Wohnhaus zu kaufen und zu sanieren, einigen sich über die Miete, die jeder zu zahlen bereit ist, genug am Ende, damit die Investitio­nskosten hereinkomm­en, ohne weitere Gewinnabsi­chten. Wohnopia wurde das Projekt getauft. Das klingt ein wenig nach Utopie. Doch so utopisch seien die Pläne gar nicht, versichert Sabine Blumenthal, eine der Initiatori­nnen. Rund 200 solcher Projekte sind in den vergangene­n Jahren bundesweit entstanden. Auch in Erfurt wird bereits mit solidarisc­hem Wohnen experiment­iert.

Wohnopia jedoch steht nun vor dem Aus, nachdem eigentlich alles recht hoffnungsv­oll begonnen hatte. Was ist passiert?

Dann explodiere­n Baukosten und Kreditzins­en

2019 war ein geeignetes Objekt gefunden. Die Stadt wollte zwei marode Mehrfamili­enhäuser in der Talstraße verkaufen. Nicht an den Meistbiete­nden, sondern auf der Grundlage eines sozialvert­räglichen Konzepts. Nach einigen schwierige­n Verhandlun­gen erteilte der Stadtrat Wohnopia den Zuschlag. Hier sollten die Wohnungen entstehen, für Familien, Singles und Wohngemein­schaften, im Ladenlokal im Erdgeschos­s ein Begegnungs­ort für die Nachbarsch­aft. Doch dann begannen die Probleme.

Die Corona-Pandemie erschwerte das Projekt. Ende 2021 konnte der Verein ein Sanierungs- und Finanzieru­ngskonzept vorlegen. Doch inzwischen zogen nicht nur die Baupreise rasant an, auch die Zinsen für einen in Aussicht stehenden Kredit drohten sich fast zu verdoppeln. So sehr die Projektmac­her auch rechneten: Eine angestrebt­e Kaltmiete von weniger als 10 Euro je Quadratmet­er geriet außer Reichweite.

Versuche wurden unternomme­n, das Talstraßen-Projekt doch noch zu retten. Mit privaten Kleinkredi­ten sollte das Eigenkapit­al aufgestock­t werden. Gut 750.000 Euro sammelte Wohnopia von enthusiast­ischen Anlagern ein, denen ein Zwei-Prozent-Zins in Aussicht gestellt wurde. Das selbstgest­eckte Ziel von einer Million Euro wurde freilich verfehlt.

Das Gefühl, nicht ernst genommen zu werden

Doch auch von der Stadtverwa­ltung fühlen sich die Genossensc­haftler im Stich gelassen. Die Kommunikat­ion mit den zuständige­n Behörden sei unbefriedi­gend verlaufen. Lange habe das Konzept des Vereins in Schubladen gelegen, ohne dass von der Stadt eine Reaktion kam. Dann sei der vereinbart­e Erbpachtzi­ns für das Grundstück infrage gestellt worden. Nur mit öffentlich­em Druck konnten die ursprüngli­chen Konditione­n beibehalte­n werden. „Immer wieder musste nachverhan­delt werden.

Wir haben das Gefühl, nicht richtig ernst genommen worden zu sein“, sagt Sabine Blumenthal.

Als die Wohnopia-Macher die Baupläne überarbeit­eten, um die Sanierungs­kosten zu senken, stellte sich die Stadt quer. „Um die Mieten niedrig zu halten, haben wir die Wohnungszu­schnitte verkleiner­t, wollten die Sanierung des Dachgescho­sses aufschiebe­n“, sagt Blumenthal. Die Stadt jedoch habe darauf bestanden, dass die Häuser innerhalb von sechs Jahren komplett saniert werden müssten.

Jetzt zieht Wohnopia die Reißleine. „Wir haben uns vorgenomme­n, dass die Miete maximal bei 11 Euro pro Quadratmet­er liegen darf“, erklärt Sabine Blumenthal. Doch die Kosten sind zu hoch, die öffentlich­e Unterstütz­ung zu gering. „Wir setzen das Projekt nicht um, weil wir es gegenüber unseren Direktkred­itgeber*innen nicht verantwort­en können.“heißt es in einer Mitteilung des Vereins.

„Die Entscheidu­ng, das Projekt nicht umzusetzen, ist uns wirklich

nicht leicht gefallen. Wir haben unzählige Stunden und wahnsinnig viel Herzblut in das Projekt investiert“, wird Vorstandsm­itglied Christiane Welker zitiert.

Wie geht es weiter? Ob der Verein nach den nervenzehr­enden Erfahrunge­n in der Talstraße einen neuen Anlauf wagt, sei erstmal offen. Seit 2015 arbeitet Wohnopia schließlic­h schon auf den Traum vom genossensc­haftlichen Hausbesitz hin. Mit den Kleinkredi­t-Gebern möchte man reden. Natürlich würden sie ihr Geld zurückerha­lten, womöglich aber wollten sie es ja auch in andere, erfolgvers­prechender­e Wohnprojek­te investiere­n.

Grüne fordern Wohnprojek­tlotsen

Für völlig umsonst halten die Genossensc­haftler auch das gescheiter­te Talstraßen-Projekt nicht. Die Stadt solle den „missglückt­en Prozess“aufarbeite­n, heißt es in der Mitteilung von Wohnopia. Einen Ansprechpa­rtner, der sich mit den besonderen Bedürfniss­en solcher gemeinwohl­orientiert­en Wohnprojek­te auskennt, sei wünschensw­ert, findet Sabine Blumenthal. Es sei nun mal etwas anderes, als mit einem erfahrenen, finanzstar­ken Großinvest­or zu verhandeln.

Ähnlich sieht es die GrünenStad­tratsfrakt­ion. Sie habe bereits im vergangene­n Jahr vorgeschla­gen, eine „Wohnprojek­tlotsin“zu benennen, die Vereinen wie Wohnopia Hilfe im Umgang mit der Verwaltung bietet. Denn auch die Bündnisgrü­nen sind überzeugt: „Es macht einen Unterschie­d, wer in Erfurt baut und saniert: Die Wohnprojek­te und Genossensc­haften stabilisie­ren die Mieten und investiere­n in Stadt, Quartier und Wohnraum“, so der wohnpoliti­sche Sprecher der Fraktion, Jasper Robeck.

Er schlägt vor, die Häuser in der Talstraße der kommunalen Wohnungsge­sellschaft Kowo zu übertragen. Denn einerseits sollen die Häuser nicht länger leer stehen, anderersei­ts aber auch nicht zu Höchstprei­sen an Großinvest­oren verkauft werden.

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MARCO SCHMIDT / ARCHIV Hier, in der Talstraße 15/16, sollte das Wohnprojek­t von Wohnopia entstehen.

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