Thüringische Landeszeitung (Erfurt)
Vorbehalte beim Arbeitswillen von Zuwanderern
Eine Leserin schreibt zur Frage, wie wichtig Migranten für den Arbeitsmarkt sind:Einem Zeitungsartikel vom 4. Oktober zufolge leben allein in Thüringen 22.000 anerkannte Flüchtlinge und einem Zeitungsartikel vom 8. Oktober zufolge sucht Herr Grafe Migranten als Arbeitskräfte.
Leute werden ja überall gesucht in qualifizierten und in einfachen Jobs. Das setzt voraus, dass sie deutsch lernen (wollen), sich um eine Ausbildung (Teilausbildung ) und einen Job bemühen. Bei 22.000 anerkannten Flüchtlingen findet Herr Grafe keine geeigneten Mitarbeiter? Dass man, wenn man arbeitet, einen Arbeitsweg in Kauf nehmen muss, jeden Tag pünktlich sein muss, dass es anstrengend ist jeden Tag acht bis elf Stunden unterwegs zu sein, nicht jeden Tag Spaß macht, das gehört für jeden Arbeitnehmer (egal ob Mann oder Frau) in Deutschland zum Arbeitsleben dazu. Von den deutschen Staatsbürgern (Mann und Frau) wird erwartet, das sie 40, in Zukunft 50 Berufsjahre eine Tätigkeit ausüben und in die sozialversicherungspflichtigen Kassen einzahlen. Nur so und mit Zuschüssen aus unserem Steuersystem (wo wir auch vorher eingezahlt haben) ist die Rente der bisherigen Rentner möglich.
Wie kann es sein, dass Zuwanderer darauf vertrauen, dass es hier im europäischen Vergleich die meiste Sozialhilfe gibt und offenbar keine Pflicht zur Arbeit. Ist das gerecht, denen gegenüber, die ein Leben lang gearbeitet haben? Wer soll in Zukunft für die Kosten aufkommen, jetzt, wo die Staatskassen leer sind?
Gabriele Guse, Blankenhain
Sehr geehrte Frau Guse,Sie fürchten, dass Zuwanderer nicht arbeiten, aber von unserem Sozialsystem profitieren wollen. Der Verweis auf den Text, in dem es um die Firma Grafe ging, liefert dazu allerdings keinen Beleg. Es heißt vielmehr, „dass im Freistaat Migranten als Fachkräfte fehlen“. Herr Grafe führt keine Beschwerde über mangelnde Arbeitsleistungen bei Beschäftigten jedweder Herkunft. Das aber ist Ihr Kernthema. Zu den Fakten: Klar ist, dass während der Zeit des Asylverfahrens und mit Duldung für Menschen aus bestimmten Herkunftsländern die Möglichkeit besteht, an einem Integrationskursus oder einem berufsbezogenen Deutschkursus teilzunehmen, so der Flüchtlingsrat Thüringen. „Start Deutsch“und „Start Bildung“stehen auch für Menschen mit prekärem Aufenthaltsstatus zur Verfügung. An manchen Orten gibt es ehrenamtliche Angebote. Grundsätzlich besteht die Möglichkeit, eine schulische oder duale Ausbildung während der Zeit des Asylverfahrens oder mit einer Duldung aufzunehmen. Seit Anfang 2020 ist die Ausbildungsduldung bundesweit einheitlich geregelt. Wird sie erteilt, besteht während der Ausbildung ein Schutz vor Abschiebung.
Arbeitet die betreffende Person nach erfolgreichem Abschluss der Ausbildung in diesem Bereich, wird eine Aufenthaltserlaubnis erteilt. Da diese Regelungen noch relativ neu sind, kann über den Erfolg von in Deutschland erworbenem Schulabschluss und anschließender dualer Ausbildung erst wenig gesagt werden. Lange Zeit sollten Geflüchtete ja gerade nicht als Fachkräfte zum Einsatz kommen, da das einer möglichen Abschiebung im Wege stehen könnte. Der sächsische Ausländerbeauftragte Geert Mackenroth hat erst vor wenigen Tagen bei der Vorstellung seines Jahresberichts 2020 erläutert, dass angesichts des anhaltenden Fachkräftemangels gerade im deutschen Mittelstand dringend die Arbeitsmigration optimiert werden müssen. Das sei die „vordringliche Aufgabe“der neuen Bundesregierung. Er fordert „intelligente Lösungen“wie Anwerbung und Qualifizierung geeigneter Bewerber sowie Anerkennung und Verbesserung von Qualifikationen. „Das Potenzial, das in Migrantenfamilien vorhanden ist, darf nicht länger liegen gelassen werden“, wird Mackenroth zitiert. Sie unterstellen einen generellen Unwillen bestimmter Gruppen, arbeiten zu gehen. Ob dieser typisch für den von Ihnen genannten Personenkreis ist, ist stark in Zweifel zu ziehen, gerade auch beim Blick auf die Herkunft prekär Beschäftigter in diesem Land.
Es grüßt herzlich Gerlinde Sommer