Thüringische Landeszeitung (Erfurt)
Papier ist geduldig
Es ist nicht nur der hohe Bordstein, der enge Fahrstuhl, die fehlende Speisekarte in BrailleSchrift. Es gibt unzählige kleine und große Hürden, die Menschen mit Behinderung eine gleichberechtigte Teilnahme am Leben erschweren oder unmöglich machen.
Von Chancen auf dem Arbeitsmarkt, mühseligen Behördenparcours, wenn man trotz der Einschränkungen nach einer Krankheit an den alten Arbeitsplatz zurück möchte, aber dafür besondere Hilfen braucht, bis hin zu mangelnden Informationen in leichter Sprache. Oder die Unterschiede, mit denen Kommunen zuweilen über das persönliche Budget für Alltagshilfen wie eine Assistenz entscheiden, die man keinem Betroffenen schlüssig erklären kann. Es gibt unzählige Beispiele.
Zu behaupten, es fehle in Thüringen am politischen Willen, wird dem Problem nicht gerecht. Aber Papier ist sehr geduldig, wenn Vorgaben zu weich bleiben und Prüfungen nicht vorgesehen sind. Und so manche Hürde im Alltag wird errichtet, weil der Bedarf von Betroffenen schlichtweg unter dem Radar der Mehrheit bleiben.
Dass wir alle den Blick dafür stärker und in allen Bereichen schärfen müssen, ist unbestritten. Aber es wird nicht reichen. Guter Wille allein auch nicht.
Die Forderung von Selbstvertretungen nach Abschaffung des Konjunktivs bei solchen Regelungen, nach klarer Verbindlichkeit und Kontrollmechanismen ist folgerichtig. Genauso wie ihre Erwartung, dass die Expertise von Menschen mit Behinderung in Entscheidungen einfließt, die unser aller Alltag betreffen. Und zwar nicht, weil es in einem Gremium jemandem auffällt, sondern weil es die Strukturen erzwingen.