Thüringische Landeszeitung (Erfurt)
Das Leben der Kunstfiguren
Liebe Leserinnen, liebe Leser!
Früher hat es nicht als Lob gegolten, wenn einem Bühnenkünstler nachgesagt wurde, er könne nur sich selber spielen. Manche sind zwar berühmt damit geworden, weil ihnen jemand Stücke quasi auf den Leib schrieb. Und oft wurden sie zu Serienhelden – und diese Figuren waren in gewisser Weise eindimensional.
Wenn nun aber jemand auf die Bühne tritt, um dort eine Kunstfigur darzustellen, ist das eigentlich Teil einer größeren Kunst. Nun leben wir in einer Zeit der Oberflächlichkeit, in der es offenbar einer ganzen Reihe von Kulturbetrachtenden schwer fällt, überhaupt anzuerkennen, dass es Bühnenkünstler gibt, die nicht nur als sie selbst auftreten wollen.
Jeder kennt Unterhalter – so will ich sie mal nennen –, die tatsächlich ihre eigene Person zum Mittelpunkt ihres komödiantischen Schaffens gemacht haben. Wenn es dann aber ins Kabarettistische gehen sollte, darf das Publikum eigentlich erwarten, dass sich der Darsteller nicht selbst zeigen will, sondern in Gestalt einer Kunstfigur auch etwas zu sagen hat. Etwas Unsägliches womöglich. Etwas, was er oder sie so selbst nicht sagen würden. Oder doch? Etwas, das einen Denkanstoß liefern könnte. Oder zumindest ein Erschrecken darüber, dass es Leute gibt, die etwas auch von dieser ganz anderen Seite betrachten.
Das alles macht eigentlich den Reiz aus, sich ein Bühnenprogramm abseits der Klassiker anzuschauen – sei es nun im zeitgenössischen Theater oder auf der Kabarettbühne. Womöglich ist ein Problem des Verwechselns von Darsteller und Dargestelltem der Versendung solcher Auftritte in unsozialen Schnipseln geschuldet, wo immer der Daumen der Masse rauf oder runter geht. Die Auseinandersetzung mit Provokation braucht Räume. Der Bildschirm aber ist meist zu flach und produziert hohe Wellen, kaum Tiefgang.