Thüringische Landeszeitung (Erfurt)
Familienleben eines Attentäters
Prozess um Anschlag von Halle fortgesetzt
Magdeburg. Diejenigen, die wohl am besten sagen könnten, wie aus Stephan B. ein antisemitischer Attentäter und zweifacher Mörder wurde, schweigen. Am vierten Tag des Prozesses gegen den 28-Jährigen wegen des Anschlags auf die Synagoge in Halle 2019 erklären Mutter, Vater und Halbschwester des Angeklagten, dass sie vom Recht Gebrauch machen, nicht aussagen zu müssen. Zumindest die Schwester hat wohl in Erwägung gezogen, doch auszusagen, sich dann aber dagegen entschieden. Die Stimme der 31-Jährigen zittert, als sie erklärt, dass sie nicht sprechen wird.
Ihr ehemaliger Lebensgefährte Mario S. hat diese Möglichkeit nicht. Stundenlang beantwortet S. deshalb am Mittwoch die Fragen der Richter und der Anwälte, die zu verstehen versuchen, aus welcher Welt Stephan B. kommt.
Die Familie, die der 31-Jährige da beschreibt, wirkt auf den ersten Blick fast erdrückend durchschnittlich. Die Eltern des Angeklagten getrennt, doch freundschaftlich verbunden. Im Mittelpunkt, von allen geliebt: der Sohn der Schwester, heute vier Jahre alt.
Doch vor allem die aufmerksamen Nachfragen der Anwälte der Nebenkläger sorgen dafür, dass dieses Bild Risse bekommt. Da ist die Musik, die zu Hause läuft – „Freiwild“und „Böhse Onkelz“, ein Geschenk der Mutter an die Tochter. Oder die Tatsache, dass Stephan B. bei einem seiner seltenen Ausflüge in die Außenwelt zwei fremde Menschen, die sich nicht auf Deutsch unterhalten, anschreit, sie sollten deutsch reden. „Das wirkte sehr bedrohlich“, sagt S. Auch dass „die Juden“seiner Meinung nach „schuld sind“, äußert der spätere Attentäter schon im Familienkreis. Widersprochen wird ihm nicht.
Als einzige Nebenklägerin ergreift an diesem Tag Sabrina S. das Wort. Sie war am 9. Oktober in der Synagoge. Sie hat zwei Fragen an den ehemaligen Freund von B.s Schwester: wie er seinem Sohn später einmal erklären wolle, was da passiert sei – und wie er verhindern wolle, dass der Junge einmal auf dieselbe Bahn gerate. „Darauf“, sagt S., „habe ich im Moment keine Antwort.“