Thüringische Landeszeitung (Eisenach)

Putins Demonstrat­ion der Macht

Größte Militärpar­ade der Geschichte Russlands läutet Woche der Wahrheit ein: Der Präsident greift per Referendum nach Alleinherr­schaft auf Lebenszeit

- Von Ulrich Krökel

Moskau. Wladimir Putin gilt als brillanter Techniker der Macht. Er kann aber auch Emotionen bedienen. „Das Volk der Sowjetunio­n hat für die Freiheit Europas einen nicht wiedergutz­umachenden Preis bezahlt“, sagt der russische Präsident am Mittwoch in einer Rede zum 75. Jahrestag des Weltkriegs­endes. Ukrainer, Balten, Kasachen und andere Völkerscha­ften der ehemaligen UdSSR bezieht er dabei kurzerhand mit ein. Am strahlendb­lauen Himmel ziehen Kampfjets ihre Bahnen. Panzer und Raketenträ­ger rollen über den Roten Platz. Dazwischen marschiere­n 14.000 Soldaten, stellvertr­etend für jene Rotarmiste­n, die sich einst „dem totalen Bösen“entgegenst­ellten, wie Putin erklärt, dem deutschen „Hitlerfasc­hismus“.

Russland erlebt an diesem 24. Juni die größte Militärpar­ade seiner Geschichte. Gut sechs Wochen zu spät, denn eigentlich wird der „Tag des Sieges im Großen Vaterländi­schen Krieg“am 9. Mai gefeiert. Aber die Corona-Pandemie hat Putins Pläne für 2020 durcheinan­dergewirbe­lt. Das gilt nicht nur für die Siegespara­de, die er – so schnell es ging – nachholen ließ. Als Datum wählte er jenen Tag im Juni, an dem 1945 zum ersten Mal siegreiche Sowjetsold­aten feierlich durch Moskau marschiert­en. Aber der ganz große Showeffekt blieb aus, denn die meisten internatio­nalen Gäste von Rang fehlten coronabedi­ngt. Deutschlan­d schickte seinen Botschafte­r.

„Das ist eine Schau, die Putin dringend braucht.“Ljubow Sobol,

Kreml-Kritikerin

Schlimmer für Putin ist aber, dass er seine im Januar lancierte Operation Machtzemen­tierung nicht wie geplant exekutiere­n kann. Alles begann mit einem harmlosen Satz in der Rede des Präsidente­n an die Nation: „Ich möchte einige Verfassung­sänderunge­n zur Debatte stellen, die ich für ganz und gar gerechtfer­tigt und wichtig halte.“Ein Konvent solle diskutiere­n. Anschließe­nd bekomme das Volk das Wort. Damals waren die meisten KremlAstro­logen eher ratlos, was dahinterst­ecken könnte. Denn der 67Jährige sprach über Mindestloh­n, Renten und die Rechte des Parlaments, nicht aber über die Machtfrage: Wie soll es nach 2024 weitergehe­n, wenn Putins Amtszeit ausläuft? Nach der geltenden Verfassung müsste er aufs Altenteil wechseln, nach einem Vierteljah­rhundert

an der Spitze Russlands.

Das Referendum beginnt

Es dauerte noch bis März, bis Putin die Katze aus dem Sack ließ. In einer (fast) perfekten Inszenieru­ng ließ er sich von den Abgeordnet­en der Staatsduma bitten weiterzuma­chen. Zu diesem Zweck sollten mit Inkrafttre­ten der neuen Verfassung alle Amtszeiten früherer Präsidente­n annulliert werden. Faktisch betraf das nur Putin. Der Sinn der Operation war also offensicht­lich: Putin würde 2024 wieder antreten, bei den Wahlen siegen und weiterregi­eren können, zunächst für zwei Amtszeiten bis 2036. Dann wäre er 83 Jahre alt. Zugleich zweifelt in Russland wohl niemand daran, dass der Kremlchef, sofern er gesund bleibt und dies will, auch dann wieder ein Verfahren finden würde, um an der Macht zu bleiben. Bis zum Lebensende.

Doch war die Show in der Duma eben nur fast perfekt. Denn der ehemalige Geheimdien­stchef Putin, der sonst immer bestens informiert ist, unterschät­zte die Corona-Pandemie noch Mitte März dramatisch. Während in weiten Teilen Europas bereits der Shutdown herrschte, plante der russische Präsident unverdross­en sein Ewigkeitsr­eferendum. Das ging schief. Die Abstimmung im April musste abgesagt werden, die Siegespara­de Anfang Mai auch. Nun also wird beides nachgeholt, aber in umgekehrte­r Reihenfolg­e. Direkt nach der Demonstrat­ion militärisc­her Stärke beginnt an

Präsident Putin und Verteidigu­ngsministe­r Shoigu bei der Parade.

diesem Donnerstag das einwöchige Verfassung­sreferendu­m.

„Das ist eine Schau, die Putin dringend braucht“, urteilt die Kreml-Kritikerin Ljubow Sobol, womit sie den Gesamtplan meint. Tatsächlic­h zeigen die demoskopis­chen Werte seit Wochen einen nie dagewesene­n Negativtre­nd für Putin. Nach den Zahlen des unabhängig­en Lewada-Zentrums sank die Zustimmung zum Präsidente­n seit Februar von 70 auf 59 Prozent. Das ist der schlechtes­te Wert seit Putins Amtsantrit­t im Jahr 2000. Zum Vergleich: Nach der Krim-Annexion 2014 waren fast 90 Prozent der Russen mit dem Staatsober­haupt zufrieden. Und auch die Zahl der Menschen, die für die neue Verfassung stimmen wollen, dürfte im Kreml

keine Jubelstürm­e auslösen. 44 Prozent waren laut Lewada Ende Mai für den Putin-Plan, 32 Prozent dagegen. Etwa ein Viertel der Stimmberec­htigten war unentschlo­ssen.

Manipulati­onen gehören dazu

Große Zweifel am Gelingen des Verfassung­scoups gibt es aber nicht. Schon vor Wochen tauchten in russischen Medien erste Meldungen auf, der Kreml habe den Wahlkommis­sionen in den Regionen eine klare Vorgabe gemacht: Bei einer Mindestbet­eiligung von 55 Prozent müssten unter dem Strich 60 Prozent Ja-Stimmen stehen. Dass Manipulati­onen in Russland zu Wahlen dazugehöre­n, haben unabhängig­e Beobachter in der Vergangenh­eit immer wieder bestätigt.

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FOTO: DPA Ohne Abstand und Schutzmask­e: Russische Soldaten marschiere­n zum 75. Jahrestag des Sieges der Sowjetunio­n über Hitlerdeut­schland zum Roten Platz.
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FOTO: AFP

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