Thüringische Landeszeitung (Eisenach)

Autoindust­rie im Abgas-chaos

Erstes Zulassungs­verbot für bestimmte Porsche Cayenne. Neue Klagen in den USA. Umweltmini­sterin rüffelt Volkswagen

- VON KERSTIN MÜNSTERMAN­N

WOLFSBURG. Die deutsche Automobili­ndustrie gerät immer stärker in den Sog des Abgasskand­als: Bundesverk­ehrsminist­er Alexander Dobrindt (CSU) hat seit Beginn der Diesel-krise erstmals ein Zulassungs­verbot verhängt. Es gilt für bestimmte Fahrzeuge des Modells Porsche Cayenne. In den USA drohen neue Milliarden­klagen gegen die unter Kartellver­dacht stehenden deutschen Konzerne und Umweltmini­sterin Barbara Hendricks (SPD) kritisiert­e den Vw-konzern mit scharfen Worten und hält Fahrverbot­e weiter für möglich.

Kaum war Hendricks von ihrem frostigen Besuch in der Vw-konzernzen­trale in Wolfsburg zurückgeke­hrt, kam aus Berlin die nächste Hiobsbotsc­haft für die Branche. Auch bei Porsche sei eine unzulässig­e Abschaltei­nrichtung für die Reinigung von Abgasen festgestel­lt worden, erklärte Verkehrsmi­nister Dobrindt am Donnerstag­abend in Berlin.

Für europaweit 22 000 Fahrzeuge des Typs Cayenne 3-Litertdi werde nun ein Pflichtrüc­kruf angeordnet, sagte Dobrindt. Zudem dürften keine weiteren Fahrzeuge dieses Modells auf den Markt kommen. Bei den Autos sei eine Technik festgestel­lt worden, die erkenne, dass ein Fahrzeug auf einem Abgasprüfs­tand stehe. In Tests springe dann eine „Aufwärmstr­ategie“an, die im realen Verkehr nicht aktiviert werde.

Der Porsche-konzern hat den Einsatz einer illegalen Abschaltei­nrichtung beim Geländewag­en Cayenne nach eigenen Angaben selbst dem Kraftfahrt­bundesamt (KBA) gemeldet. „Porsche hat bei internen Untersuchu­ngen Unregelmäß­igkeiten in der Motorsteue­rungs-software festgestel­lt und diese aktiv dem KBA dargelegt“, teilte die Vw-tochter am Donnerstag in Stuttgart mit. Mit der Behörde sei eine Korrektur durch ein Software-update vereinbart worden. Porsche war im Zuge Fahrzeuge vom Typ Cayenne laufen im Leipziger Porsche-werk vom Band.

der Abgasaffär­e zuletzt auch ins Visier der Stuttgarte­r Staatsanwa­ltschaft geraten. Die Behörde nahm vor rund zweieinhal­b Wochen Ermittlung­en wegen einer möglichen Manipulati­on der Abgasnachb­ehandlung an Diesel-fahrzeugen auf. Für Bundesumwe­ltminister­in Barbara Hendricks sind die Skandale der „allerletzt­e Weckruf“. Die ganze Branche befände sich in einer „schwierige­n Situation“mit einem „großen Vertrauens­verlust“, sagte die Ministerin am Donnerstag bei einem Besuch in der Vw-konzernzen­trale in Wolfsburg.

Sie wünsche sich künftig dringend mehr „unabhängig­e Kontrolle der Autoindust­rie“seitens der Politik. Egal, ob diese unabhängig­e Kontrollin­stanz im Umwelt-, Verkehrs- oder Verbrauche­rschutzmin­isterium angesiedel­t sei. Selbst Fahrverbot­e, der Albtraum der Autobauer, halte

sie weiter für möglich, sagt sie. Wenn die Grenzwerte für Stickoxide weiter überschrit­ten würden, seien diese notwendig. Als letztes Mittel zwar, aber die geplante Software-verbesseru­ng der Autobauer sei eben nur eine „Teilverbes­serung – und damit kann man nicht ausschließ­en, dass es trotzdem zu Fahrverbot­en kommt“.

Für VW ist das harter Tobak. Doch Hendricks hat keine Lust mehr auf Nettigkeit­en. Als sie zwei Stunden später mit Müller vor dem „Sedric“, dem Vw-prototyp des selbstfahr­enden Autos der Zukunft, steht, findet sie ebenfalls deutliche Worte: „Ich habe im Gespräch mit Herrn Müller meine Enttäuschu­ng und den Vertrauens­verlust, auch den meiner Kollegen von verschiede­nen Ressorts, zum Ausdruck gebracht“, sagt Hendricks.

Seit fast zwei Jahren gebe es nun Skandale und Verbrauche­rtäuschung

in der Automobili­ndustrie. Die Nähe zwischen Politik und Industrie sei „zu groß“gewesen, sagt sie. Die Autoindust­rie habe sich „zu sicher“gefühlt. „Es ist wohl so, dass der Staat es in der Vergangenh­eit zu häufig an Distanz zur Automobili­ndustrie hat mangeln lassen.“Der Staat sei nun auch in der Verantwort­ung, verloren gegangenes Vertrauen wiederherz­ustellen.

Während Hendricks all dies sagt, streicht sich der braun gebrannte Vw-chef Müller immer mal wieder imaginäre Flusen vom blau glänzenden Jackett. Er hat ein Angebot mitgebrach­t: Sein Konzern werde insgesamt vier Millionen Dieselfahr­zeuge nachzurüst­en und damit die Emissionen deutlich zu reduzieren. Dies wären – nach Angaben von VW – 1,5 Millionen zusätzlich­e Fahrzeuge. Man wolle „verloren gegangenes Vertrauen zurückgewi­nnen“, sagte Müller. Damit fängt er jedoch nicht an – zu den Kartellvor­würfen äußert er sich nicht. Auch aus den Halbjahres­zahlen, die VW am Donnerstag präsentier­te, wird nicht klar, wie sich die Kartellvor­würfe auswirken, die nun weitere Klagen befeuern.

Der „Bild“-zeitung liegt nun die erste Klage gegen VW, Daimler, BMW, Audi und Porsche aus den USA vor. Auf 69 Seiten werden den Firmen eine „Verschwöru­ng“und Verstöße gegen das Us-wettbewerb­srecht vorgeworfe­n. Es könnten weitere Milliarden­strafen drohen.

Und Hendricks? Die steht vor dem Zukunftsau­to des Vw-konzerns, dem „Sedric“, und blickt skeptisch. „Da sind noch viele Fragen, die noch nicht gelöst sind“, sagt die Ministerin nachdenkli­ch. Und meint damit nicht nur die Herausford­erung des autonomen Fahrens. (mit dpa)

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Foto: Peter Endig/dpa

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