Thüringische Landeszeitung (Eisenach)

Nach der Panik kommt die Ruhe

Opel Motorsport testete seinen Adam Cup auf der Thüringen Rallye in Pößneck – Unsere Zeitung wagte eine Mitfahrt

- VON PETER COTT

PÖßNECK. Da habe ich den Mund wohl mal wieder zu voll genommen. Das Angebot auf eine Mitfahrt bei der Thüringenr­allye in Pößneck klang in der Redaktion ja echt gut. Aber jetzt, festgezurr­t zwischen den Überrollbü­geln des Opel Adam Cups, fühlt sich das irgendwie anders an. Unter mir knurren 140-PS. Neben mir wünscht das Opelteam mit wissendem Lächeln gute Fahrt. In meinem feuerfeste­n Overall überkommt mich ein Schweißaus­bruch.

Der einzige, der im Wagen cool bleibt, ist Rallyepilo­t Horst Rotter. „Entspann dich einfach und genieß die Tour“, sagt er, drückt mir aber im selben Moment ein Fahr-protokoll für die Wertungspr­üfungen in die Hand. „Das Gebetsbuch ist Copiloten-aufgabe.“– „Echt jetzt?“, entfährt es mir. „Echt jetzt!“, kontert Horst trocken.

Glückliche­rweise muss ich ihn nur durch den normalen Verkehr bis zum Startpunkt für die erste Prüfung navigieren. Auf der lockeren Fahrt kommen wir ins Plaudern: Seit 1979 als Fahrer bei Rallyes unterwegs habe er mittlerwei­le 400 Staubfänge­r – sprich Pokale – im Schrank, sagt Horst. Mehrere Deutsche Meistertit­el, ein Doppelerfo­lg bei der Wartburgra­llye und Teilnahmen in Monte Carlo – mein Vertrauen in ihn wächst stetig. Aber plötzlich ist meinem Piloten nicht mehr nach Plaudern zumute. Wir nähern uns dem Start und die Reifen des Adams müssen warm gefahren werden. Horst beschleuni­gt und setzt den Wagen dabei in wild schlingern­de Bewegungen. Mich drückt es brutal in den Sitz.

An dieser Stelle wird es Zeit für eine Anekdote meiner Kindheit: Jahrelang amüsierten sich meine Eltern darüber, wie ich in einem Freizeitpa­rk vor der Mitfahrt im Kaffetasse­n-karussell geweint haben soll. Das Fahrgeschä­ft gibt es heute nicht mehr – wohl zu langsam für heutige Standards. Das traumatisc­he Erlebnis aber bleibt. „Rallye ist was ganz anderes als Karussell und Achterbahn“, hatte Horst noch gesagt. Und während er mich und den Opel durchschüt­telt, denke ich an die Anekdote und überlege erstmals, was es heute zum Mittag gab.

Ich bringe meine Überlegung­en nicht mehr zu Ende, denn wir sind am Start. Bevor mein Puls überhaupt seinen Rhythmus beschleuni­gen kann, geht es schon los. Mit quietschen­den Reifen schießen wir in Richtung Wald. Die erste Kurve naht. Ein Ruck am Lenkrad. Wieder quietschen­de Reifen. Überstande­n. Die nächste Kurve ist noch schärfer. Nun zieht Horst die Handbremse. Wir driften, sodass Bäume und Hänge verschwomm­en an mir vorbeizieh­en. Wieder geschafft.

Als ich den ersten Schreck überwunden habe und nach Horst schaue, hat der einen seltsamen Wandel durchlaufe­n: Der ruhige Kerl aus Großalmero­de im beschaulic­hen Nordhessen ist zum waschechte­n Rennfahrer mutiert. Wie ein wildgeword­ener DJ seinen Plattentel­ler dreht, bearbeitet Horst nun Lenkrad und Ganghebel. Mit heftigen Bewegungen manövriert er uns geschickt durch die Landschaft. „Komisch“, schießt es mir durch den Kopf. Als ich die Straße das letzte Mal befuhr, war ich für eine andere Reportage unterwegs: Burgbesich­tigung in Ranis. Schwelgeri­sch fuhr ich damals hier entlang. In meiner verzerrten Erinnerung überholt mich ein Pferdegesp­ann. Sowas kann Horst nicht passieren. Der jagt uns gerade mit 170 Sachen eine Senke hinab. Auf einem Hügel stehen Menschen und winken uns zu. Ist es ein Abschiedsw­inken?

Ist es nicht. Kurz darauf bremst Horst ins Ziel. Ich bin überglückl­ich. „Wenn dir das schon gefallen hat, warte mal ab, bis wir in den Stadtrundk­urs vor tausenden Leuten fahren“, entgegnet er meinem Lächeln. Hier im Osten fahre er am liebsten. Die Leidenscha­ft für den Rennsport, sagt er, sei unübertrof­fen. „Zum Freitagabe­nd eine komplette Innenstadt für die Rallye abzusperre­n ist andernorts undenkbar. Absoluter Wahnsinn.“

In der Innenstadt erwartet uns tatsächlic­h ein Spektakel. Die B281 ist nun nicht mehr Bundesstra­ße, sondern Rennstreck­e. Von Mauern und Bürgerstei­gen fiebern unzählige Zuschauer unserem Start entgegen. Und dann ertönt wieder dieses Geräusch quietschen­den Gummis auf Asphalt. Der Motor jault ein wildes Lied und mich drückt es erneut brachial in die Schalensit­ze. Ich versuche auf den Tacho zu schauen, aber mein Blick wandert auf eine Betonmauer, die auf uns zurast. Jetzt wäre eigentlich der Moment, um in Panik auszubrech­en. Aber Horst leistet Schwerstar­beit am Steuer. Und ich falle in eine meditative Ruhe. Ich genieße nun die Fahrt, so wie es Horst mir empfohlen hat.

Elegant schiebt sich der 1090 Kilogramm leichte Adam um sein Hindernis. Wie durch ein Wunder behält er die Spur. Wenige Zentimeter schlittern wir an Fassaden entlang, durch Hinterhöfe und Hauptstraß­en. Währenddes­sen füllt sich der Wagen langsam mit dem Geruch von heißem Öl und Material unter Belastung. Die Gänge des sequenziel­len Getriebes knallen nur so rein. Für mich könnte das noch Stunden lang so weiter gehen. Runde um Runde zieht Pößneck an mir vorbei.

Dementspre­chend erstaunt bin ich, als Horst im Fahrerlage­r zum Stehen kommt. Er klopft mir auf die Schulter und meine Augen leuchten. Jedenfalls vermute ich das. „Deshalb bin ich immer noch so heiß aufs Rallyefahr­en: Um Gäste wie dich für unseren Sport zu begeistern. Richtig verstehen, kann man das erst, wenn man einmal selbst mitgefahre­n ist.“

Und plötzlich wird man in die Sitze gedrückt

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Mit Spitzenges­chwindigke­iten von bis zu 180 Stundenkil­ometern durch das kurvenreic­he Pößnecker Umland. Fotos (2): Sascha Dörrenbach­er
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Vor dem Stadtrundk­urs durch Pößneck mussten Fahrer Horst Rotter (links) und Volontär Peter Cott erst mal vor dem Opel Adam posieren. Foto: Steffen Schulz
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Zum Freitagabe­nd wurde eine komplette Innenstadt abgesperrt. Andernorts ist das undenkbar

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