Thüringische Landeszeitung (Eisenach)
Nach der Panik kommt die Ruhe
Opel Motorsport testete seinen Adam Cup auf der Thüringen Rallye in Pößneck – Unsere Zeitung wagte eine Mitfahrt
PÖßNECK. Da habe ich den Mund wohl mal wieder zu voll genommen. Das Angebot auf eine Mitfahrt bei der Thüringenrallye in Pößneck klang in der Redaktion ja echt gut. Aber jetzt, festgezurrt zwischen den Überrollbügeln des Opel Adam Cups, fühlt sich das irgendwie anders an. Unter mir knurren 140-PS. Neben mir wünscht das Opelteam mit wissendem Lächeln gute Fahrt. In meinem feuerfesten Overall überkommt mich ein Schweißausbruch.
Der einzige, der im Wagen cool bleibt, ist Rallyepilot Horst Rotter. „Entspann dich einfach und genieß die Tour“, sagt er, drückt mir aber im selben Moment ein Fahr-protokoll für die Wertungsprüfungen in die Hand. „Das Gebetsbuch ist Copiloten-aufgabe.“– „Echt jetzt?“, entfährt es mir. „Echt jetzt!“, kontert Horst trocken.
Glücklicherweise muss ich ihn nur durch den normalen Verkehr bis zum Startpunkt für die erste Prüfung navigieren. Auf der lockeren Fahrt kommen wir ins Plaudern: Seit 1979 als Fahrer bei Rallyes unterwegs habe er mittlerweile 400 Staubfänger – sprich Pokale – im Schrank, sagt Horst. Mehrere Deutsche Meistertitel, ein Doppelerfolg bei der Wartburgrallye und Teilnahmen in Monte Carlo – mein Vertrauen in ihn wächst stetig. Aber plötzlich ist meinem Piloten nicht mehr nach Plaudern zumute. Wir nähern uns dem Start und die Reifen des Adams müssen warm gefahren werden. Horst beschleunigt und setzt den Wagen dabei in wild schlingernde Bewegungen. Mich drückt es brutal in den Sitz.
An dieser Stelle wird es Zeit für eine Anekdote meiner Kindheit: Jahrelang amüsierten sich meine Eltern darüber, wie ich in einem Freizeitpark vor der Mitfahrt im Kaffetassen-karussell geweint haben soll. Das Fahrgeschäft gibt es heute nicht mehr – wohl zu langsam für heutige Standards. Das traumatische Erlebnis aber bleibt. „Rallye ist was ganz anderes als Karussell und Achterbahn“, hatte Horst noch gesagt. Und während er mich und den Opel durchschüttelt, denke ich an die Anekdote und überlege erstmals, was es heute zum Mittag gab.
Ich bringe meine Überlegungen nicht mehr zu Ende, denn wir sind am Start. Bevor mein Puls überhaupt seinen Rhythmus beschleunigen kann, geht es schon los. Mit quietschenden Reifen schießen wir in Richtung Wald. Die erste Kurve naht. Ein Ruck am Lenkrad. Wieder quietschende Reifen. Überstanden. Die nächste Kurve ist noch schärfer. Nun zieht Horst die Handbremse. Wir driften, sodass Bäume und Hänge verschwommen an mir vorbeiziehen. Wieder geschafft.
Als ich den ersten Schreck überwunden habe und nach Horst schaue, hat der einen seltsamen Wandel durchlaufen: Der ruhige Kerl aus Großalmerode im beschaulichen Nordhessen ist zum waschechten Rennfahrer mutiert. Wie ein wildgewordener DJ seinen Plattenteller dreht, bearbeitet Horst nun Lenkrad und Ganghebel. Mit heftigen Bewegungen manövriert er uns geschickt durch die Landschaft. „Komisch“, schießt es mir durch den Kopf. Als ich die Straße das letzte Mal befuhr, war ich für eine andere Reportage unterwegs: Burgbesichtigung in Ranis. Schwelgerisch fuhr ich damals hier entlang. In meiner verzerrten Erinnerung überholt mich ein Pferdegespann. Sowas kann Horst nicht passieren. Der jagt uns gerade mit 170 Sachen eine Senke hinab. Auf einem Hügel stehen Menschen und winken uns zu. Ist es ein Abschiedswinken?
Ist es nicht. Kurz darauf bremst Horst ins Ziel. Ich bin überglücklich. „Wenn dir das schon gefallen hat, warte mal ab, bis wir in den Stadtrundkurs vor tausenden Leuten fahren“, entgegnet er meinem Lächeln. Hier im Osten fahre er am liebsten. Die Leidenschaft für den Rennsport, sagt er, sei unübertroffen. „Zum Freitagabend eine komplette Innenstadt für die Rallye abzusperren ist andernorts undenkbar. Absoluter Wahnsinn.“
In der Innenstadt erwartet uns tatsächlich ein Spektakel. Die B281 ist nun nicht mehr Bundesstraße, sondern Rennstrecke. Von Mauern und Bürgersteigen fiebern unzählige Zuschauer unserem Start entgegen. Und dann ertönt wieder dieses Geräusch quietschenden Gummis auf Asphalt. Der Motor jault ein wildes Lied und mich drückt es erneut brachial in die Schalensitze. Ich versuche auf den Tacho zu schauen, aber mein Blick wandert auf eine Betonmauer, die auf uns zurast. Jetzt wäre eigentlich der Moment, um in Panik auszubrechen. Aber Horst leistet Schwerstarbeit am Steuer. Und ich falle in eine meditative Ruhe. Ich genieße nun die Fahrt, so wie es Horst mir empfohlen hat.
Elegant schiebt sich der 1090 Kilogramm leichte Adam um sein Hindernis. Wie durch ein Wunder behält er die Spur. Wenige Zentimeter schlittern wir an Fassaden entlang, durch Hinterhöfe und Hauptstraßen. Währenddessen füllt sich der Wagen langsam mit dem Geruch von heißem Öl und Material unter Belastung. Die Gänge des sequenziellen Getriebes knallen nur so rein. Für mich könnte das noch Stunden lang so weiter gehen. Runde um Runde zieht Pößneck an mir vorbei.
Dementsprechend erstaunt bin ich, als Horst im Fahrerlager zum Stehen kommt. Er klopft mir auf die Schulter und meine Augen leuchten. Jedenfalls vermute ich das. „Deshalb bin ich immer noch so heiß aufs Rallyefahren: Um Gäste wie dich für unseren Sport zu begeistern. Richtig verstehen, kann man das erst, wenn man einmal selbst mitgefahren ist.“
Und plötzlich wird man in die Sitze gedrückt