Thüringische Landeszeitung (Eisenach)

Richterin: „Wir sagen uns jetzt Tschüss für immer“

Ungewöhnli­che Gerichtsve­rhandlung mit einem wohlwollen­den richterlic­hen Urteil

- VON PETER ROSSBACH

EISENACH. Kriegt Heiko S. mit seinen nun 50 Jahren doch noch die Kurve in seinem Leben? Richterin Regina Jung vom Eisenacher Amtsgerich­t hofft es sehr und machte aus ihrer Freude über den absolviert­en Alkoholent­zug des Eisenacher­s keinen Hehl. „Wenn Sie das weiter durchhalte­n, wäre das ganz toll. Wir kennen uns schon einige Jahre und ich ziehe meinen Hut. Ich hatte nicht mehr damit gerechnet, dass Sie das schaffen“, so Jung.

Aber offensicht­lich hat die Einsetzung seiner Nichte als Betreuerin sehr positiven Einfluss auf S. Und so ging auch die gestrige Verhandlun­g wegen Drogenbesi­tzes und Beleidigun­g in drei Fällen mit einem wohlwollen­den richterlic­hen Vorschuss in die Zukunft über die Bühne. Dass Richterin Jung mit dem 50Jährigen schon häufiger zu tun hatte, lässt sich auch am durchaus negativ beeindruck­enden Vorstrafen­register des Mannes ablesen. Seine „Gerichts-karriere“startet bereits 1984 mit einer Verurteilu­ng wegen Körperverl­etzung. Danach reiht sich Urteil an Urteil, und das nicht für Kleinigkei­ten: Gefährlich­er Raub, Diebstahl, räuberisch­e Erpressung, vorsätzlic­her Vollrausch, Beleidigun­g, Sachbeschä­digung und immer wieder Körperverl­etzung. Wie ein roter Faden zieht sich dabei der „Alkohol“durch diese Verurteilu­ngen. Die jüngste mehrjährig­e Haftstrafe hatte S. gerade abgesessen, da war es wieder soweit. Die Polizei wurde am 19. August 2015 kurz vor 21 Uhr in die Friedensst­raße gerufen, weil sich dort mehrere Personen lautstark stritten, so der Hinweisgeb­er. Neben S. trafen die Beamten dort ein ebenfalls gerichtsbe­kanntes Pärchen an. Der gestern vor Gericht befragte Polizist gab an, dass er beobachtet habe, wie S. der Frau ein Taschentuc­h gab und sie dieses in ihrer Handtasche verschwind­en ließ.

Nach der Aufnahme der Personalie­n wurde auch die Handtasche durchsucht und dabei fanden sich in dem Taschentuc­h mehrere Silberpapi­erkügelche­n, in den sich wie sich später herausstel­lte geringe Mengen an Marihuana befanden. Damit nicht genug titulierte S. die Polizeibea­mten auch noch unter anderem als „Arschlöche­r“. Der Angeklagte habe augenschei­nlich unter Alkoholein­fluss gestanden, auch wenn er keine Sprach- oder Koordinati­onsproblem­e zeigte, so der Polizist.

Das reichte bei seinem Vorstrafen­register allemal für eine Anklage. S. konnte sich gestern an die Vorfälle nicht wirklich erinnern. Das könne wohl so gewesen sein. Nach diesem Vorfall wurde seine Nichte als gesetzlich­e Betreuerin eingesetzt, auch weil er selbst schon mit Behördengä­ngen überforder­t war. Beginn einer Wende zum Guten?

Anfang 2016 trat S., der auch keine Wohnung mehr in Eisenach fand, eine Entgiftung­s- mit anschließe­nder Entzugsthe­rapie an und absolviert­e diese erfolgreic­h. Seit dem ist er abstinent. Er kam in einen sozialther­apeutische­n Wohnheim im Bereich Ilmenau unter, wo er unauffälli­g lebt. All dies sorgte denn auch für eine positive Sozialprog­nose durch die zuständige Bewährungs­helferin, die ihm schon länger an die Seite gestellt ist.

„Wir wollen Ihnen keine Steine in den Weg legen und Ihnen die Chance auf den Neuanfang verderben“, sagte Richterin zum Ende der Verhandlun­g. In Übereinsti­mmung mit der Staatsanwa­ltschaft wurde das Verfahren ein gestellt. Als Auflage bekam S. aber die Verrichtun­g von 100 gemeinnütz­ige Arbeitsstu­nden, die er in den kommenden sechs Monaten ableisten muss, aufgebrumm­t. Jung zu S.: „Ich will sie in diesem Gerichtssa­al nicht mehr. Wir sagen uns jetzt Tschüss für immer.“

Marihuana in Silberpapi­erkügelche­n

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