Thüringische Landeszeitung (Eisenach)
Richterin: „Wir sagen uns jetzt Tschüss für immer“
Ungewöhnliche Gerichtsverhandlung mit einem wohlwollenden richterlichen Urteil
EISENACH. Kriegt Heiko S. mit seinen nun 50 Jahren doch noch die Kurve in seinem Leben? Richterin Regina Jung vom Eisenacher Amtsgericht hofft es sehr und machte aus ihrer Freude über den absolvierten Alkoholentzug des Eisenachers keinen Hehl. „Wenn Sie das weiter durchhalten, wäre das ganz toll. Wir kennen uns schon einige Jahre und ich ziehe meinen Hut. Ich hatte nicht mehr damit gerechnet, dass Sie das schaffen“, so Jung.
Aber offensichtlich hat die Einsetzung seiner Nichte als Betreuerin sehr positiven Einfluss auf S. Und so ging auch die gestrige Verhandlung wegen Drogenbesitzes und Beleidigung in drei Fällen mit einem wohlwollenden richterlichen Vorschuss in die Zukunft über die Bühne. Dass Richterin Jung mit dem 50Jährigen schon häufiger zu tun hatte, lässt sich auch am durchaus negativ beeindruckenden Vorstrafenregister des Mannes ablesen. Seine „Gerichts-karriere“startet bereits 1984 mit einer Verurteilung wegen Körperverletzung. Danach reiht sich Urteil an Urteil, und das nicht für Kleinigkeiten: Gefährlicher Raub, Diebstahl, räuberische Erpressung, vorsätzlicher Vollrausch, Beleidigung, Sachbeschädigung und immer wieder Körperverletzung. Wie ein roter Faden zieht sich dabei der „Alkohol“durch diese Verurteilungen. Die jüngste mehrjährige Haftstrafe hatte S. gerade abgesessen, da war es wieder soweit. Die Polizei wurde am 19. August 2015 kurz vor 21 Uhr in die Friedensstraße gerufen, weil sich dort mehrere Personen lautstark stritten, so der Hinweisgeber. Neben S. trafen die Beamten dort ein ebenfalls gerichtsbekanntes Pärchen an. Der gestern vor Gericht befragte Polizist gab an, dass er beobachtet habe, wie S. der Frau ein Taschentuch gab und sie dieses in ihrer Handtasche verschwinden ließ.
Nach der Aufnahme der Personalien wurde auch die Handtasche durchsucht und dabei fanden sich in dem Taschentuch mehrere Silberpapierkügelchen, in den sich wie sich später herausstellte geringe Mengen an Marihuana befanden. Damit nicht genug titulierte S. die Polizeibeamten auch noch unter anderem als „Arschlöcher“. Der Angeklagte habe augenscheinlich unter Alkoholeinfluss gestanden, auch wenn er keine Sprach- oder Koordinationsprobleme zeigte, so der Polizist.
Das reichte bei seinem Vorstrafenregister allemal für eine Anklage. S. konnte sich gestern an die Vorfälle nicht wirklich erinnern. Das könne wohl so gewesen sein. Nach diesem Vorfall wurde seine Nichte als gesetzliche Betreuerin eingesetzt, auch weil er selbst schon mit Behördengängen überfordert war. Beginn einer Wende zum Guten?
Anfang 2016 trat S., der auch keine Wohnung mehr in Eisenach fand, eine Entgiftungs- mit anschließender Entzugstherapie an und absolvierte diese erfolgreich. Seit dem ist er abstinent. Er kam in einen sozialtherapeutischen Wohnheim im Bereich Ilmenau unter, wo er unauffällig lebt. All dies sorgte denn auch für eine positive Sozialprognose durch die zuständige Bewährungshelferin, die ihm schon länger an die Seite gestellt ist.
„Wir wollen Ihnen keine Steine in den Weg legen und Ihnen die Chance auf den Neuanfang verderben“, sagte Richterin zum Ende der Verhandlung. In Übereinstimmung mit der Staatsanwaltschaft wurde das Verfahren ein gestellt. Als Auflage bekam S. aber die Verrichtung von 100 gemeinnützige Arbeitsstunden, die er in den kommenden sechs Monaten ableisten muss, aufgebrummt. Jung zu S.: „Ich will sie in diesem Gerichtssaal nicht mehr. Wir sagen uns jetzt Tschüss für immer.“
Marihuana in Silberpapierkügelchen