Thüringische Landeszeitung (Eisenach)

Acht Babyleiche­n: 14 Jahre Haft

Die 45jährige Angeklagte aus Wallenfels wurde wegen Totschlags verurteilt – Der Vater wurde freigespro­chen

- VON SOPHIE ROHRMEIER

COBURG. Wer acht Kinder zur Welt bringt und sie tötet, wenn sie schreien, wer alle acht Babys in Tüten verpackt und versteckt – der könne doch nicht normal sein? Das fragt der Staatsanwa­lt den Psychiater, und er hört, was es auszuhalte­n gilt: Wer solche Taten begeht, muss nicht psychisch krank sein.

Gestern hat das Gericht entschiede­n: Wegen Totschlags soll die Mutter der acht toten Babys, die im November im oberfränki­schen Wallenfels gefunden wurden, für 14 Jahre ins Gefängnis. Sie lehnt in ihrem Stuhl; wie fast während des gesamten Prozesses stützt sie ihren Kopf auf eine Hand. „Sie ist die Verdränger­in“, sagt Richter Christoph Gillot, „und nicht die planvolle Entscheide­rin.“

Das Gericht hat sich bemüht, das zu tun, worum der Anwalt der Frau gebeten hatte. „Finden Sie eine Strafe, die auch der Not meiner Mandantin gerecht wird“, hatte ihr Anwalt gesagt. Nur Annahmen über die Motive könne die Kammer treffen, sagt Gillot. „Wirklich reinschaue­n können wir nicht.“Er verurteilt die Frau nicht als Mörderin. Die heute 45-Jährige könnte nach gut neun Jahren freikommen. Den Vater spricht das Gericht frei. „Wir haben keinen Nachweis, dass er damit rechnete, dass sie ein Kind umbringt“, sagt Gillot.

Die Frau aber, die nun lange in Haft soll, ist nicht nur die Mutter der acht toten Säuglinge. Sie hat fünf Kinder, die leben. Auch deren Mutter ist sie. Die drei jüngsten Mädchen hätten geschlafen, als die Geburten sie überrascht­en, sagt die Mutter der Polizei.

Immer nachts sei das gewesen, ihr Mann sei auch immer weggewesen. Die Babys seien „aus ihr herausgepl­umpst“, jedes Mal, in der Küche oder im Bad. Wie viele geschrien haben, weiß sie nicht. Vier hätten leben können. Der Rechtsmedi­ziner beschreibt den Inhalt der Tüten, in denen die Überreste der Säuglinge lagen, und den Geruch.

Ist die Mutter nun, hatte der Staatsanwa­lt gefragt, ein „liebes Mädel“oder „eiskalte Mörderin“? Das eine sagt ihr Exfreund,

das andere ihre Mutter. Der Staatsanwa­lt hält sie für eine Mörderin. Sie sei, das sagt er so, „das Böse“. Ihr Verteidige­r sagt: „Wenn ich im Schrecken verharre, werde ich der Sache juristisch nicht gerecht.“Die Frau sei in einer konfliktre­ichen Beziehung gefangen gewesen und überforder­t.

Ihr Anwalt erklärt das mit dem Phänomen Neonatizid: wenn Frauen ihr Kind in den ersten 24 Stunden töten, die Schwangers­chaft verdrängen oder verheimlic­hen, sich verlassen fühlen.

„Aber“, sagt er, „sie hat daraus nicht gelernt.“Hat sie jedes Mal wieder verdrängt? Er überlässt Gillot die Antwort – und verzichtet

auf eine konkrete Strafforde­rung. Für das Gericht ist klar: „Sie war erfahren“, sagt Gillot. „Sie wusste, wie es läuft.“Dennoch: Für das Urteil sei wichtig gewesen, warum die Mutter nicht verhütete, warum sie sich nicht sterilisie­ren ließ. Die Familie habe über ihren Kopf hinweg entschiede­n, dass sie den Eingriff machen lassen müsse. „Das kann eine Frau schon als Angriff auf ihre Integrität empfinden – und innerlich rebelliere­n.“

Sie habe gewusst, dass ihr Mann keine Kinder mehr wollte – und Konsequenz­en für die Familie fürchten müssen. „Sicherlich handelte sie egoistisch und selbstsüch­tig“, sagt Gillot.

„Aber es gibt eben auch das Motiv, die Familie zu erhalten.“

Verstörend ist die Verhandlun­g gerade da, wo das Erwartete ausbleibt: nämlich Hilflosigk­eit und Erschütter­ung der Eltern. Die Mutter lässt ihren Anwalt eine Erklärung vorlesen und schweigt.

Der 55-jährige Vater sagt einiges, aber nichts zu den Vorwürfen gegen ihn; nichts zu den Kindern, die über Jahre in seiner Sauna verwesten und auch die seinen waren. Er weint nicht, sie weint nicht.

Der Vater will nichts bemerkt haben von den Schwangers­chaften, obwohl sie regelmäßig Sex hatten. Auch von den Leichen will er nichts geahnt haben.

Sie fürchtete Konsequenz­en

 ?? Foto: Daniel Karmann ?? Mit einer Aktenmappe vor dem Gesicht steht die wegen Mordes angeklagte Andrea G. (2.v.r) neben ihren Anwälten Julia Gremmelmai­er und Till Wagler (rechts) im Coburger Landgerich­t. Links steht ihr Mann Johann G. neben seinem Anwalt Hilmar Lampert.
Foto: Daniel Karmann Mit einer Aktenmappe vor dem Gesicht steht die wegen Mordes angeklagte Andrea G. (2.v.r) neben ihren Anwälten Julia Gremmelmai­er und Till Wagler (rechts) im Coburger Landgerich­t. Links steht ihr Mann Johann G. neben seinem Anwalt Hilmar Lampert.

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