Thüringische Landeszeitung (Eisenach)
Kein Interesse an Mini-monstern
Wer beim Fahren nach den virtuellen Monstern sucht, riskiert seinen Versicherungsschutz
Die Tlz-leser, die sich an unserer Telefonumfrage beteiligt haben, sind sich überwältigend einig: Keiner will „Pokémon Go“spielen. Hier das Ted-ergebnis: JA: 0% NEIN: 100 %
BERLIN. Wer am Steuer des Autos Pokémons mit dem Handy jagt, gefährdet nicht nur sich und andere. Er riskiert auch den Versicherungsschutz. Denn wem dabei grobe Fahrlässigkeit nachgewiesen werden kann, der verliert unter Umständen den Schutz der Vollkaskoversicherung.
Das teilt der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) mit. Die Haftpflichtversicherung kommt aber weiter für Schäden an Dritten auf. Und die Versicherung kann den Fahrer nicht in Regress nehmen – anders, als wenn der Unfall unter Alkoholeinfluss und nicht durch die Handynutzung entstand.
Aber auch ohne Unfall: Autound Motorradfahrern droht ein Bußgeld von 60 Euro und ein Punkt in Flensburg für die Handynutzung. „Und das gilt auch schon, sobald ich das Handy in die Hand nehme“, sagt Diana Sprung vom ADAC. Radler müssen sich auf 25 Euro einstellen. „Wir empfehlen aber auch Fußgängern, beim geistesabwesenden Pokémon-go-spielen die Straßenverkehrsordnung im Auge zu haben“, sagt Hasso Suliak vom GDV. Denn die Straßenverkehrsordnung gilt auch für sie. Betreten sie die Fahrbahn, obwohl Seitenstreifen oder Gehwege vorhanden sind, werden fünf Euro fällig. Das gilt auch, wenn sie versunken ins Spiel bei Rot über die Ampel gehen oder über Absperrungen klettern. Werden dadurch Unfälle verursacht, wird es noch teurer.
Gefährliche Situationen entstehen laut ADAC vor allem durch Unachtsamkeit im Zusammenhang mit dem Spiel – wenn etwa plötzlich auftauchende Monster dazu verleiten, ohne zu gucken über die Straße zu laufen.
Eltern sollten Kinder für die Gefahren des Spiels sensibilisieren, sagt Sprung, gerade kleinere Kinder könnten die Gefahren oft noch nicht richtig einschätzen.
WEIMAR/ERFURT. Dutzende Pokémon-spieler, die über den Friedhof gehen während einer Beerdigung: Nein, das geht auch dem Social Media-experten der Evangelischen Kirche Mitteldeutschlands (EKM) zu weit. „Aufpassen an sensiblen Stätten“, rät er den Spielern. Aber die Suche per Smartphone nach den virtuellen Mini-monstern rund um die Kirchen hält Karsten Kopjar für eine Chance, wie er im Tlz-gespräch betont: Das Spiel informiert kurz über den Ort und seine Bedeutung. Und regt vielleicht an, sich genauer damit zu befassen.
„Prinzipiell sind wir offen. Wir finden das eine lustige Sache, ein schönes Spiel“, sagt er zu Pokémon Go. Vor allem sei gut an dem Spiel, dass „die Gamer Szene mal wieder rauskommt“, sagt er. Pokémon Go ist ein Spiel für Stubenhocker. Wer auf Fang gehen will, muss an die Frischluft. „Oft ist ja die Kritik: Wer online spielt, kommt gar nicht mehr mit anderen Menschen in Kontakt.“
Wenn jemand rund um eine Kirche nach Pokémons sucht, sei das positiv: „Da kommen Menschen mit Kirche in Kontakt, die sonst diesen Kontakt nicht haben.“Aber es sei nun auch nicht so, dass die EKM Werbung mache. Das sei zum Teil in den USA und in Großbritannien anders. „Es gibt Kommentare, aus denen hervorgeht, dass die Kirchen das dort intensiv bewerben. Da steht dann: Stellt den Leuten Essen und Trinken hin, damit sie möglichst lang bei euch in der Kirche bleiben. So weit gehen wir nicht. Wir wollen nicht gleich über biblische Themen reden, wenn jemand zu uns kommt. Aber wir sind offen.“
Der Theologe und Dozent, Autor und Berater für Medienprojekte bringt aber auch einen kritischen Aspekt ins Gespräch ein. Es bleibe die Frage an die Spieler, ob es gut sei, „sein ganzes Leben“auf diese Jagd auszurichten. Jeder solle sich überlegen: „Ist das mein Hauptinteresse am Leben oder nur ein Spiel?“So lange das Spiel ein Teil der Freizeit bleibe, sei alles in Ordnung. „Wenn jemand zehn Stunden am Wochenende spielt und danach wieder sein Leben lebt, dann ist das gut. Wenn aber jemand zu viel Zeit investiert und womöglich süchtig wird, können darunter Familie und Beruf leiden“, gibt er zu bedenken.
„So lange nichts Geistliches beeinträchtigt wird, haben wir nichts dagegen. Aber uns stört es nicht, wenn Spieler auf den Kirchentreppen sitzen. Dann sitzen sie schon nicht an einem schlechten Ort“, sagt Kopjar. Er denkt schon weiter, was nach Pokémon Go kommen könnte. Die nächste Generation eines solchen Spieles könnte mehr sein als das Fangen kleiner Monster. Er fände es gut, wenn es verstärkt darum ginge, „mit Menschen ins Gespräch zu kommen, die Schöpfung zu genießen, das Gute in der Welt zu sehen und miteinander in etwas zu machen.“Als Social Mediakoordinator beobachte er die Szene – und er weiß daher auch, dass „einige im Jugendpfarramt das Spiel aktiv spielen. Aber das ist deren Privatvergnügen und nicht kirchlicher Dienst“, macht er deutlich.
Der Verweis auf Friedhöfe ist übrigens nicht weit hergeholt: Deutschlands größter evangelischer Friedhof, der Südwestkirchhof Stahnsdorf bei Berlin, erlebt derzeit einen Ansturm von Pokémon-jägern, wie epd meldet. Scharen von Jugendlichen seien in den vergangenen Tagen wissensdurstig über den Friedhof gewandert und hätten nach den Gräbern bedeutender Persönlichkeiten gesucht, teilte Friedhofsverwalter Olaf Ihlefeldt mit. Was seit Jahren nur mäßig erfolgreich gelungen sei, Kindern und Jugendlichen die Friedhofskultur näher zu bringen, habe die App Pokémon Go in rasanter Geschwindigkeit geschafft, staunte der Friedhofsverwalter.
„Die nächsten Tage und Wochen werden zeigen, ob sich diese spielerischen Friedhofstouren mit dem Ort und der Bestimmung vereinbaren lassen und ob die Würde des Ortes nicht vergessen wird“, so Ihlefeldt. Vielleicht lasse sich ja dem Pokémon-fieber sogar ein Stück Bildungscharakter abgewinnen, hofft auch er darauf, dass das Spiel einen Mehrwert hat.
„Wenn jemand zehn Stunden am Wochenende spielt und danach wieder sein Leben lebt, dann ist das gut.” Karsten Kopjar, Medientheologe