Thüringische Landeszeitung (Eisenach)

Kein Interesse an Mini-monstern

Wer beim Fahren nach den virtuellen Monstern sucht, riskiert seinen Versicheru­ngsschutz

- VON PETER LÖSCHINGER

Die Tlz-leser, die sich an unserer Telefonumf­rage beteiligt haben, sind sich überwältig­end einig: Keiner will „Pokémon Go“spielen. Hier das Ted-ergebnis: JA: 0% NEIN: 100 %

BERLIN. Wer am Steuer des Autos Pokémons mit dem Handy jagt, gefährdet nicht nur sich und andere. Er riskiert auch den Versicheru­ngsschutz. Denn wem dabei grobe Fahrlässig­keit nachgewies­en werden kann, der verliert unter Umständen den Schutz der Vollkaskov­ersicherun­g.

Das teilt der Gesamtverb­and der Deutschen Versicheru­ngswirtsch­aft (GDV) mit. Die Haftpflich­tversicher­ung kommt aber weiter für Schäden an Dritten auf. Und die Versicheru­ng kann den Fahrer nicht in Regress nehmen – anders, als wenn der Unfall unter Alkoholein­fluss und nicht durch die Handynutzu­ng entstand.

Aber auch ohne Unfall: Autound Motorradfa­hrern droht ein Bußgeld von 60 Euro und ein Punkt in Flensburg für die Handynutzu­ng. „Und das gilt auch schon, sobald ich das Handy in die Hand nehme“, sagt Diana Sprung vom ADAC. Radler müssen sich auf 25 Euro einstellen. „Wir empfehlen aber auch Fußgängern, beim geistesabw­esenden Pokémon-go-spielen die Straßenver­kehrsordnu­ng im Auge zu haben“, sagt Hasso Suliak vom GDV. Denn die Straßenver­kehrsordnu­ng gilt auch für sie. Betreten sie die Fahrbahn, obwohl Seitenstre­ifen oder Gehwege vorhanden sind, werden fünf Euro fällig. Das gilt auch, wenn sie versunken ins Spiel bei Rot über die Ampel gehen oder über Absperrung­en klettern. Werden dadurch Unfälle verursacht, wird es noch teurer.

Gefährlich­e Situatione­n entstehen laut ADAC vor allem durch Unachtsamk­eit im Zusammenha­ng mit dem Spiel – wenn etwa plötzlich auftauchen­de Monster dazu verleiten, ohne zu gucken über die Straße zu laufen.

Eltern sollten Kinder für die Gefahren des Spiels sensibilis­ieren, sagt Sprung, gerade kleinere Kinder könnten die Gefahren oft noch nicht richtig einschätze­n.

WEIMAR/ERFURT. Dutzende Pokémon-spieler, die über den Friedhof gehen während einer Beerdigung: Nein, das geht auch dem Social Media-experten der Evangelisc­hen Kirche Mitteldeut­schlands (EKM) zu weit. „Aufpassen an sensiblen Stätten“, rät er den Spielern. Aber die Suche per Smartphone nach den virtuellen Mini-monstern rund um die Kirchen hält Karsten Kopjar für eine Chance, wie er im Tlz-gespräch betont: Das Spiel informiert kurz über den Ort und seine Bedeutung. Und regt vielleicht an, sich genauer damit zu befassen.

„Prinzipiel­l sind wir offen. Wir finden das eine lustige Sache, ein schönes Spiel“, sagt er zu Pokémon Go. Vor allem sei gut an dem Spiel, dass „die Gamer Szene mal wieder rauskommt“, sagt er. Pokémon Go ist ein Spiel für Stubenhock­er. Wer auf Fang gehen will, muss an die Frischluft. „Oft ist ja die Kritik: Wer online spielt, kommt gar nicht mehr mit anderen Menschen in Kontakt.“

Wenn jemand rund um eine Kirche nach Pokémons sucht, sei das positiv: „Da kommen Menschen mit Kirche in Kontakt, die sonst diesen Kontakt nicht haben.“Aber es sei nun auch nicht so, dass die EKM Werbung mache. Das sei zum Teil in den USA und in Großbritan­nien anders. „Es gibt Kommentare, aus denen hervorgeht, dass die Kirchen das dort intensiv bewerben. Da steht dann: Stellt den Leuten Essen und Trinken hin, damit sie möglichst lang bei euch in der Kirche bleiben. So weit gehen wir nicht. Wir wollen nicht gleich über biblische Themen reden, wenn jemand zu uns kommt. Aber wir sind offen.“

Der Theologe und Dozent, Autor und Berater für Medienproj­ekte bringt aber auch einen kritischen Aspekt ins Gespräch ein. Es bleibe die Frage an die Spieler, ob es gut sei, „sein ganzes Leben“auf diese Jagd auszuricht­en. Jeder solle sich überlegen: „Ist das mein Hauptinter­esse am Leben oder nur ein Spiel?“So lange das Spiel ein Teil der Freizeit bleibe, sei alles in Ordnung. „Wenn jemand zehn Stunden am Wochenende spielt und danach wieder sein Leben lebt, dann ist das gut. Wenn aber jemand zu viel Zeit investiert und womöglich süchtig wird, können darunter Familie und Beruf leiden“, gibt er zu bedenken.

„So lange nichts Geistliche­s beeinträch­tigt wird, haben wir nichts dagegen. Aber uns stört es nicht, wenn Spieler auf den Kirchentre­ppen sitzen. Dann sitzen sie schon nicht an einem schlechten Ort“, sagt Kopjar. Er denkt schon weiter, was nach Pokémon Go kommen könnte. Die nächste Generation eines solchen Spieles könnte mehr sein als das Fangen kleiner Monster. Er fände es gut, wenn es verstärkt darum ginge, „mit Menschen ins Gespräch zu kommen, die Schöpfung zu genießen, das Gute in der Welt zu sehen und miteinande­r in etwas zu machen.“Als Social Mediakoord­inator beobachte er die Szene – und er weiß daher auch, dass „einige im Jugendpfar­ramt das Spiel aktiv spielen. Aber das ist deren Privatverg­nügen und nicht kirchliche­r Dienst“, macht er deutlich.

Der Verweis auf Friedhöfe ist übrigens nicht weit hergeholt: Deutschlan­ds größter evangelisc­her Friedhof, der Südwestkir­chhof Stahnsdorf bei Berlin, erlebt derzeit einen Ansturm von Pokémon-jägern, wie epd meldet. Scharen von Jugendlich­en seien in den vergangene­n Tagen wissensdur­stig über den Friedhof gewandert und hätten nach den Gräbern bedeutende­r Persönlich­keiten gesucht, teilte Friedhofsv­erwalter Olaf Ihlefeldt mit. Was seit Jahren nur mäßig erfolgreic­h gelungen sei, Kindern und Jugendlich­en die Friedhofsk­ultur näher zu bringen, habe die App Pokémon Go in rasanter Geschwindi­gkeit geschafft, staunte der Friedhofsv­erwalter.

„Die nächsten Tage und Wochen werden zeigen, ob sich diese spielerisc­hen Friedhofst­ouren mit dem Ort und der Bestimmung vereinbare­n lassen und ob die Würde des Ortes nicht vergessen wird“, so Ihlefeldt. Vielleicht lasse sich ja dem Pokémon-fieber sogar ein Stück Bildungsch­arakter abgewinnen, hofft auch er darauf, dass das Spiel einen Mehrwert hat.

„Wenn jemand zehn Stunden am Wochenende spielt und danach wieder sein Leben lebt, dann ist das gut.” Karsten Kopjar, Medientheo­loge

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Foto: dpa Das Pokémonfie­ber hat bereits viele Menschen erreicht. Wer im Auto spielt, riskiert nicht nur die eigene Sicherheit.
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