Thüringische Landeszeitung (Eichsfeld)

Schadstoff zu Treibstoff?

Aus dem Klimakille­r Kohlendiox­id könnte der Sprit der Zukunft hergestell­t werden. Doch Umweltschü­tzer warnen

- VON JÜRGEN POLZIN

BERLIN. Weltweit arbeiten Forscher und Unternehme­n an Möglichkei­ten, das Klimagas Kohlendiox­id (CO2) zu speichern und es in einen Wertstoff umzuwandel­n, statt es in die Atmosphäre zu entlassen. Das Carbon Capture and Utilizatio­n (CCU) genannte Verfahren nährt insbesonde­re in Deutschlan­d die Hoffnung, dass neue synthetisc­he Treibstoff­e die klimaschäd­lichen Emissionen im Verkehrsse­ktor verringern. Doch eine Analyse der Umweltstif­tung WWF kommt zu dem Schluss: Die Kraftstoff­e der Zukunft sind kein Wundermitt­el, um die Klimaziele zu erfüllen. Im Gegenteil: Sie könnten dem Klima extrem schaden.

Das Wwf-papier platzt damit mitten hinein in eine Debatte, in der „klimaneutr­ale Treibstoff­e“immer wieder als Argument für den totgesagte­n Verbrennun­gsmotor genannt werden. Auch gilt der angeblich Co2-neutrale Sprit als Hoffnungst­räger auf dem Weg in eine Wirtschaft, in der der Ausstoß von Treibhausg­asen auf null gebracht werden soll: Der Weltklimar­at IPCC hatte vor wenigen Wochen in einem Bericht deutlich gemacht, dass schon in den kommenden Jahren damit begonnen werden muss, das Klimagas mit Technologi­en wie CCU aus der Atmosphäre zu ziehen, um Folgen des Klimawande­ls zu begrenzen.

Auch Deutschlan­d hofft auf CCU. Alternativ­e Kraftstoff­e sind das Hauptthema der Arbeitsgru­ppe 2 in der „Nationalen Plattform Zukunft der Mobilität“, die an diesem Mittwoch ihre Arbeit aufnimmt. Die Expertenru­nde soll – wie aktuell auch die „Kohlekommi­ssion“– Handlungse­mpfehlunge­n für die Bundesregi­erung erarbeiten. Für die Umweltstif­tung WWF jedoch muss die Zukunft noch ein bisschen warten: In einer Analyse, die unserer Redaktion vorliegt, warnen die Umweltschü­tzer vor einer breiten Anwendung im Verkehrsse­ktor.

Das Problem: CCU ist ein wahrer Stromfress­er. In dem Verfahren wird Kohlendiox­id aus Industriep­rozessen aufgefange­n, etwa in Kohlekraft­werken. Das erfordert viel Strom. Problem Nummer zwei: Kohlendiox­id ist extrem träge. Um daraus überhaupt Substanzen herstellen zu können, ist eine chemische Umwandlung nötig, die ebenfalls nur mit reichliche­r Energiezuf­uhr in Gang gesetzt werden kann. Deswegen könne in diesem Fall von einem echten Kohlenstof­fkreislauf keine Rede sein, argumentie­rt WWF: „Solange fossile Energieträ­ger wie Kohle oder Gas den für die Umwandlung benötigten Strom erzeugen, entstehen zusätzlich­e Emissionen“, sagte Autorin Erika Bellmann. „Im Vergleich zu einem Elektroaut­o würde ein Auto mit Ccu-benzin fünfmal so viel an Strom verbrauche­n.“

Fünfmal so viel Strom wie bei einem Elektroaut­o

Ähnlich schlecht sehe die Bilanz aus, wenn durch CCU erzeugtes Gas für das Heizen verbraucht würde. Würde etwa die Heizung eines Wohnhauses mit CCUGAS betrieben, würde dabei fünfmal so viel Strom verbraucht wie bei einer heute üblichen Wärmepumpe, heißt es in dem Positionsp­apier.

„Aus unserer Sicht ist daher eine Diskussion über angeblich klimaneutr­ale Treibstoff­e unseriös, insbesonde­re mit Blick auf den Kohleausst­ieg“, kritisiert Bellmann. „Mit dem heutigen Strommix in Deutschlan­d verursache­n fast alle Ccu-produkte mehr klimaschäd­liche Emissionen als der Status quo.“

Demnach bräuchte CCU strenge Klimakrite­rien, um einen nennenswer­ten Beitrag zum Klimaschut­z zu leisten: Erst wenn die Kohlekraft­werke abgeschalt­et und die deutsche Stromverso­rgung zu 80 Prozent aus erneuerbar­en Energien erfolge, würde ein mit Ccu-benzin fahrendes Auto in Sachen Umweltbila­nz gleichauf mit herkömmlic­hen Benzinern liegen. Doch selbst dann müssten Ccutreibst­offe aus sonnen- oder windreiche­n Regionen herantrans­portiert werden. Erika Bellmann glaubt: „Eine Einsparung von Treibhausg­asen durch Ccu-kraftstoff­e im Pkw-verkehr wird es nicht geben.“

Und doch teilen Umweltschü­tzer wie der WWF die Ansichten vieler Wissenscha­ftler, dass die Wiederverw­ertung von Kohlendiox­id in einigen Sektoren durchaus sinnvoll sein könnte – etwa im Flugverkeh­r, wo derzeit keine anderen Antriebe vorstellba­r sind. „Hier sind Ccu-produkte zumindest eine Alternativ­e zu erdölbasie­rten Treibstoff­en“, sagt Bellmann.

Noch deutlicher spricht sich der WWF für den Einsatz des Ccu-verfahrens in der chemischen Industrie aus: „Mit CCU kann ein Kreislauf des Kohlenstof­fs entstehen, wenn chemische Grundstoff­e hergestell­t und zu langlebige­n, recycelbar­en Produkten verarbeite­t werden“, so Bellmann. Das wäre, wonach Industrieu­nternehmen derzeit suchen: eine neue Rohstoffba­sis, unabhängig von Kohle, Erdöl oder Erdgas.

Und so weit entfernt ist die Zukunft nicht. Im Stahlwerk von Thyssenkru­pp in Duisburg wird bereits damit begonnen, aus Emissionen chemische Produkte herzustell­en. Es ist nicht viel, aber es ist ein Anfang, sagt das Unternehme­n.

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Carbonchem: Thyssenkru­pp gewinnt aus den Co-emissionen seines Stahlwerks in Duisburg den Chemierohs­toff Methanol. Umweltschü­tzer sehen das CCU genannte Verfahren im Verkehrsse­ktor kritisch. Foto: Ilja Höpping/funke Foto Services
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Zukunft im Tank? Aus Kohlendiox­id sollen Treibstoff­e erzeugt werden. Foto: dpa

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