Thüringische Landeszeitung (Eichsfeld)
Schadstoff zu Treibstoff?
Aus dem Klimakiller Kohlendioxid könnte der Sprit der Zukunft hergestellt werden. Doch Umweltschützer warnen
BERLIN. Weltweit arbeiten Forscher und Unternehmen an Möglichkeiten, das Klimagas Kohlendioxid (CO2) zu speichern und es in einen Wertstoff umzuwandeln, statt es in die Atmosphäre zu entlassen. Das Carbon Capture and Utilization (CCU) genannte Verfahren nährt insbesondere in Deutschland die Hoffnung, dass neue synthetische Treibstoffe die klimaschädlichen Emissionen im Verkehrssektor verringern. Doch eine Analyse der Umweltstiftung WWF kommt zu dem Schluss: Die Kraftstoffe der Zukunft sind kein Wundermittel, um die Klimaziele zu erfüllen. Im Gegenteil: Sie könnten dem Klima extrem schaden.
Das Wwf-papier platzt damit mitten hinein in eine Debatte, in der „klimaneutrale Treibstoffe“immer wieder als Argument für den totgesagten Verbrennungsmotor genannt werden. Auch gilt der angeblich Co2-neutrale Sprit als Hoffnungsträger auf dem Weg in eine Wirtschaft, in der der Ausstoß von Treibhausgasen auf null gebracht werden soll: Der Weltklimarat IPCC hatte vor wenigen Wochen in einem Bericht deutlich gemacht, dass schon in den kommenden Jahren damit begonnen werden muss, das Klimagas mit Technologien wie CCU aus der Atmosphäre zu ziehen, um Folgen des Klimawandels zu begrenzen.
Auch Deutschland hofft auf CCU. Alternative Kraftstoffe sind das Hauptthema der Arbeitsgruppe 2 in der „Nationalen Plattform Zukunft der Mobilität“, die an diesem Mittwoch ihre Arbeit aufnimmt. Die Expertenrunde soll – wie aktuell auch die „Kohlekommission“– Handlungsempfehlungen für die Bundesregierung erarbeiten. Für die Umweltstiftung WWF jedoch muss die Zukunft noch ein bisschen warten: In einer Analyse, die unserer Redaktion vorliegt, warnen die Umweltschützer vor einer breiten Anwendung im Verkehrssektor.
Das Problem: CCU ist ein wahrer Stromfresser. In dem Verfahren wird Kohlendioxid aus Industrieprozessen aufgefangen, etwa in Kohlekraftwerken. Das erfordert viel Strom. Problem Nummer zwei: Kohlendioxid ist extrem träge. Um daraus überhaupt Substanzen herstellen zu können, ist eine chemische Umwandlung nötig, die ebenfalls nur mit reichlicher Energiezufuhr in Gang gesetzt werden kann. Deswegen könne in diesem Fall von einem echten Kohlenstoffkreislauf keine Rede sein, argumentiert WWF: „Solange fossile Energieträger wie Kohle oder Gas den für die Umwandlung benötigten Strom erzeugen, entstehen zusätzliche Emissionen“, sagte Autorin Erika Bellmann. „Im Vergleich zu einem Elektroauto würde ein Auto mit Ccu-benzin fünfmal so viel an Strom verbrauchen.“
Fünfmal so viel Strom wie bei einem Elektroauto
Ähnlich schlecht sehe die Bilanz aus, wenn durch CCU erzeugtes Gas für das Heizen verbraucht würde. Würde etwa die Heizung eines Wohnhauses mit CCUGAS betrieben, würde dabei fünfmal so viel Strom verbraucht wie bei einer heute üblichen Wärmepumpe, heißt es in dem Positionspapier.
„Aus unserer Sicht ist daher eine Diskussion über angeblich klimaneutrale Treibstoffe unseriös, insbesondere mit Blick auf den Kohleausstieg“, kritisiert Bellmann. „Mit dem heutigen Strommix in Deutschland verursachen fast alle Ccu-produkte mehr klimaschädliche Emissionen als der Status quo.“
Demnach bräuchte CCU strenge Klimakriterien, um einen nennenswerten Beitrag zum Klimaschutz zu leisten: Erst wenn die Kohlekraftwerke abgeschaltet und die deutsche Stromversorgung zu 80 Prozent aus erneuerbaren Energien erfolge, würde ein mit Ccu-benzin fahrendes Auto in Sachen Umweltbilanz gleichauf mit herkömmlichen Benzinern liegen. Doch selbst dann müssten Ccutreibstoffe aus sonnen- oder windreichen Regionen herantransportiert werden. Erika Bellmann glaubt: „Eine Einsparung von Treibhausgasen durch Ccu-kraftstoffe im Pkw-verkehr wird es nicht geben.“
Und doch teilen Umweltschützer wie der WWF die Ansichten vieler Wissenschaftler, dass die Wiederverwertung von Kohlendioxid in einigen Sektoren durchaus sinnvoll sein könnte – etwa im Flugverkehr, wo derzeit keine anderen Antriebe vorstellbar sind. „Hier sind Ccu-produkte zumindest eine Alternative zu erdölbasierten Treibstoffen“, sagt Bellmann.
Noch deutlicher spricht sich der WWF für den Einsatz des Ccu-verfahrens in der chemischen Industrie aus: „Mit CCU kann ein Kreislauf des Kohlenstoffs entstehen, wenn chemische Grundstoffe hergestellt und zu langlebigen, recycelbaren Produkten verarbeitet werden“, so Bellmann. Das wäre, wonach Industrieunternehmen derzeit suchen: eine neue Rohstoffbasis, unabhängig von Kohle, Erdöl oder Erdgas.
Und so weit entfernt ist die Zukunft nicht. Im Stahlwerk von Thyssenkrupp in Duisburg wird bereits damit begonnen, aus Emissionen chemische Produkte herzustellen. Es ist nicht viel, aber es ist ein Anfang, sagt das Unternehmen.