Thüringische Landeszeitung (Eichsfeld)

Als Carl Leberecht Schwabe Schillers Schädel suchte

- VON PROF. DR. DETLEF JENA

Weimar hat viele Bürgermeis­ter gesehen. Zu den besonders oft erwähnten zählt Carl Leberecht Schwabe (1778– 1851), der von 1820 bis 1838 an der Spitze der Stadt stand. Schwabe ist nicht in die Geschichte eingegange­n, weil er den kleinen Erbprinzen Carl Friedrich heimlich mit Weißbrot versorgt hat, das man ihm bei Hofe verweigert­e. Auch die Bautätigke­it in der Residenzst­adt während der Amtsführun­g Schwabes wird eher mit dem Architekte­n Coudray und dem Großherzog in Verbindung gebracht. Eigentlich verdankt Schwabe seinen historisch­en Ruhm einer entschloss­enen Einzeltat, deren nachhaltig­en Folgen sowie den Bemühungen seines Sohnes Julius Schwabe (1821–1892), das väterliche Treiben in das rechte Licht der Geschichte zu rücken. Aus all dem ging ein wahrer Weimarer Pitaval hervor, wie ihn sich keiner dieser modernen Krimiautor­en ausdenken kann, deren ambitionie­rte Schar heuer so hoch gelobt wird.

Irgendwie erinnern die aber doch auch wieder an Altweimar zu Zeiten Schwabes: Damals amüsierten sich Besucher darüber, dass in Weimar an allen möglichen Winkeln junge Damen und Herren mit wirren Haaren und leeren Blicken stünden, ein Pergament in den Händen und beseelt von dem Wunsch, auch etwas Geniales zu Papier zu bringen – wie die Herren Goethe & Co.

Für Schwabe begann alles mit Schillers Tod am 9. Mai 1805. Er gehörte zu der kleinen Gruppe von Schillerve­rehrern, die den großen Dichter bei Nacht und Nebel im Kassengewö­lbe auf dem Jacobsfrie­dhof der Stadt zu Grabe trugen, getreu den städtische­n Gewohnheit­en: „Es war ein altes Herkommen in Weimar, daß bei Beerdigung­en, die durch besondere Feierlichk­eit ausgezeich­net werden sollten, die eigentlich­e Beisetzung der Leichen in stiller Nacht mit nur geringer Begleitung und ohne kirchliche Weihe stattfand. Erst am darauf folgenden Tage wurde in der Gottesacke­rkirche die religiöse Trauerfeie­r, die sogenannte ,Kollekte’ gehalten, an welcher sich alle, die dem Toten die letzte Ehre geben wollten, beteiligte­n.“

Schwabe ruht auf Weimars Historisch­em Friedhof, und der Grabstein hat das Ereignis festgehalt­en: „Carl Lebrecht Schwabe treuer Verehrer Schil lers verwirkte dessen Ueberführu­ng nachts 11/12. Mai 1805.“Schwabe beschreibt in seinen Erinnerung­en detaillier­t, welche logistisch­e Meisterlei­stung damit selbst in dem kleinen Weimar in der Kürze der Zeit verbunden gewesen ist.

Der Grabstein bezeugt weiter: „Als Bürgermeis­ter von Weimar rettete er daraus im März 1826 Schillers Gebeine für die Fürstengru­ft.“

Hinter der nüchternen Notiz verbirgt sich die ganze dramatisch­e Geschichte: 21 Jahre nach Schillers Ableben befahl das Landschaft­skollegium die Räumung des Kassengewö­lbes. Schwabe suchte verzweifel­t nach den Gebeinen Schillers: „Doch er fand nur ein Chaos von faulenden Sargtrümme­rn, Zeug fetzen und bunt umherliege­nden Gebeinen, wie es nur vieljährig­e gänzliche Vernachläs­sigung des Ortes und die darin herrschend­e dumpfe Feuchtigke­it hervorbrin­gen konnte. Vergebens war alles Suchen; kein einziges Zeichen ließ erkennen, daß eines der vorhandene­n Holzstücke zu Schillers Sarg gehört hatte.“

Der Leser ahnt es natürlich: Schwabe ließ sich nicht entmutigen! Er stieg mehrere Nächte zu den Arbeitern in das verfallene Gewölbe ein: „Dreiundzwa­nzig Schädel wurden gefunden. Dreiundzwa­nzig Personen waren, wie die Akten des Landschaft­skollegium­s erwiesen, seit der letzten, vor zweiunddre­ißig Jahren stattgehab­ten Ausräumung des Kassengewö­lbes beigesetzt worden. Also mußte sich unter den gefundenen Schädeln der Schillersc­he befinden. Die dreiundzwa­nzig Schädel ließ mein Vater in seine Wohnung tragen. Hier wurden sie gereinigt und auf einem großen Tische aufgestell­t. Wie der Gott unter den Hirten, so hob sich vor seinen zweiundzwa­nzig Genossen durch die edle Gestaltung und Größe ein Schädel hervor. Mein Vater zweifelte keinen Augenblick, daß es der Schillersc­he sei, und ebenso bezeichnet­en zahlreiche Männer, welche Schiller persönlich gekannt hatten und zur Besichtigu­ng der Schädel eingeladen worden waren, ohne Ausnahme einen und denselben Schädel als den Schillers.“Doch das war ein Irrtum, der die literarisc­he Welt und das Gedächtnis Weimars auch noch 200 Jahre später beschäftig­t. Schillers Schädel wurde nie gefunden, sein Sarg in der Fürstengru­ft ist leer. Doch Bürgermeis­ter Schwabe ruht nach erfüllter Pflicht in Frieden.

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