Thüringische Landeszeitung (Eichsfeld)
Der alte Präsident ist der neue
Wladimir Putin gewinnt die Wahl in Russland, verfehlt aber die angestrebte Wahlbeteiligung
MOSKAU. Am Ende gibt es für die Chef-strategen im Kreml doch einen Wermutstropfen. Zwar gewinnt Wladimir Putin die Präsidentschaftswahl am Sonntag haushoch. Nach Auszählung von gut der Hälfte der Stimmen entfällt am Sonntagabend laut Wahlleitung auf ihn ein Anteil von rund 75 Prozent. Doch die Wahlbeteiligung liegt Prognosen zufolge mit rund 65 Prozent unter den Erwartungen. Der Präsidentenapparat hatte zuvor die Zielmarken „70/70“ausgegeben. 70 Prozent Wahlbeteiligung und 70 Prozent für Putin.
Die Präsidentschaftswahl sichert Putin die vierte Amtszeit. Der Amtsinhaber stimmte gegen 9.30 Uhr Ortszeit in Moskau ab. Ihm sei jedes Wahlergebnis recht, das ihm erlaube, seine Pflichten als Präsident weiter auszuüben, erklärt er gegenüber Journalisten.
Gegen Putin traten am Sonntag sieben Anwärter an. Zweitplatzierter wurde der Groß-farmer Pawel Grudinin mit rund 13 Prozent, Dritter der Rechtspopulist Wladimir Schirinowski mit knapp sechs Prozent. Für die liberale Tv-journalistin Xenia Sobtschak wurde nur gut ein Prozent gezählt. Die übrigen Kandidaten bekamen noch weniger Stimmen. Der Kandidat mit den größten Chancen gegen Putin, der Aktivist Alexej Nawalny, durfte nicht zur Wahl antreten. Gegen ihn wurde ein dubioses Steuerverfahren eröffnet. Er hat zum Wahlboykott aufgerufen, der aber offenbar nur von einer Minderheit befolgt wird. Vor der Mittelschule 16 in Moskauer Stadtteil Odinzowo dudelt ein alter Sowjetschlager aus dem Lautsprecher. Drinnen herrscht lebhafter Verkehr. Viele Wähler sind mit kleinen Kindern hier. Leute stecken den Kopf in einen Rahmen mit dem Logo „Instagram“und der Aufschrift: „Ich habe heute den Präsidenten Russlands gewählt.“
Auf den Bildschirmoberflächen der beiden elektronischen Urnen im Wahllokal 2018 leuchten Ziffern. Insgesamt haben um 13.15 Uhr Ortszeit 318 von 685 Stimmberechtigten gewählt, erzählt Pawel Golubew, der Vorsitzende der Wahlkom- mission. „Bei uns ist alles in bester Ordnung.“Ein junger Wahlbeobachter der liberalen Oppositionspartei Jawlinski, der mit einer Stechuhr neben den Urnen sitzt, bestätigt dies.
Gewinnspiele sollen Wähler anlocken
Anderswo geht die Abstimmung nicht so reibungslos über die Bühne. Im nahen Ljuberzi erwischen Wahlbeobachter eine Mitarbeiterin der Wahlkommission, als sie einen ganzen Stapel Stimmzettel in die Urne steckt. Die Zentrale Wahlkommission bestätigt den Verstoß und suspendiert mehrere Beteiligte. Im dagestanischen Machatschkala drängen dem Nachrichtenportal meduza.io zufolge Kampfsportler Wahlbeobachter ab und schlagen sie. Danach stopfen sie Stimmzettel in die Urnen. Insgesamt registrieren die Wahlbeobachter vor Schließung der Wahllokale mehr als 2500 Manipulationsversuche. Nach Angaben des Innenministeriums wer- den rund 650 Vorfälle gemeldet.
Im Internet kursieren zahlreiche Videos, die zeigen, wie Wähler mehrere Stimmzettel gleichzeitig abgeben wollten. Zudem seien Namen einiger Wähler auf mehreren Listen aufgetaucht, Wahlurnen nicht korrekt verschlossen gewesen, heißt es.
„Einige Männer mit schwarzen Jacken kommen hier schon zum dritten Mal her, um ihre Stimme abzugeben“, flüstert Beobachterin Anna im Moskauer Wahllokal der Schule 1541. Auch in anderen Bezirken seien die Schwarzjacken schon gewesen, hätten ihr Kollegen erzählt. Sie dokumentiert über den sicheren Messenger-dienst Telegram ihre Beobachtungen. „Es wird wieder manipuliert“, sagt der Sankt Petersburger Politologe Dmitri Trawin. Aber dabei kämen nur ein paar Prozentpunkte mehr für Putin heraus.
Moskauer Studenten erzählen, sie erhielten Lehrbonuspunkte für die Teilnahme an der Wahl. Vor den Wahllokalen in Wahl in der Provinz: Bewohner eines Dorfs in der Region Smolensk schauen auf den Wahlzettel. Foto: rtr mehreren russischen Regionen werden Lotterien veranstaltet, bei denen Wähler iphones und andere Elektrogeräte gewinnen können. Anderswo winken verbilligte Kinokarten.
In der Schule Nummer 16 in Odinzowo steht ein Ehepaar vor den Stellwand mit den Kandidaten und deren Steuererklärungen: „Schau mal, Xenias Mann hat im letzten Jahr zehn Millionen verdient“, sagt die Ehefrau. „Offiziell“, antwortet er und grinst. Für viele Bürger ist es selbstverständlich, trotz des erwartbaren Ergebnisses zu wählen. „Das ist doch meine Bürgerpflicht. Ich stimme hier über die Zukunft meiner Heimat ab“, sagt die 31-jährige Natalja in der Hauptstadt, während ihre Tochter im Schnee spielt. „Ich habe natürlich Putin gewählt. Mir gefällt, wie er redet“, sagt Rentnerin Jekaterina im Wahllokal an der Moskauer Schule 1541. Sie kauft noch schnell ein an einem Lebensmittelstand, der Wähler mit günstigen Preisen zur Stimmabgabe locken sollte. Ein Mann ruft im Vorbeigehen: „Für Putin. Wen sonst?“