Thüringische Landeszeitung (Eichsfeld)
Im Rausch der Geschwindigkeit
Der Motorsportclub Heilbad Heiligenstadt im ADAC feiert den 60. Geburtstag und gleichzeitig 95 Jahre Motorsportgeschichte im Eichsfeld
HEILIGENSTADT. Wenn sich heute Abend die Türen im Eichsfelder Kulturhaus öffnen und der Festakt mit geladenen Gästen beginnt, dann gibt es mehr zu feiern, als den 60. Geburtstag des Motorsportclubs Heilbad Heiligenstadt im ADAC. Denn Motorsport im Eichsfeld wird bereits seit 1923 betrieben.
Das Automobil war noch jung. Auch Motorräder gab es noch nicht lange. „Damals“, so weiß Hermann Ludolph, der heute dem Motorsportclub vorsteht, gab es die ersten Fans der knatternden Zweiräder in der Stadt, die gemeinsam nach Höherem strebten. „Das Ergebnis ihrer Arbeit war die Ausrichtung von insgesamt vier Bergrennen, die in den Jahren 1925 bis 1929 stattfanden und ausschließlich den Motorrädern vorbehalten waren“, plaudert Ludolph aus der Geschichte.
Dann kam die Rezession, die Bergrennen schliefen wieder ein. Noch heute gibt es vereinzelt Zeitzeugen, nämlich Programmhefte der Veranstaltungen. Die werden im Club heute wie ein Schatz gehütet. Es folgten schwere Jahre, erst die Nszeit, dann der Wiederaufbau. „An Rennsport war da nicht mehr zu denken.“
Doch leise keimte Ende der 40er-jahre ein neues zartes Pflänzchen. Wieder war es eine Hand voll Motorradfahrer. Willi Degenhardt, Karl Weber, Klaus Kanngießer, Hans Althoff und Josef König führten bald die großen Rennen an, die damals in der sowjetischen Besatzungszone gefahren wurden. „Eigentlich waren es Aloys König und Werner Poppe, die als treibende Kräfte hinter dem organisierten Motorsport standen“, blickt Hermann Ludolph voller Respekt auf die Gründungsväter, die die Sektion Motorrennsport ins Leben riefen. Es war in den Abendstunden des 28. März 1958, als im Saal des Hotels „Eichsfelder Hof“in der Heiligenstädter Wilhelmstraße die Sektion Motorrennsport dem ADMV, dem Allgemeinen Deutschen Motorsportverband, beitrat und damit den „Motorsportclub Heiligenstadt im ADMV der DDR“aus der Taufe hob. Der Vorsitz ging – man musste sich den politischen Gepflogenheiten beugen, denn die Nominierung für diesen Posten hatten die Bezirksleitung des ADMV und die SED festgelegt – an Erwin Retzlaff vom Rat des Kreises. Das Amt des Stellvertreters bekam Walter Müller auf Werner Poppes Vorschlag hin, obwohl Poppe ihm noch nie begegnet war. Müller war zwar auch Funktionär des Rates des Kreises, genauer gesagt dessen stellvertretender Vorsitzender, gehörte aber wenigstens der CDU an. Die Festrede hielt damals der Vorsitzende der Admv-bezirksleitung, der alles, was politisch gesagt werden musste, auch vorbrachte. Als aber Retzlaff in seiner ihm vorgefertigten Rede alle politischen Themen noch einmal langwierig ausführte, verließen einige ältere Sportfreunde demonstrativ den Saal. Doch Retzlaffs Vorsitz dauerte nur einen Tag, denn er ließ sich nach dem Abend nie wieder blicken. Daraufhin rückte sofort der – heimliche – Wunschkandidat der Motorsportler, Walter Müller, nach. Insgesamt sollte der Club im Laufe der kommenden 15 Jahre elf K-wagenrennen (vergleichbar mit den heutigen Go-karts, ausrichten. Nach und nach wurden Motocross-rennen akribisch ausgebaut. Dafür zeichneten die Brüder Walter und Rigobert Althaus sowie Dietrich Sobeck verantwortlich.
Es folgten Ddr-meistertitel, sogar die Teilnahme an Rennen im westlichen Ausland wurde gestattet. „Allerdings nur in Begleitung eines Funktionärs, der dafür Sorge tragen musste, dass auch alle wieder in die DDR zurückreisten“, weiß Friedhelm Ferner, der vor Ludolph den Vorsitz innehatte. 1966 bis 1974 existierte im MC sogar eine Frauensportgruppe, die stets zwischen 15 und 20 Damen zählte und aktiv Motorsport betrieb. Daneben riefen die Heiligenstädter Sportler die Eichsfeld-veteranenrallye ins Leben, eine Schwester der Fuchsrallye, die 1972 zum ersten Mal stattfand. Sogar die 1000-Kilometerzwiebelrallye in Weimar gehörte zum Kalender.
Doch all das reichte nicht. 15 Sportfreunde, unter ihnen Friedhelm Ferner, wälzten nächtelang Ideen, wie man ein Bergrennen in Heiligenstadt auf die Beine stellen könnte.
Die Motorsportclubleitung beantragte beim damaligen Dachverband, dem Allgemeinen Deutschen Motorsportverband (ADMV), die Genehmigung. Als Schirmherr fungierte der Rat des Kreises. Doch musste die Rennleitung für jeden einzelnen Rennfahrer ein Quartier nachweisen. „Wir gingen regelrecht Klinken putzen“, erinnert sich Ferner. Wo heute mehrfach gesicherte Reifenstapel die Rennstrecke begrenzen, nahm man damals Strohballen. „Die schwatzten wir den LPG ab – mit der Maßgabe, sie danach wieder zurückzubringen, damit der Plan stimmt.“Nva-soldaten fungierten als Streckenposten und richteten den Streckenfunk ein. Das war 1976. Es kamen nicht nur Serien- und seriennahe Tourenwagen wie Trabant, Wartburg oder Lada nach Heiligenstadt, sondern auch Rennsportfahrzeuge, deren Besitzer über nationale und sogar internationale Lizenzen verfügten – die Formel „Easter“. Unter anderem waren die Rennsportlegenden Helmut Aßmann, Peter Melkus und Helga Heinrich, die „schnellste Frau der DDR“, da. Mehr als 14 000 Zuschauer säumten die Strecke. Das Jahr drauf waren es über 20 000. Allerdings, so Ferner, waren die Behörden nicht glücklich darüber, dass das Rennen so viele Fahrer und Zuschauer in einen grenznahen Kreis führte. Zumal für 1978 schon eine Zuschauerzahl von 50 000 im Raum schwebte, man Grenzdurchbrüche befürchtete. Das Rennen durfte nicht mehr stattfinden.
Genau 20 Jahre später begann eine neue Ära. Nachdem man 1991 sozusagen den „Träger“wechselte und sich dem ADAC anschloss, kam auch das Ibergrennen wieder zur Sprache. Friedhelm Ferner rannte bei der
Obersten Nationalen Sportbehörde (ONS) und dem ADAC die Türen ein. Erst wurden die Heiligenstädter belächelt – das tut heute niemand mehr. 78 Tourenwagen bezogen 1997 das Fahrerlager am Busbahnhof.
Im Jahr 2000 gesellten sich die Rennsportfahrzeuge hinzu – ebenso wie eigene Clubfahrer, zum Beispiel Markus Wüstefeld, der heute noch Bergrennen und Rundstreckenrennen fährt.
2003 stellte der Club mit Kevin Ferner und Leander Birkl das jüngste Rennleitungsteam im deutschen Motorsport und mit Hermann Ludolph den neuen Organisationsleiter, der diesen Posten 15 Jahre ausfüllen sollte. In den Jahren 2004 und 2005 ging es nicht nur um die Deutsche Bergmeisterschaft, sondern um den Europäischen Bergpokal der FIA, der weltweit obersten Motorsportbehörde. Aus neun Ländern strömten Fahrer und Zuschauer ins Eichsfeld. 2006 fand sich Formel-1fahrer Timo Glock in einem Mitsubishi auf der Rennpiste am Holzweg wieder. „Wenn es mal mit der Formel 1 nicht mehr läuft, dann fahre ich Bergrennen“, soll er nach dem Rennwochenende gesagt haben.
Mit Lars Bröker beispielsweise beherbergt der Club nicht nur einen talentierten Bergrennfahrer, sondern auch den amtieren deutschen Slalommeister in seinen Reihen. „Man darf dabei aber nie vergessen, dass es bei uns nicht nur um Geschwindigkeit, sondern um höchste Sicherheitsansprüche geht, zumal wir auch regelmäßig Verkehrsteilnehmerschulungen veranstalten“, betont Ludolph.
Rallyes finden nur unter absoluter Einhaltung der Straßenverkehrsordnung statt.
60 Jahre Motorsportclub, 95 Jahre Motorsportgeschichte im Eichsfeld, das 23. Ibergrennen und eine komplett neue Organisationsleitung – vor dem Heiligenstädter Motorsportclub liegt noch ein spannendes Jahr. „Der Club hat in seiner sechs Jahrzehnte währenden Geschichte zahlreiche Höhen und Tiefen erlebt. Mir ist vor der Zukunft nicht bange“, sagt Hermann Ludolph, zumal inzwischen die Söhne in die Fußstapfen ihrer Väter getreten sind. Und heute Abend? „Da wird erst einmal gefeiert“, sagt der Vorsitzende
Sechs Jahrzehnte bewegte Clubgeschichte