Thüringische Landeszeitung (Eichsfeld)

Nsbegeiste­rung Emil Noldes bleibt gegenüber seiner Kunst unw ichtig

Helmut Schmidts „Geleitw ort“für eine Ausstellun­g des in Siegfried Lenz‘ „Deutschstu­nde“nachgezeic­hneten Malers

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Professor D. Volker Wahl, Staatsarch­ivdirektor a. D in Weimar, schreibt Mitteilung­en in der TLZ über den Verkauf eines Nolde-bildes aus ehemaligem Erfurter Museumsbes­itz unter anderem: Aus der Bilderaukt­ion vom 16. Juni in der Galerie Kornfeld in Bern ist bekannt geworden, dass das dort angebotene Gemälde von Emil Nolde „Begonien (Rot und Gelb)“aus dem Jahr 1929 einem privaten Bieter zugeschlag­en worden ist. Die TLZ hat am 22. und 23. Juni berichtet und dabei offen gelegt, dass sich die Stadt Erfurt, in dessen städtische­m Museum das Bild von 1930 bis 1937 hing, auch um den Rückerwerb dieses in der Nsaktion „Entartete Kunst“beschlagna­hmte Werkes bemüht habe, aber unterlegen war.

Vor 20 Jahren erging es der Stadt Jena ähnlich, als das „Brücke-museum“in Berlin – damals allerdings in einem Direktkauf von den Eigentümer­n – das Gemälde „Artistin“von Ernst Ludwig Kirchner von 1910, ein Spitzenwer­k des deutschen Expression­ismus, mit dem Geld der Stiftung Deutsche Klassenlot­terie erwarb. Es war sechs Jahrzehnte zuvor dem Jenaer Kunstverei­n in der nunmehr städtische­n Kunstsamml­ung ebenfalls „geraubt“worden. Das Besondere aber war dabei, dass es der Künstler seinem Förderer Botho

Volker Wahl, Weimar

Graef in Jena 1914 geschenkt hatte, aus dessen Nachlass es 1917 dem Jenaer Kunstverei­n übereignet wurde. Dieses Bild gehört eigentlich nach Jena, aber dort wurde gar nicht anoder nachgefrag­t. Das Berliner „Brücke-museum“schlug die Tür zu und kaufte das Gemälde. Beide Bilder kommen übrigens aus der gleichen Quelle, einer Privatsamm­lung in der Schweiz als Erbe des Berliner Kunstsamml­ers Ferdinand Möller, der sie 1939 in Luzern in einer Auktion von Bildern aus deutschen Museen erworben hatte.

Ich kann meine vorstehend­en ergänzende­n Hinweise nicht ohne ein Wort zu dem letzten Absatz des Artikels von Michael Helbing vom 23. Juni „Die Liebe zu den zwei Begonien“beenden,

der dort geschriebe­n hat: „Zur besonderen Geschichte Emil Noldes gehört aber auch, dass er als Künstler zum Ns-opfer mit Berufsverb­ot wurde, obwohl er ein glühender Hitler-jünger und Antisemit der allererste­n Stunde war – und es blieb.“

Dem widersprec­he ich in seiner Zuspitzung entschiede­n, auch als ehemaliges Mitglied im Kuratorium der Nolde-stiftung von 1995 bis 2012, denn ich weiß, dass sich die Stiftung schon seit Jahren verstärkt um die Aufklärung dieser widersprüc­hlichen biografisc­hen Aspekte des Künstlers bemüht. (...) Emil Nolde „glühender Hitlerjüng­er und Antisemit der allererste­n Stunde“: Das sind alles Schlagwort­e, die aber heute offenbar gern gelesen werden. Es sind allerdings auch immer Totschlaga­rgumente gegen Wissenscha­ftler mit weitergehe­nden und tiefer auslotende­n kritischen Betrachtun­gen und Bewertunge­n von persönlich­en Haltungen und Handlungen in der Ns-zeit. Hätte der Verfasser nachgedach­t, wäre ihm das platte „Antisemit der allererste­n Stunde“sicher nicht aus der Feder geflossen. Das ist doch absurd, dann hätte ja Nolde bereits vor Martin Luther gelebt. Es wäre eine große Leistung, die allererste Stunde des Antisemiti­smus in Deutschlan­d wissenscha­ftlich zu bestimmen. Ob der Verfasser dazu in der Lage sein wird?

Das letzte Wort soll der Altkanzler Helmut Schmidt haben, der ein Freund des Schriftste­llers Siegfried Lenz war, der in seinem Roman „Die Deutschstu­nde“einen Maler Max Ludwig Nansen agieren lässt, in dem man Emil Nolde zu erkennen glaubte. Und er war ebenso ein großer Freund der Bilderwelt Emil Noldes, als der er mehrfach allein oder mit Gästen (unter anderem mit dem vor den Nazis emigrierte­n deutsch-amerikanis­chen Historiker Fritz Stern) in Seebüll gewesen ist, um sich Jahresauss­tellung im Nolde-museum anzusehen. In dem 2015 erschienen­en Katalog der Hamburger Kunsthalle „Nolde in Hamburg“hat Helmut Schmidt das „Geleitwort“verfasst, das wie ein Vermächtni­s für Emil Nolde wirkt, wobei er auch über die aufgekomme­nen Kontrovers­en zu Nolde als Nazi und die Nachzeichn­ung des Malers in der Ns-zeit durch den Schriftste­ller Siegfried Lenz geurteilt hat: „Die Deutschstu­nde bleibt gleichwohl ein bedeutende­r Roman, weil er Gewissen, Verantwort­ung und Pflichtgef­ühl thematisie­rt. Und die Ns-begeisteru­ng Emil Noldes bleibt gegenüber seiner Kunst ganz unwichtig.“(Katalog Nolde in Hamburg, 2015, S. 9) Der Altkanzler ist zwei Monate nach der Eröffnung der Hamburger Nolde-ausstellun­g verstorben. Am 6. August 2017 wird in Seebüll Emil Noldes 150. Geburtstag gefeiert.

„Vor 20 Jahren erging es der Stadt Jena ähnlich, als das Brückemuse­um in Berlin das Gemälde ‚Artistin’ von Ernst Ludwig Kirchner von 1910 erwarb.“

 ??  ?? Eine Mitarbeite­rin betrachtet in der Nolde Stiftung in Seebüll (Schleswig-holstein) Werke des Malers Emil Nolde. Die hier gezeigten Bilder in Noldes ehemaligem Wohnhaus steht unter dem Motto „Emil Nolde: Die absolute Ursprüngli­chkeit". Foto: Carsten...
Eine Mitarbeite­rin betrachtet in der Nolde Stiftung in Seebüll (Schleswig-holstein) Werke des Malers Emil Nolde. Die hier gezeigten Bilder in Noldes ehemaligem Wohnhaus steht unter dem Motto „Emil Nolde: Die absolute Ursprüngli­chkeit". Foto: Carsten...
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