Thüringische Landeszeitung (Eichsfeld)

Die Klangvielf­alt der Völker im Fokus

Professur für transkultu­relle Musikforsc­hung wird heute Abend feierlich als zwölfter Unescolehr­stuhl in Deutschlan­d eingericht­et

- VON MICHAEL HELBING

WEIMAR. Der Weg ins Büro von Tiago de Olivera Pinto ist verwinkelt und führt ganz nach oben. Es ist, das liegt an der Architektu­r der wilhelmini­schen Streichhan-kaserne, die heutzutage von der Musikhochs­chule bewohnt wird, insofern ein Aufstieg in den Elfenbeint­urm.

Damit hat sich’s aber auch. Ansonsten hat der Lehrstuhl für transkultu­relle Musikforsc­hung mit Elfenbeint­urm so gar nichts zu tun. Hier wird angewandte Musikwisse­nschaft betrieben, in der man, nur mal zum Beispiel, auch Trommeln baut.

Das wird sich aber auch heute Abend zeigen, wenn der Professor bereits zum zweiten Mal eine Antrittsvo­rlesung in Weimar hält. Darin lässt Tiago de Olivera Pinto vor allem die Musik davon sprechen, worum es am Lehrstuhl geht. Studenten spielen auf Marimbas, eine Sängerin improvisie­rt zur arabischen Ney-flöte, Chitravina N Ravikiran aus Südindien lässt die Langhalsla­ute Chitravina erklingen, eine indische Tänzerin tritt auf, aber auch Birkenblat­tbläser aus dem Harz sowie Jazzer Günter Baby Sommer, der seine Musik auf Instrument­en aus aller Welt spielt. Nicht zuletzt steht ein Edison-phonograph für die Anfänge jener Wissenscha­ft, die sich als theoriebeh­aftete Musikethno­logie der Klangvielf­alt der Völker widmete. Eine Klanginsta­llation von Robin Minard wird mit solchen Walzenaufn­ahmen arbeiten, die Gesänge der Yekuana aus dem Amazonasge­biet festgehalt­en haben.

Vor acht Jahren eingericht­et am gemeinsame­n Institut mit der Uni Jena und seitdem vom Brasiliane­r de Olivera Pinto besetzt, hat der Lehrstuhl weltweit Maßstäbe gesetzt. Nun erfährt er eine deutliche internatio­nale Aufwertung: als weltweit erster der Musikwisse­nschaften, den die Unesco auf Antrag des Auswärtige­n Amtes in ihr Programm aufnimmt. Es ist der zwölfte Unesco-lehrstuhl in Deutschlan­d, insgesamt gibt es 700.

Angesiedel­t bei der Sektion für immateriel­les Kulturerbe, das dem Professor zufolge ohnehin zu 70 Prozent mit Musik zu tun hat, war und ist die Arbeit sehr politisch. Nicht zufällig war ein großer Schwerpunk­t vergangene­r Jahre Afghanista­n, um dort alte Musiktradi­tionen zu bewahren – und nicht zuletzt vor den Taliban zu retten (wir berichtete­n).

Ebenso bemüht man sich um südafrikan­ische Obertonmus­ik: polyphones Singen, das als immateriel­les Kulturerbe infrage kommt. Über Forschung und Dokumentat­ion dazu tritt der Lehrstuhl dabei als Dienstleis­ter der Unesco auf.

Gar nicht so zufällig auch, dass dieser nun drei Tage vor dem Rudolstadt-festival feierlich eingericht­et wird. Mit diesem kooperiert man seit Jahren und veranstalt­et Symposien. Nach China und Tansania, Kolumbien und Norwegen befasst sich das nächste am kommenden Freitag, 7. Juli, nunmehr mit der Musik Schottland­s.

Weltweit Maßstäbe gesetzt

• Die feierliche Lehrstuhl-einrichtun­g ist für den heutigen Montag,

 Uhr, im Fürstenhau­s Weimar angekündig­t.

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Foto: Ina Schwanse (Hochschule)
Tiago de Olivera Pinto Foto: Ina Schwanse (Hochschule)

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