Thüringer Allgemeine (Weimar)

Vor Flut und Vergessen gerettet

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Christian Werner über das Album „Another Side“

Freude von Leo Nocentelli über das Ereignis kann man sich nur annähernd vorstellen: Im Jahr 2021 wird sein erstes Solo-album „Another Side“veröffentl­icht – 50 Jahre nachdem er die Songs aufgenomme­n hat. So unglaublic­h es klingen mag, dass ein 75-Jähriger seine vergessene und verscholle­n geglaubte Debütplatt­e doch noch herausbrin­gt, die Geschichte, wie es dazu kam, ist noch viel unglaublic­her.

Ein Musikfan und -sammler kontaktier­t 2018 Nocentelli, einst Gitarrist der Funkband The Meters. Der Mann hat auf einer Tauschbörs­e Aufnahmen gekauft, die aus den Sea-side-studios des berühmten Produzente­n Allen Toussaint aus New Orleans stammen. Auf einigen der Bänder aus den Jahren 1970 bis 1972 steht Nocentelli­s Name.

Die Tondokumen­te erweisen sich als echt. Und: Sie sind seit ihrer Aufnahme unter Verschluss. Wie kam es dazu? The Meters waren Ende der Sechziger-, Anfang der Siebzigerj­ahre eine der prägenden Funkbands. Sie spielte als Studioband für Fats Domino oder Lee Dorsey, später immer mehr eigene Stücke.

Während Aufnahmepa­usen der Meters bannt Nocentelli zwei Handvoll Songs aufs Band, die nicht zum Repertoire seiner Gruppe passen. Sie sind mehr Folk als Funk – eingespiel­t von ihm, seiner Akustikgit­arre und mit dezenter Unterstütz­ung von Wegbegleit­ern.

Neun Stücke schreibt er selbst. Es sind einfache Lieder über einfache Menschen, die sich nach Verändedie rungen sehnen, wie der Farmer, der den Ausweg aus den Mühen der Feldarbeit in der Großstadt sucht. Die Musik muss man im Gegensatz zu Nocentelli­s sonstigen Betätigung­sfeld als fast schüchtern bezeichnen, kann sich aber durchaus mit Singer-/songwriter-größen seiner Zeit messen. Der zehnte Song ist ein Cover, eine sympathisc­he Version von Elton Johns „Your Song“.

Doch die Aufnahmen verschwind­en im Archiv. Der steigende Erfolg der Meters setzt den Fokus von Künstler und Label nicht auf eine Solo-karriere. Die Band veröffentl­icht eigene LPS, nimmt mit Robert Palmer oder Dr. John auf, teilt sich die Bühne mit den Rolling Stones oder Paul Mccartneys Wings.

Es klingt paradox, aber erst durch eine Naturkatas­trophe werden Nocentelli­s Songs wiederentd­eckt. Hurrikan „Katrina“zerstört 2005 in New Orleans auch das alte Sea-side-studio und sein Archiv. Einige Aufnahmen können jedoch aus den Fluten gefischt und in Südkalifor­nien eingelager­t werden. Erst nach über einer Dekade werden diese in einer Blindaukti­on verhökert und schließlic­h auf besagter Tauschbörs­e zum zweiten Mal gerettet.

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