Wenn das Gas knapp wird
Bund und Länder haben 2018 eine Mangellage trainiert. Viele Erkenntnisse wurden ignoriert
Erfurt. Ende November 2018 flimmern über Monitore und Bildschirme des Landeskrisenstabs in Erfurt unheilvolle Nachrichten. Eine Kältewelle hat Deutschland fest im Griff und einige der Gasspeicher sind niedrig gefüllt. Nur noch 40, bald 32 Prozent, Tendenz fallend. Für Süddeutschland wird eine Gasmangellage ausgerufen. Das alles klingt derzeit erschreckend real.
Dabei handelt es sich damals um eine Simulation der länderübergreifenden Krisenmanagementübung (Lükex 18). Bereits vor knapp vier Jahren trainierten zwölf Bundesländer und die zuständigen Bundesbehörden gemeinsam mit der Energiewirtschaft, ob und wie eine solch katastrophale Situation zu bewältigen ist. In Thüringen versucht der Krisenstab damals in einer alten Villa am Rande des Erfurter Stadtwalds dem sich zuspitzende Katastrophenszenario Herr zu werden.
Warum die Gasspeicher schlecht befüllt waren, spielt für die Stabsübung keine Rolle, die Verantwortlichen sollten Lösungen für die kritische Situation finden. Darüber entscheiden, welche Gaskunden in welcher Situation abgeschaltet werden könnten, aber auch prüfen, welche Auswirkungen das auf die Wirtschaft und die Bevölkerung haben würde.
Wo müssen Notfallpläne und Regelungen überarbeitet werden? Wie muss die Kommunikation organisiert werden? Wer trifft welche Entscheidungen? Könnten sich weiteren Gefahren aus den Maßnahmen ergeben? Die Lükex-übung geht beispielsweise von einer hohen Zahl kältebedingter Erkrankungen und damit Versorgungsengpässen aus, aber auch davon, dass Kommunen bei den angenommenen Frostgraden wärmende Notquartiere bereitstellen müssen.
Von zwei angespannten Übungstagen berichten Teilnehmer der Simulation. Die Szenarien hätten sehr authentisch gewirkt. Die übenden Verantwortlichen sahen sich in dem mit Monitoren und Telefonen vollgestellten Raum des Krisenstabes mit unzähligen Informationen über die Lage konfrontiert und mussten reagieren. „Das wirkt irgendwann sehr real“, erinnert sich einer der Teilnehmer.
„Was damals schon geübt wurde, hilft jetzt“, erklärt ein Sprecher des
Thüringer Umweltministeriums, zu dessen Aufgaben auch das Thema Energiesicherheit gehört. Seit Ende März für Deutschland die Frühwarnstufe Gas ausgerufen wurde, arbeite auf Bundesebene das Krisenteam Gas. Der Austausch zwischen staatlichen und privatwirtschaftlichen Akteuren der Gasversorgung sei deutlich intensiviert worden. Thüringen ist laut Ministerium über den Bund-länderausschuss Gas mit einbezogen. Nach dem Ausrufen der Stufe 2 des Notfallplans
Anlagen auf dem Gasspeicher Katharina in Bernburg, Sachsen-anhalt.
Gas im Juni haben auch im Freistaat die Gasversorger ihre Abschaltpläne geprüft und ihr Vorgehen simuliert. Auch sie können dabei auf Erfahrungen aus Lükex 18 zurückgreifen. Wobei nicht nur das Abschalten genau durchdacht sein muss.
Im Auswertungsbericht zur Übung heißt es ausdrücklich, nach einer Gasmangellage würde die Wiederinbetriebnahme der Netze und die Wiederaufnahme der Versorgung jedes einzelnen Kunden mehrere Wochen dauern. Eines der Probleme: Sollten auch die Gasheizungen von Privatkunden betroffen sein, müsste jede einzelne von einem Monteur wieder neu gestartet werden.
Weitere Schwierigkeiten, die während Lükex 18 zutage getreten sind, klingen gerade sehr aktuell. So bemerkten Experten bereits vor vier Jahren, beim Vorbereiten der Simulation, dass die Eigentümer der Gasspeicher in Deutschland zumeist nicht diejenigen sind, denen das gelagerte Gas gehört. Dass die Bundesrepublik Ende November, kurz nach Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine, trotzdem überrascht wirkte, weil der größte deutsche Gasspeicher im Besitz eines russischen Unternehmens ist, zeigt, wie wenig sich seither in einigen Bereichen getan hatte.
Wissenschaftler hatten bereits damals auf die hohe Exportabhängigkeit bei Gas für Länder wie Deutschland, Frankreich oder Italien hingewiesen. So heißt es beispielsweise in einem Tagungsband zur Lükex-übung über Deutschland, dass bei nur einer Bezugsoption für Gas höhere Speicherkapazitäten aufgebaut werden müssten. Die Gasversorgung samt der Gasspeicher in der Bundesrepublik seien bereits beim außergewöhnlich langen Winter im März 2013 an ihre Grenzen geraten.
Mit Blick auf die Zukunft sollte die deutsche Gasversorgung nicht mehr allein auf leitungsgebundene Lieferanten wie Russland und Norwegen basieren, erklären Experten der Politik. Es wird eine neue Diversifizierung der Erdgasversorgung durch ein Lng-importterminal in Deutschland empfohlen.
Wohlgemerkt: Diese Erkenntnisse stammen aus einer Fachtagung des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe von November 2017.