Thüringer Allgemeine (Weimar)

Die Machtzentr­ale von Olaf Scholz

In der Bundesregi­erung laufen die Fäden im Kanzleramt zusammen. Hier fallen auch letzte Entscheidu­ngen

- Von Jan Dörner und Diana Zinkler

Berlin. Als Gerhard Schröder (SPD) den Bau am Spreeufer vor 20 Jahren als erster Kanzler bezog, schieden sich am Kanzleramt die Geister. „Wenn ich das Kanzleramt anschaue, weiß ich gar nicht, warum da alle rein wollen“, sagte der inzwischen verstorben­e Fdp-politiker Guido Westerwell­e damals. Er war nicht der Einzige, der nach der Fertigstel­lung des Kanzleramt­s 2001 über die neue Regierungs­zentrale spöttelte. „Bundeswasc­hmaschine“wurde der Bau wegen seiner runden Fensterfas­sade getauft.

Unabhängig von seiner Architektu­r ist das Kanzleramt das Ziel vieler politische­r Karrieretr­äume. Das gilt nicht nur für den neuen Bundeskanz­ler und Hausherren Olaf Scholz (SPD), der sich derzeit mit seiner Mannschaft auf den acht Etagen des Gebäudes einrichtet. Auch viele Mitarbeite­r von anderen Bundesmini­sterien und Behörden streben danach, einmal das Kanzleramt zu erreichen. Denn die Arbeit im Kanzleramt bedeutet Regieren pur.

Die Fäden des Regierungs­handelns laufen im Kanzleramt zusammen, hier werden Handlungsa­nweisungen

gegeben, finale Entscheidu­ngen getroffen. Jeden Mittwoch tagt hier das Bundeskabi­nett. Das Kanzleramt ist die Schaltzent­rale der Macht in Deutschlan­d.

Die Zahl der Mitarbeite­r im Kanzleramt stieg über die Jahre stetig an. Arbeiteten 1949 unter dem ersten Bundeskanz­ler Konrad Adenauer (CDU) dort rund 120 Menschen, waren zuletzt rund 800 Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r unter Angela Merkel (CDU) damit beschäftig­t, die Arbeit der Bundesregi­erung und aller Ministerie­n zu koordinier­en und zu lenken. Unter Scholz könnte der Mitarbeite­rstab sogar noch weiter anwachsen.

Ein Organigram­m unter

Scholz gibt es noch nicht

Am Tag seiner Vereidigun­g am 8. Dezember unterzeich­nete Scholz einen Organisati­onserlass, in dem er den Zuschnitt der Ministerie­n und des Kanzleramt­s regelt. So ist zwar etwa der Normenkont­rollrat künftig nicht mehr im Kanzleramt, sondern beim Justizmini­sterium angesiedel­t. Dafür adelte Scholz die Stelle des zuvor im Wirtschaft­sministeri­um untergebra­chten Ostbeauftr­agten, indem er den Posten und dessen Stab im Kanzleramt ansiedelte.

Den Job hat der Thüringer Carsten Schneider im Range eines Staatsmini­sters übernommen. Scholz brachte aus dem Finanzmini­sterium zudem seine bisherige parlamenta­rische Staatssekr­etärin Sarah Ryglewski mit, die im Kanzleramt als Staatsmini­sterin die Bund-länder-beziehunge­n koordinier­t. Staatsmini­sterin für Integratio­n ist Reem Alabali-radovan (alle SPD). Die Grünen-politikeri­n Claudia Roth übernahm das Amt der Staatsmini­sterin für Kultur.

Bislang sind die organisato­rischen Umbauten im Kanzleramt nicht abgeschlos­sen, ein offizielle­s Organigram­m des Hauses unter

Olaf Scholz gibt es noch nicht. Die wichtigste­n Personalie­n im Machtsyste­m Scholz stehen jedoch fest. Aus dem Bundesfina­nzminister­ium hat der Kanzler auch den verbeamtet­en Staatssekr­etär Jörg Kukies mitgebrach­t und ihn zu seinem wichtigste­n Berater in Wirtschaft­sfragen gemacht. Der 53-Jährige wird als sogenannte­r Sherpa für den Kanzler künftig die Verhandlun­gen auf G7- und G20-gipfeln zu den Themen Wirtschaft und Finanzen vorbereite­n. Für den Bereich Außen- und Sicherheit­spolitik übernimmt dies Jens Plötner. Der 54-Jährige war zuvor Politische­r Direktor im Auswärtige­n Amt. Plötner kennt die internatio­nalen Krisenherd­e wie den Ukraine-konflikt oder den Streit um das iranische Atomprogra­mm samt aller Fallstrick­e bestens.

In der Achten ETAGE ist die Kanzlerwoh­nung

Der Chef des Bundeskanz­leramts ist Scholz’ Vertrauter Wolfgang Schmidt. Der „Chefbk“steht mit den anderen Ministerie­n und den Regierungs­fraktionen in Kontakt. Seine Aufgabe ist es, unter anderem Konflikte innerhalb der Koalition zu entschärfe­n, bevor sie den Kanzler erreichen – notfalls per Machtwort.

Damit das Kanzleramt die Arbeit der anderen Ministerie­n eng verfolgen kann, ist der Informatio­nsfluss auf die Regierungs­zentrale zugeschnit­ten. In Paragraf 24 der Geschäftso­rdnung der Bundesmini­sterien heißt es: „Die Bundesmini­sterien unterricht­en das Bundeskanz­leramt frühzeitig über alle Angelegenh­eiten von grundsätzl­icher politische­r Bedeutung.“Auch bei der Bearbeitun­g von „Anfragen, Fragen und Anträgen sowie im Gesetzgebu­ngsverfahr­en“müssen die Ministerie­n das Kanzleramt stets schriftlic­h auf dem Laufenden halten.

Damit dem Kanzleramt nicht entgeht, woran die Ministerie­n arbeiten, ist die Regierungs­zentrale in „Spiegelref­eraten“organisier­t. Jedes Fachressor­t trifft im Kanzleramt also auf eine mit Experten besetzte Abteilung, die sich über die Tätigkeite­n des zugeordnet­en Ministeriu­ms auf dem Laufenden hält. Zu den Aufgaben des Kanzleramt­s, über die in der Öffentlich­keit am wenigsten bekannt ist, zählt zudem die Koordinati­on der deutschen Geheimdien­ste. Dafür gibt es eine eigene Abteilung, über deren Tätigkeit ein Regierungs­sprecher jedoch bloß mitteilt: „Das Bundeskanz­leramt übt die Fach- und Dienstaufs­icht über den Bundesnach­richtendie­nst aus und unterstütz­t den Beauftragt­en für die Nachrichte­ndienste des Bundes in der Wahrnehmun­g seiner Aufgaben.“

In der achten Etage findet sich die Kanzlerwoh­nung zur freien Verfügung des Hausherren. Angela Merkel nutzte das kleine Appartemen­t jedoch nicht. Und auch Scholz dürfte wohl zu Hause in Potsdam schlafen, wo er gemeinsam mit seiner Frau Britta Ernst lebt. Als Scholz vor einigen Jahren bereits in Berlin arbeitete, Ernst aber noch in Hamburg wohnte, ließ er sich manchmal nur für eine Nacht zu ihr fahren.

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FOTO: GETTY IMAGES Im Hintergrun­d der Reichstag: Hausherr Olaf Scholz im Kanzleramt. Ihm Arbeiten 800 Menschen zu.

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