Weimarer Comic als Betthupferl
Zwei Mitarbeiter des Hotels Amalienhof gestalten ein „Gute-nacht-büchlein“für die Gäste des Hauses
Weimar. Den Verbrauch von Kalorien zu reduzieren, muss nicht mit dem Verzicht auf Lebensfreude einher gehen. Wer jetzt fürchtet, von einem Gesundheitsexperten oder Körperästheten belehrt zu werden, darf ohne Reue weiterknabbern und -lesen. Dennoch will das Weimarer Hotel Amalienhof den Beweis antreten, dass das klassische Betthupferl auf dem Kopfkissen nicht zwangsläufig eines zum Naschen sein muss. Die Gäste finden künftig auf ihren Betten ein „Gutenacht-büchlein“, das unterhaltsam und amüsant süße Träume bescheren soll und eine Eigenproduktion des Amalienhofes ist.
Mit dem zweiten Lockdown und der nahezu publikumsfreien Zeit muss sich das Gastgewerbe inzwischen im sechsten Monat arrangieren. Durchschnittlich vier Geschäftsreisende pro Tag beherbergt der Amalienhof derzeit. Die allermeisten seiner 50 Zimmer stehen verordnet leer. Dennoch steckt das Team den Kopf nicht so lange in den Sand, bis Besserung kommt. Um den Kontakt zu seinen Gästen zu halten, hatte der Amalienhof im Vorjahr den Youtube-kanal „Hotel TV 5.0“mit eigenen Videos bespielt und dafür als Mutmacher den Thüringer Tourismuspreis erhalten.
Zu Beginn dieses Jahres durften Interessierte erneut Einblick ins eigentlich geschlossene Haus nehmen. Das Hotel nutzte die Zwangspause im Januar und Februar zur Strangsanierung, also zur Erneuerung der Wasser- und Warmwasserleitungen. Um diese eher unspannende Arbeit spannend zu dokumentieren und gleichzeitig für sich neue Betätigungsfelder zu finden, hatten zwei Mitarbeiter die Idee, die Sanierung mit einer Art Tagebuch samt fiktiver Schatzsuche medial zu begleiten. Schließlich wäre es durchaus denkbar, im 1825 erbauten Haus noch Unentdecktes aufzustöbern, wenn es drinnen quasi auf Links gedreht wird.
Bei den Fundsachen, die Anja Teubert und Stefan Schmidt den Hotel-followern via Facebook präsentierten, kam insbesondere ihre
Phantasie zum Tragen. Originalschriftstücke von Anna Amalia und ein Kochbuch des herzoglichen Leibkochs Le Goullon tauchten ebenso plötzlich wieder auf wie eine wohl in den 60er-jahren bei Proben vergessene Konzertmundharmonika des Weimarer Mundharmonika-orchesters und der Schlitten eines Hausmeisters, der natürlich Krause hieß. Das Knowhow, die Story umzusetzen, brachte Stefan Schmidt mit. Der diplomierte Kulturmanager ist unter anderem Mitbegründer des Theaterhauses Jena und künstlerischer Leiter des Vereins „Filmfabrik Weimar“.
Das Konzept, das die zwei Gastgeber an der Rezeption – sie im Tag-, er im Nachtdienst – entwickelten, fand so viel Aufmerksamkeit, dass der Wunsch aufkam, ein Büchlein im Comic-stil daraus zu gestalten. Auf 20 Seiten in einer Erstauflage von 1000 Exemplaren finden sich darin Geschichten und Bilder, Begebenheiten aus der Historie und andere, die sich einst und heute so ähnlich zugetragen haben könnten. Neben Teubert und Schmidt sorgen weiteren Darsteller im Comic für Sprechblasen, etwa die kanadische Gastronomin und mit ihrem Maplebistro Nachbarin Tanya Harding und der Chef der Tourist-info, Jens Braun. Selbst Schauspielerin Nora Tschirner kommt zu einem kleinen Auftritt – und der Amalienhof zu einem eigenen „Tatort“.