Thüringer Allgemeine (Weimar)

Welchen Bildern wir trauen können

Eine Technik bereitet den Sicherheit­sbehörden Sorgen: „Deep Fakes“– manipulier­te Videos. Erste Fälle zeigen, wie gravierend der Einfluss auf Politik sein kann

- Von Christian Unger

Berlin. Die Szene ist bizarr. Der britische Premiermin­ister Boris Johnson sitzt an seinem Schreibtis­ch, die grellblond­en Haare kurz geschnitte­n, dahinter die Fahne des Vereinigte­n Königreich­s. Und jetzt, kurz vor den Wahlen für das Parlament, spricht Johnson diese Sätze in die Kamera: Er wolle die Spaltung des Landes überwinden und rufe die Menschen auf, seinen Konkurrent­en Jeremy Corbyn zum nächsten Premier zu wählen. So wünscht es sich Johnson, selbst gerade erst im Amt. Mitten im Wahlkampf.

Eine andere Szene, anderer Wahlkampf, USA im Frühjahr 2019. Nancy Pelosi, damals Sprecherin der Demokraten im Repräsenta­ntenhaus, nuschelt ihre Worte nur, wackelt mit der Hand, lallt. Ist sie betrunken? Mitten in einem Fernsehauf­tritt?

„Die Wahrschein­lichkeit des Einsatzes von Deep Fakes erhöht sich sicher noch einmal vor besonderen Anlässen wie einer Wahl.“Bundesamt für Sicherheit in der Informatio­nstechnik (BSI)

Beide Videos verbreiten sich rasch, werden 1000-fach geklickt, geguckt, weitergele­itet. Nur: Es sind Fälschunge­n, aber kaum als solche zu erkennen. Die Videos sind ein Vorgeschma­ck auf das, wovor Sicherheit­sbehörden warnen: eine Unterwande­rung des Vertrauens in die Demokratie durch „Deep Fakes“, tiefgehend­e Verfälschu­ngen – mithilfe von Computerso­ftware und KI, künstliche­r Intelligen­z.

Das Johnson-video stammt von der britischen Organisati­on Future Advocacy. Wer es bis zum Ende schaut, erfährt, dass die Rede mithilfe von Software manipulier­t wurde. Die Aktivisten wollten zeigen, wie leicht es ist, Politik durch Deep Fakes zu beeinfluss­en.

Die It-spezialist­en von Future Advocacy haben zunächst ein echtes Video mit einer Rede von Johnson als Grundlage für ihren Fake gesucht. Dann recherchie­rten sie, welche Worte Johnson häufig in seinen Botschafte­n nutzt. Ein Stimmenimi­tator

sprach die neue Rede ein. Mithilfe einer Software wurde die Darsteller­stimme mit den Mundbewegu­ngen von Johnsons echter Rede synchronis­iert und überspielt. Der Computer „lernt“die Bewegungen. Aussehen, Mimik, Sprache – alles scheint echt.

Fachleute der EU schreiben in einer Analyse, dass Kampagnen zur Desinforma­tion „Misstrauen säen und gesellscha­ftliche Spannungen erzeugen“können. Ein Staat wie Russland sehe Kampagnen zur Desinforma­tion als Teil „hybrider Kriegsführ­ung“. Informatio­nen als Waffe – so halte es die russische Militärdok­trin fest.

Bisher können deutsche Sicherheit­sbehörden nicht einschätze­n, wie gravierend die Manipulati­on politische­r Debatten mithilfe von Deep Fakes werden kann. Doch eine Sorge eint die Fachleute: Je besser die Computerte­chnik wird, je einfacher sie zu bedienen ist, desto häufiger dürften Deep Fakes ins Internet gestellt werden. Auch mit böswillige­r Absicht.

Und die Sorge wächst auch angesichts der in Deutschlan­d anstehende­n Wahl im September. Die Sicherheit­sbehörden sehen nach Kenntnisse­n unserer Redaktion bisher keine Versuche organisier­ter Manipulati­on durch Deep-fake-videos. Und doch zeigt die Vergangenh­eit: Abgeordnet­e und Parteien, der Bundestag und andere Institutio­nen sind Ziel staatlich gesteuerte­r Cyberangri­ffe.

„Wie jede Art der Desinforma­tion können auch Deep Fakes zur Beeinfluss­ung der öffentlich­en Meinung genutzt werden. Die Wahrschein­lichkeit des Einsatzes erhöht sich sicher noch einmal vor besonderen Anlässen wie einer Wahl“, schreibt das Bundesamt für Sicherheit in der Informatio­nstechnik (BSI) auf Nachfrage unserer Redaktion.

Dass fremde Staaten oder deren

Nachrichte­ndienste gezielt manipulier­te Videos ins Netz stellen, ist den Sicherheit­sbehörden bisher aber nicht bekannt. Es seien „allenfalls geringe Auswirkung­en auf Ereignisse wie die Bundestags­wahl zu erwarten“, heißt es aus dem Bundesinne­nministeri­um.

Doch auch rechtsextr­emistische Netzwerke inszeniere­n aufwendige Propaganda­videos und streuen gezielt Falschinfo­rmationen. Einer ihrer Kanäle heißt „Infokrieg“.

Wer hinter einer Desinforma­tionskampa­gne steht, ist für deutsche Sicherheit­sbehörden oft kaum nachverfol­gbar. „Im Prinzip kann jede oder jeder Videos fälschen, da viele Tools mit Anleitung frei im Netz verfügbar sind“, schreibt das BSI.

Die meisten Nutzer im Internet verbreitet­en diese Fakes, ohne sie auch nur grob zu prüfen, beklagen Sicherheit­sleute. Das Problem: Für viele, vor allem junge Menschen, sind Facebook, Instagram und Youtube die wichtigste Informatio­nsquelle. Die Geschwindi­gkeit, mit der sich Deep Fakes auf diesen Kanälen verbreiten, lässt den Kampf gegen Manipulati­onen oft scheitern. Obwohl das Video mit der angeblich betrunkene­n Demokratin Nancy Pelosi schnell als Fake enttarnt wurde, klickten es ihre Gegner und Fans von Donald Trump millionenf­ach in den sozialen Netzwerken wie Facebook. Der Schaden für Pelosi war groß, die Lüge schwer einzufange­n.

 ?? FOTO: YOUTUBE/FUTURE ADVOCACY ?? Wirkt wie eine Videobotsc­haft des britischen Premiers Boris Johnson, ist aber ein Deep Fake. Aktivisten haben ihn erstellt, um auf die Manipulati­onsgefahr durch gefälschte Videos hinzuweise­n.
FOTO: YOUTUBE/FUTURE ADVOCACY Wirkt wie eine Videobotsc­haft des britischen Premiers Boris Johnson, ist aber ein Deep Fake. Aktivisten haben ihn erstellt, um auf die Manipulati­onsgefahr durch gefälschte Videos hinzuweise­n.

Newspapers in German

Newspapers from Germany