Den Schwächsten droht Ernährungsarmut
Foodwatch-chef fordert Rettungsschirm für Einkommensschwache. Ausgewogene Ernährung wird sonst unmöglich
Berlin. Selbstständigen, Mittelständlern, Unternehmern und Arbeitnehmern wird zur Überbrückung der Corona-krise mit immer neuen staatlichen Programmen geholfen. Milliarden Euro an Zuschüssen und Krediten werden bereitgestellt. Die Einkommensschwächeren in der Bevölkerung werden dagegen noch weitgehend im Stich gelassen, obwohl auch sie Unterstützung gebrauchen könnten. Denn hier kann es sogar schnell am Wesentlichen fehlen: einer gesunden Ernährung.
Die Verbraucherorganisation Foodwatch warnt nun, dass sich die Virus-pandemie in Deutschland in manchen Haushalten auch auf die Ernährung negativ auswirken wird. „Die Corona-krise droht zu einem Programm für Ernährungsarmut zu werden“, sagt Foodwatch-geschäftsführer Martin Rücker im Gespräch mit unserer Redaktion. „Schlimmstenfalls können sich mehrere Millionen Menschen in Deutschland eine ausgewogene Ernährung nicht mehr leisten – manche nicht mal mehr eine ausreichende.“
Die Bundesregierung habe in der Corona-krise viele Hilfsmaßnahmen gestartet, „aber ausgerechnet an die Schwächsten unserer Gesellschaft nicht gedacht“, kritisiert der Verbraucherschützer. „Der milliardenschwere Rettungsschirm lässt Einkommensschwache im Regen stehen.“Rücker wirft Bundesfamilienministerin Franziska Giffey und Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (beide SPD) vor, nicht entschlossen zu helfen. „Sie nehmen Hunger und Mangelernährung in Kauf.“
Besonders betroffen seien Einkommensschwache, Familien oder Rentner, die schon vor der Krise darauf angewiesen waren, kostenloses Essen bei Mittagstischen oder bei den Tafeln zu bekommen, führt Rücker aus. Viele dieser Einrichtungen seien jetzt geschlossen. Damit falle für Kinder aus bedürftigen Familien das kostenfreie Mittagessen in Schule oder Kindergarten weg. Dasselbe gelte auch für Versorgungsangebote für Wohnungslose.
Jeder sollte sich ausgewogene Ernährung leisten können
Foodwatch fordert deshalb schnelle und unbürokratische Hilfe, damit die Menschen zumindest alle Möglichkeiten haben, sich ausgewogen und ausreichend zu ernähren. Auch Wohlfahrtsverbände fordern bereits eine Aufstockung der Regelsätze um 100 Euro im Monat. Diese Forderung unterstützt auch der Foodwatch-chef, doch sie reiche nicht aus.
„Es muss auch Hilfen geben für Menschen, die bisher gar keine staatlichen Leistungen erhalten, wie viele Wohnungslose.“Oder auch Menschen aus Osteuropa, die keinen Anspruch auf Leistungen des deutschen Staates haben und die ihren Unterhalt bisher auf der Straße verdient haben, sei es mit Musik oder durch Betteln. „Ihnen ist das komplette Einkommen weggebrochen – manche haben keinen Cent mehr, um sich Essen zu kaufen“, sagt Rücker.
Der Foodwatch-chef fordert deshalb Bund und Länder auf, schnell eine Koordinierungsstelle einzurichten, die feststellt, „wo wirklich Not herrscht und es am Nötigsten fehlt“, und dort gezielt hilft. „Es darf nicht sein, dass in einem so reichen Land Menschen Hunger leiden müssen oder sich nicht ausreichend ernähren können, weil sie durchs Raster fallen“, mahnt der 39-Jährige.
Warum ist eine ausreichende und ausgewogene Ernährung so wichtig? Und worin besteht der Unterschied? „Ausreichend meint, satt zu werden, den Energiebedarf decken“, erläutert Rücker. „Wir sollten aber den Anspruch haben, dass jeder sich auch ausgewogen ernähren kann und durch nährstoffreiche Lebensmittel wie Obst und Gemüse all das bekommt, was der Körper benötigt.“
Riesige Probleme sieht der Foodwatch-chef in einer unzureichenden Ernährung vor allem für kleine Kinder. „Ihre körperliche und kognitive Entwicklung hängt stark von einer ausreichenden Versorgung mit Mikronährstoffen wie Vitaminen und Mineralien ab“, so Rücker.
Bei Schuleingangsuntersuchungen falle schon heute auf, dass Kinder einkommensschwacher Familien spürbar kleiner gewachsen seien. Wenn Einkommensschwachen zudem die Möglichkeiten fehlten, ihre Kinder ausgewogen zu ernähren, hätten diese weniger Entwicklungssowie Bildungschancen und sind mit höherer Wahrscheinlichkeit deshalb als Erwachsene selbst armutsgefährdet, so Rücker, der selbst Vater von zwei Kindern ist: „Eine solche Armutsspirale könnte durch die Corona-krise noch verschärft werden.“
Grundsätzlich tritt der Foodwatch-chef dafür ein, dass jeder Mensch finanziell in der Lage sein müsse, sich eine ausgewogene Ernährung auch leisten zu können. „Regelsätze und auch die Beträge, die zum Beispiel für Schulessen bezahlt werden, sind so hoch festzulegen, dass damit ein gesundes Essen bezahlt werden kann.“
Generell müsse die Bevölkerung beim Essen derzeit keine anderen Verhaltensweisen an den Tag legen als vor der Pandemie, beruhigt der Foodwatch-chef: „Bisher gibt es keine Hinweise, dass man sich über Lebensmittel mit Coronaviren anstecken kann.“
Daher gelte, was immer richtig sei, so Rücker: „Eine ausgewogene Ernährung hilft dem Immunsystem, und eine gute Küchenhygiene schützt vor gesundheitlichen Belastungen durch Keime.“