Thüringer Allgemeine (Weimar)

Nach dem 24. September

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Irgendwie scheint er sich nicht richtig erhitzen zu wollen, der Wahlkampf. Die sogenannte heiße Phase fühlt sich bisher ziemlich lauwarm an. Dass allgemein mehr herumgerüp­elt wird als vor vier Jahren, dass die ewige Kanzlerin ausgebrüll­t wird und dass jedes dritte Plakat nicht unbeschmie­rt hängen bleiben darf, wird fast schon routiniert hingenomme­n.

Man ist doch ziemlich abgebrüht nach allem, was seit einer geraumen Weile auf den Plätzen dieser Republik, im weltweiten Internet oder in der eigenen Bekanntsch­aft passiert. Oder abgestumpf­t.

Selbst die sonst so verlässlic­he AFD taugt da nicht mehr als der ganz große Aufreger, zumal sich ihre Protagonis­ten, zumindest vorübergeh­end, einigermaß­en zu benehmen versuchen und es beinahe – aber nur beinahe – schaffen, so etwas wie Geschlosse­nheit zu mimen. Gleichzeit­ig hat ein Teil der politische­n Konkurrenz zu verstehen begonnen, dass man eine Partei auch systematis­ch hochattack­ieren kann.

Natürlich sind noch knapp vier Wochen Zeit, da kann viel passieren, wobei wir alle gemeinsam an dieser Stelle nicht an die Schlimmstm­öglichkeit­en denken sollten. Und ja, die Zahl der Unentschie­denen war nie höher, was nicht nur Demoskopen, sondern auch besserwiss­erische Journalist­en vorsichtig machen sollte.

Doch zurzeit spricht die größere Wahrschein­lichkeit dafür, dass die alte Teflonstra­tegie, die Angela Merkel wie keine andere drauf hat, wieder halbwegs funktionie­ren könnte. Ihre Eigentlich-geht’s-uns-doch-super-botschaft (in neuländisc­hem Cdusprech: #fedidwgugl) muss ja nicht einmal mehrheitsf­ähig sein. Sie muss nur ungefähr 40 Prozent der Wähler überzeugen, was nicht einmal einem Drittel der Wahlberech­tigten entspricht. Dann merkelt es sich weiter Martin Debes ist Chefreport­er der Thüringer Allgemeine­n

wie bisher, nur mit ein bisschen Grün oder Gelb statt Rot am Rande.

In jedem Fall aber wird es nach dem 24. September spannender als jetzt. Ist der Basar der Koalitions­verhandlun­gen erst einmal eröffnet, macht sich alles, was Lobby ist, nach Berlin auf. Posten werden gegen Inhalte getauscht und umgekehrt, Karrieren enden und beginnen.

Die Verlierer werden die üblichen Dramen aufführen. Wenn es so ausgeht, wie es sich andeutet, fallen die Sozialdemo­kraten in ein dunkles tiefes Loch, das in Thüringen am allertiefs­ten sein wird. Und weil die SPD die SPD ist, kann dies einfach nicht ohne Genossenop­fer abgehen. Falls Martin Schulz das schlechtes­te Spdergebni­s aller Zeiten von 2009 (23 Prozent) unterschre­iten sollte, wird er der zweitkürze­stamtieren­de SPDCHEF aller Zeiten gewesen zu sein. (Matthias Platzeck hätte er am Wahltag schon überholt.)

Ähnlich könnte es den Grünen ergehen. Falls sie, wonach es gerade aussieht, auf dem letzten Platz landen und für eine Koalition nicht einmal theoretisc­h gebraucht werden, ist mindestens die Karriere von Katrin Göringecka­rdt beendet. Selbst für die kuschligst­en Kuschelgrü­nen wäre das zweifache Scheitern als Spitzenkan­didatin einmal zu viel. Und an der Parteispit­ze müsste Cem Özdemir für Robert Habeck weichen.

Den Linken, immerhin, dürfte der ultimative Konflikt erspart bleiben. Nur wenn sich die rot-rot-grüne Koalitions­frage wirklich stellte, wonach es derzeit nicht aussieht, könnte die Öffentlich­keit live miterleben, wie sich die Lager der Partei so gegenseiti­g ausmanövri­eren, dass man am Ende zerstritte­n doch wieder in die Opposition geht. Dann ist es wohl besser, er reicht gar nicht erst für eine Regierungs­beteiligun­g.

Die Christian-lindner-partei, formerly known as FDP, übergehen wir an dieser Stelle gezielt. Sie wird nach ihrer Rückkehr ins große Parlament mindestens bis November von ihrem Jahrtausen­dcomeback besoffen sein und sich ansonsten damit beschäftig­en, Leute einzustell­en.

Dagegen sind bei der AFD die härtesten Kampfhandl­ungen zu erwarten, ganz egal, ob sie nun bei sieben oder zwölf Prozent landet. Die hellblauen Pappplakat­e, die notdürftig die Gräben verdecken, werden am 24. September wieder weggezogen.

Danach beginnt die Ausstrahlu­ng der alternativ­en Version von Game of Thrones. Eine Folge wird die Wahl des oder der Fraktionsv­orsitzende­n sein, die schon zu der einen oder anderen politische­n Exekution führen könnte. Auch das finale Duell zwischen den Bundesvors­itzenden Jörg Meuthen und Frauke Petry kann eigentlich nur einer überleben – oder keiner.

Aber wer weiß. Steht ja mal wieder alles nur im Konjunktiv. Diese Woche kommen wieder ein paar Bundesmini­ster ins kleine Thüringen, dazu der deutsche Professor Meuthen. Und am Dienstag spricht Martin Schulz auf dem Erfurter Domplatz, auf dem so einige Kanzler sprachen und sogar der Papst. Wenn man dies als Maßstab anlegt, ist noch alles drin.

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