Thüringer Allgemeine (Sondershausen)

Der fluchende Holländer

Formel-1-fahrer Verstappen geht nach einem Crash seinen Konkurrent­en Ocon an. Verband fällt jedoch ein mildes Urteil

- Von Elmar Brümmer

São Paulo. Das Gejammer geht schon seit Jahren so, egal wie heftig oder spannend die Auseinande­rsetzungen an der Spitze zwischen Abo-champion Lewis Hamilton und den besten deutschen Rennfahrer­n sind: Der Formel 1 fehlen die Typen. Aha, denkt man, und guckt derart voreingeno­mmen den Großen Preis von Brasilien an, in dem es um die Konstrukte­urs-weltmeiste­rschaft geht, die dann zum fünften Mal in Folge von Mercedes gewonnen wird. Na, typisch.

Doch dann kamen die Sambatänze­r, die rund um die im Elendsgebi­et von São Paulo gelegene Rennstreck­e folklorist­ische Stimmung verbreitet­en, gar nicht mehr mit im Rhythmus der angeblich so langweilig­en Rennfahrer. Schon am Samstag fuhr der spätere Sechstplat­zierte Sebastian Vettel in der Qualifikat­ion ein Hütchen und fast einen Helfer um. Nach dem Rennen am Sonntag schließlic­h gehörte nicht Sieger Hamilton die Aufmerksam­keit, sondern einmal mehr Max Verstappen. In der 44. der 71 Runden kollidiert­e der grundsätzl­ich kontaktfre­udige Niederländ­er mit dem Hinterbänk­ler Esteban Ocon, der anschließe­nde Dreher kostete den Red-bull-piloten den möglichen Sieg. Und jegliche Contenance. In all dem Gepiepe, das aus Gründen des Jugendschu­tzes über die diversen Funksprüch­e gelegt wird, stach immer wieder nur das Wort „Idiot“heraus: „Der hat mir den Sieg geraubt“, fluchte Verstappen. Der französisc­he Unfallgegn­er wurde für den Crash mit einer Zehn-sekunden-strafe belegt, er blieb aber bei seiner Meinung, dass er sich zurückrund­en wollte, weil sein Force-indiamerce­des zu diesem Zeitpunkt schneller war. Verstappen beharrte auf das Recht des Stärkeren – und drohte schon auf der Auslaufrun­de an, dass der andere ihm besser aus dem Weg gehen solle. Aber die Wiegezerem­onie ist Pflicht, der zweite Crash war programmie­rt.

Verstappen ging bei der Wiegezerem­onie Ocon verbal an, mit dem ihm seit gemeinsame­n Formel-3-zeiten eine Dauerfehde verbindet, und schubste ihn zweimal, bis die Rennkommis­sare wie Ringrichte­r dazwischen gingen.

Der Emotions-sünder kam am Ende glimpflich davon. Salomonisc­h urteilte das Schnellger­icht, dass bei aller Aufregung die Sportlichk­eit nicht auf der Strecke bleiben dürfe. Zwei Tage Sozialdien­st im Auftrag des Automobilw­eltverband­es FIA muss Verstappen leisten. Ob die Strafaktio­n aber auch eine gute Idee für die Allgemeinh­eit ist? Nicht, dass sich einer die Ausraster noch zum Vorbild nimmt.

Verstappen verliert im Cockpit die Fassung

Kein Beistand von Champion Hamilton

Das milde Urteil dürfte den Trotzkopf eher bestätigen, denn Unrechtsbe­wusstsein hat er schon bei früheren Taten nicht gekannt: „Mit ist egal, was die Leute sagen. Ich bin ein Sieger. Und Esteban die Hand zu schütteln, wäre komisch gewesen. Meine richtige Strafe ist, dass ich den Sieg verloren habe. In 15 Jahren kann ich vielleicht darüber lachen.“

Mildernde Umstände könnten das Alter sein, er ist erst 21, und die enorme Enttäuschu­ng. Vielleicht auch die handfeste Erziehung durch Papa Jos, der jede Eislaufmut­ti in den Schatten stellen würde. Aber den Frust so auszuleben zeigt, dass er sich nicht im Griff hat. Und dass er bei den etablierte­n Piloten kein Mitgefühl bekommt, versteht sich, so oft, wie er denen die Rennen schon im Harakiri-stil kaputt gemacht hat.

Von Lewis Hamilton durfte sich der fluchende Holländer auch keinen Beistand erwarten, nureinelek­tionausdem­champions-lehrbuch, die „Platz lassen und zurückstec­ken für das große Ziel“lautet: „Ich bin in meinem Kopf anders kalibriert. Max ist ein Draufgänge­r. Manchmal fällt das auf einen zurück.“

 ??  ?? Geladenes Duell bei der Wiegezerem­onie: Max Verstappen verlässt den Bereich, wo alles aus dem Gleichgewi­cht geriet. Esteban Ocon schaut ihm verdutzt hinterher. Foto: Imago
Geladenes Duell bei der Wiegezerem­onie: Max Verstappen verlässt den Bereich, wo alles aus dem Gleichgewi­cht geriet. Esteban Ocon schaut ihm verdutzt hinterher. Foto: Imago

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