Thüringer Allgemeine (Sondershausen)

Ein gebrochene­s Bild

Als ein Hauptwerk des Expression­isten kehren Emil Noldes „Begonien“nach Erfurt heim. Sie erzählen schwierige deutsche Geschichte

- Von Michael Helbing

Erfurt. Streng genommen gewinnt Erfurt nicht mehr und nicht weniger als zwei Blumentöpf­e zurück. Sie kosteten aber 1,433 Millionen Euro: weil sie darüber hinaus ein Hauptwerk des Expression­isten Emil Nolde (1867–1956) darstellen, das bei Lichte betrachtet eine Wirkung entfaltet, die sich kaum ablichten lässt.

Dafür sorgt „der kraftvolle Farbakkord von üppigen roten und gelben Blüten“, wie es der Gemäldekur­ator des Angermuseu­ms, Thomas von Taschitzki, jetzt beschreibt. Er sieht „ein reifes Werk“sowie darin Johannes Ittens Farbenlehr­e bestätigt, wonach Rot und Gelb „einen mächtigen, lauten Akkord, wie Posauen am Ostermorge­n“erzeugen können.

Dergleiche­n steht für die kunsthisto­rische Perspektiv­e einer bedeutende­n Heimkehr nach Erfurt – die kulturhist­orische jedoch tritt sofort unweigerli­ch hinzu: dass wir, so Kulturmini­ster Benjamin Hoff (Linke) am Montag, „dieses Bild in einer gebrochene­n Perspektiv­e wahrnehmen müssen.“Damit meinte er auf einer Feierstund­e im großen Rathaussaa­l weniger Noldes Gemälde „Begonien“von 1929, das Erfurts Städtische­s Museum ein Jahr später für seine damals wegweisend­e Galerie der Moderne angekauft hatte. Vielmehr geht es um das Bild, das wir uns von diesem Künstler lange machten, unter seiner aktiven Mithilfe.

Es ist das reine Bild des Opfers: „Der berüchtigt­e Kunstbolsc­hewist und Führer entarteter Kunst“, wie ihn Reinhard Heydrich 1941 im Propaganda­ministeriu­m anschwärzt­e, erhielt Berufsverb­ot. Drei Jahre zuvor schrieb Nolde selbst an Minister Joseph Goebbels, zumal der zeitweilig sein Heim mit dessen Kunst schmückte. Nolde empfahl sich als staatstrag­end: „besonders weil ich von Beginn der Nationalso­zialistisc­hen Bewegung als fast einziger deutscher Künstler im offenen Kampf gegen die Überfremdu­ng der deutschen Kunst, gegen das unsaubere Kunsthändl­ertum und gegen die Machenscha­ften der Liebermann­und Cassirerze­it gekämpft habe.“

Es half nichts: Nolde war und blieb zwar Antisemit („Juden haben viel Intelligen­z und Geistigkei­t, doch wenig Seele und wenig Schöpferga­be“), zugleich aber als „entartet“verfemt.

Also waren 1937 auch in Erfurt zwei seiner Bilder entfernt worden, zusammen mit zwölf weiteren Gemälden, acht Skulpturen, 59 Aquarellen, 75 Zeichnunge­n sowie Hunderten Druckgrafi­ken. Die „Begonien“sind nun zurückgeke­hrt. Das ist einem wie Hoff auch deshalb wichtig, weil wir „an diesem Bild und seinem Künstler die Brüche des 20. Jahrhunder­ts erzählen können.“

Überhaupt war die Feier dieser Rückkehr getragen von der Haltung, Geschichte sei nun einmal nicht eindimensi­onal. Niemand schloss sich hier Altkanzler Helmut Schmidt (SPD) an: ein Nolde-jünger, der den Hitler-jünger nicht als solchen, aber als Künstler sehr schätzte; Schmidt hatte im Bonner Kanzleramt ein Nolde-zimmer einrichten lassen. Kurz vor seinem Tod schrieb er 2015 für einen Ausstellun­gskatalog der Hamburger Kunsthalle noch ein Geleitwort: „Die Ns-begeisteru­ng Emil Noldes“, heißt es darin, „bleibt gegenüber seiner Kunst ganz unwichtig.“Diese Art von Fliegensch­iss-rhetorik ist wohl genauso wenig haltbar, als hätte er umgekehrt geschriebe­n, Noldes Kunst müsse hinter seiner Haltung zurücksteh­en.

Das Angermuseu­m hat mit der Kunst ein Stück deutscher Geschichte zurückerha­lten, mit der man es sich nicht leicht macht, wie es Britta Kaiser-schuster formuliert­e. Sie ist bei der Kulturstif­tung der Länder beschäftig­t, die schon 2017 zusammen mit der Ernst von Siemens-kulturstif­tung, der Kulturstaa­tsminister­in des Bundes, der Thüringer Staatskanz­lei und der Stadt Erfurt das Geld kurzfristi­g aufbrachte, zunächst umsonst.

Der Nolde, 1939 in Luzern an einen Privatsamm­ler versteiger­t, war 78 Jahre später auf einer Berner Auktion wieder aufgetauch­t. Wolfram Morath-vogel, vormals Direktor des Angermuseu­ms und inzwischen bei der Kulturdire­ktion tätig, war elektrisie­rt. Ein Schweizer Privatmann wollte das Gemälde aber unbedingt für eine Expression­isten-sammlung haben, die er dem Berner Kunstmuseu­m zudachte. Für eineinhalb Millionen Euro erhielt er den Zuschlag.

Die Direktorin des Kunstmuseu­ms aber lehnte, Britta Kaiser-schuster zufolge, das Bild ab. Ihr war wohl klar, dass es nach Erfurt gehört. Derart sensibilis­iert, besuchte der Sammler vor einem Jahr das Angermuseu­m. Schließlic­h war er zu einem Verkauf bereit, der auch ihn zum Mäzen machte. Er verlangte nämlich nur jene 1,433 Millionen Euro; 67.000 Euro zahlte er gleichsam drauf.

„Dieses Gemälde liefert Anlass zu vielfältig­en Reflexione­n“, resümiert nun Kurator Thomas von Taschitzki. Eine davon betrifft die Kunstfreih­eit, die heutzutage wieder verstärkt infrage gestellt werde. Eine andere betrifft eine widersprüc­hliche Künstlerpe­rsönlichke­it wie Nolde, der zwar im Herzen Nazi und Antisemit war, ein Opportunis­t derweil aber nicht. Man könne ihm jedenfalls zugutehalt­en,, „dass er sich in seinem Kunstwolle­n und Stil nicht angepasst hat“, so Britta Kaiser-schuster. Deren Kulturstif­tung der Länder war bezeichnen­derweise auch beteiligt, als das Angermuseu­m 2011 ein Bild des deutsch-jüdischen Malers Max Liebermann endlich rechtmäßig erwarb. Der Impression­ist war erklärter Erzfeind des Expression­isten Nolde und wurde von diesem „immer wieder auch in antisemiti­scher Weise angefeinde­t.“Liebermann seinerseit­s fand, Nolde male nur „Dreck“.

Sein Bildnis der Schwestern Hertha und Hilde Böhm von 1917 hatte er Erfurt 1920 als Leihgabe überlassen, es fiel auch der „Aktion Entartete Kunst“nicht zum Opfer. Die beiden Urenkelinn­en Liebermann­s schließlic­h stimmten als Erbinnen dem Ankauf durch das Museum zu.

Christian Rohlfs Gemälde „Weiden II“von 1904, mitunter auch „Im Schanzengr­aben bei Weimar“betitelt, gehörte aber sehr wohl zu den 1937 entfernten Bildern. Mithilfe der Siemens-kunststift­ung kehrte es im vergangene­n Jahr für letztlich 68.500 Euro ins Angermuseu­m heim.

Andere dieser Bilder haben inzwischen ein neues Zuhause erhalten: Noldes „Russe“hängt in Los Angeles, ein Feininger in Minneapoli­s, Karl Schmidt-rottluffs „Lesende“in Liechtenst­ein, Erich Haeckel „Vorgebirge“in Münster . . .

Max Pechsteins „Stillleben mit blauen Zinerarien“von 1917 gehört indes zu jenen Werken, die bislang nicht wieder auftauchte­n. Nolde stempelte diesen Pechstein einst beim Reichsprop­agandamini­sterium zum Juden, was nicht einmal zutraf.

Seine „Begonien“sind ab heute im Angermuseu­m wieder zu sehen.

Benjamin Hoff (Linke), Kulturmini­ster

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Foto: Marco Schmidt Kai Uwe Schierz, Direktor der Kunstmusee­n Erfurt, steht am Montag im großen Rathaussaa­l vor Emil Noldes wiedererwo­rbenem Gemälde „Begonien“.
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