Thüringer Allgemeine (Sondershausen)
Ein gebrochenes Bild
Als ein Hauptwerk des Expressionisten kehren Emil Noldes „Begonien“nach Erfurt heim. Sie erzählen schwierige deutsche Geschichte
Erfurt. Streng genommen gewinnt Erfurt nicht mehr und nicht weniger als zwei Blumentöpfe zurück. Sie kosteten aber 1,433 Millionen Euro: weil sie darüber hinaus ein Hauptwerk des Expressionisten Emil Nolde (1867–1956) darstellen, das bei Lichte betrachtet eine Wirkung entfaltet, die sich kaum ablichten lässt.
Dafür sorgt „der kraftvolle Farbakkord von üppigen roten und gelben Blüten“, wie es der Gemäldekurator des Angermuseums, Thomas von Taschitzki, jetzt beschreibt. Er sieht „ein reifes Werk“sowie darin Johannes Ittens Farbenlehre bestätigt, wonach Rot und Gelb „einen mächtigen, lauten Akkord, wie Posauen am Ostermorgen“erzeugen können.
Dergleichen steht für die kunsthistorische Perspektive einer bedeutenden Heimkehr nach Erfurt – die kulturhistorische jedoch tritt sofort unweigerlich hinzu: dass wir, so Kulturminister Benjamin Hoff (Linke) am Montag, „dieses Bild in einer gebrochenen Perspektive wahrnehmen müssen.“Damit meinte er auf einer Feierstunde im großen Rathaussaal weniger Noldes Gemälde „Begonien“von 1929, das Erfurts Städtisches Museum ein Jahr später für seine damals wegweisende Galerie der Moderne angekauft hatte. Vielmehr geht es um das Bild, das wir uns von diesem Künstler lange machten, unter seiner aktiven Mithilfe.
Es ist das reine Bild des Opfers: „Der berüchtigte Kunstbolschewist und Führer entarteter Kunst“, wie ihn Reinhard Heydrich 1941 im Propagandaministerium anschwärzte, erhielt Berufsverbot. Drei Jahre zuvor schrieb Nolde selbst an Minister Joseph Goebbels, zumal der zeitweilig sein Heim mit dessen Kunst schmückte. Nolde empfahl sich als staatstragend: „besonders weil ich von Beginn der Nationalsozialistischen Bewegung als fast einziger deutscher Künstler im offenen Kampf gegen die Überfremdung der deutschen Kunst, gegen das unsaubere Kunsthändlertum und gegen die Machenschaften der Liebermannund Cassirerzeit gekämpft habe.“
Es half nichts: Nolde war und blieb zwar Antisemit („Juden haben viel Intelligenz und Geistigkeit, doch wenig Seele und wenig Schöpfergabe“), zugleich aber als „entartet“verfemt.
Also waren 1937 auch in Erfurt zwei seiner Bilder entfernt worden, zusammen mit zwölf weiteren Gemälden, acht Skulpturen, 59 Aquarellen, 75 Zeichnungen sowie Hunderten Druckgrafiken. Die „Begonien“sind nun zurückgekehrt. Das ist einem wie Hoff auch deshalb wichtig, weil wir „an diesem Bild und seinem Künstler die Brüche des 20. Jahrhunderts erzählen können.“
Überhaupt war die Feier dieser Rückkehr getragen von der Haltung, Geschichte sei nun einmal nicht eindimensional. Niemand schloss sich hier Altkanzler Helmut Schmidt (SPD) an: ein Nolde-jünger, der den Hitler-jünger nicht als solchen, aber als Künstler sehr schätzte; Schmidt hatte im Bonner Kanzleramt ein Nolde-zimmer einrichten lassen. Kurz vor seinem Tod schrieb er 2015 für einen Ausstellungskatalog der Hamburger Kunsthalle noch ein Geleitwort: „Die Ns-begeisterung Emil Noldes“, heißt es darin, „bleibt gegenüber seiner Kunst ganz unwichtig.“Diese Art von Fliegenschiss-rhetorik ist wohl genauso wenig haltbar, als hätte er umgekehrt geschrieben, Noldes Kunst müsse hinter seiner Haltung zurückstehen.
Das Angermuseum hat mit der Kunst ein Stück deutscher Geschichte zurückerhalten, mit der man es sich nicht leicht macht, wie es Britta Kaiser-schuster formulierte. Sie ist bei der Kulturstiftung der Länder beschäftigt, die schon 2017 zusammen mit der Ernst von Siemens-kulturstiftung, der Kulturstaatsministerin des Bundes, der Thüringer Staatskanzlei und der Stadt Erfurt das Geld kurzfristig aufbrachte, zunächst umsonst.
Der Nolde, 1939 in Luzern an einen Privatsammler versteigert, war 78 Jahre später auf einer Berner Auktion wieder aufgetaucht. Wolfram Morath-vogel, vormals Direktor des Angermuseums und inzwischen bei der Kulturdirektion tätig, war elektrisiert. Ein Schweizer Privatmann wollte das Gemälde aber unbedingt für eine Expressionisten-sammlung haben, die er dem Berner Kunstmuseum zudachte. Für eineinhalb Millionen Euro erhielt er den Zuschlag.
Die Direktorin des Kunstmuseums aber lehnte, Britta Kaiser-schuster zufolge, das Bild ab. Ihr war wohl klar, dass es nach Erfurt gehört. Derart sensibilisiert, besuchte der Sammler vor einem Jahr das Angermuseum. Schließlich war er zu einem Verkauf bereit, der auch ihn zum Mäzen machte. Er verlangte nämlich nur jene 1,433 Millionen Euro; 67.000 Euro zahlte er gleichsam drauf.
„Dieses Gemälde liefert Anlass zu vielfältigen Reflexionen“, resümiert nun Kurator Thomas von Taschitzki. Eine davon betrifft die Kunstfreiheit, die heutzutage wieder verstärkt infrage gestellt werde. Eine andere betrifft eine widersprüchliche Künstlerpersönlichkeit wie Nolde, der zwar im Herzen Nazi und Antisemit war, ein Opportunist derweil aber nicht. Man könne ihm jedenfalls zugutehalten,, „dass er sich in seinem Kunstwollen und Stil nicht angepasst hat“, so Britta Kaiser-schuster. Deren Kulturstiftung der Länder war bezeichnenderweise auch beteiligt, als das Angermuseum 2011 ein Bild des deutsch-jüdischen Malers Max Liebermann endlich rechtmäßig erwarb. Der Impressionist war erklärter Erzfeind des Expressionisten Nolde und wurde von diesem „immer wieder auch in antisemitischer Weise angefeindet.“Liebermann seinerseits fand, Nolde male nur „Dreck“.
Sein Bildnis der Schwestern Hertha und Hilde Böhm von 1917 hatte er Erfurt 1920 als Leihgabe überlassen, es fiel auch der „Aktion Entartete Kunst“nicht zum Opfer. Die beiden Urenkelinnen Liebermanns schließlich stimmten als Erbinnen dem Ankauf durch das Museum zu.
Christian Rohlfs Gemälde „Weiden II“von 1904, mitunter auch „Im Schanzengraben bei Weimar“betitelt, gehörte aber sehr wohl zu den 1937 entfernten Bildern. Mithilfe der Siemens-kunststiftung kehrte es im vergangenen Jahr für letztlich 68.500 Euro ins Angermuseum heim.
Andere dieser Bilder haben inzwischen ein neues Zuhause erhalten: Noldes „Russe“hängt in Los Angeles, ein Feininger in Minneapolis, Karl Schmidt-rottluffs „Lesende“in Liechtenstein, Erich Haeckel „Vorgebirge“in Münster . . .
Max Pechsteins „Stillleben mit blauen Zinerarien“von 1917 gehört indes zu jenen Werken, die bislang nicht wieder auftauchten. Nolde stempelte diesen Pechstein einst beim Reichspropagandaministerium zum Juden, was nicht einmal zutraf.
Seine „Begonien“sind ab heute im Angermuseum wieder zu sehen.
Benjamin Hoff (Linke), Kulturminister