Thüringer Allgemeine (Sömmerda)
„Die Grünen sind Lifestyle-Linke“
Sahra Wagenknecht über abgehobene Debatten, soziale Gerechtigkeit und die AfD
Erfurt. Die Ex-Vorsitzende der Linke-Bundestagsfraktion, Sahra Wagenknecht, ist Spitzenkandidatin in Nordrhein-Westfalen. Die gebürtige Jenaerin bringt mit ihren provokanten Thesen auch gerne die eigene Partei gegen sich auf. Heute kommt sie zum Wahlkampf nach Weimar.
Frau Wagenknecht, Ihre Thesen gelten vielen in Ihrer Partei als zu rechts. Sollte die Linke in Thüringen parlamentarisch auch mit der AfD zusammenarbeiten?
Die AfD will soziale Leistungen kürzen, Reiche steuerlich entlasten; und sie befürwortet Kriege, zumindest wenn es um Rohstoffe und andere Wirtschaftsinteressen geht. Das ist rechts und das Gegenteil dessen, wofür ich eintrete und was die Linke will. Schon daran würde eine Zusammenarbeit scheitern. Ich werbe für eine starke Linke, die die Interessen der normalen Bevölkerung vertritt. Je mehr Menschen wir überzeugen, desto schwächer wird die AfD.
Ist die Art, wie Ministerpräsident Bodo Ramelow das Land führt, ihr Verständnis von linker Politik? Bodo Ramelow ist bürgernah, er kümmert sich um die realen Probleme der Menschen. Genau das ist für mich linke Politik: sich für soziale Gerechtigkeit einsetzen und nicht irgendwelche abgehobenen Debatten führen.
Es gibt Parteifreunde, die halten Ihre Äußerungen auch für abgehoben oder zumindest nicht mehr passend für die Linke. Ex-Parteichef Bernd Riexinger beispielsweise hat Ihr neues Buch „Die Selbstgerechten“als „irre“und „spießigreaktionär“bezeichnet.
Unter der Führung von Bernd Riexinger und Katja Kipping hat die Linke leider immer schlechtere Wahlergebnisse erzielt. Viele Menschen haben uns nicht mehr als eine Partei wahrgenommen, die ihre Interessen vertritt. Es ist gut, dass dieses Kapitel beendet ist.
Sie wettern gerne gegen „LifestyleLinke“. Wen meinen Sie eigentlich damit?
Prototypisch sind für mich die Grünen, aber auch Teile der SPD. Es geht um gut situierte Leute, meist akademisch gebildet und in Großstädten lebend, die ihre Privilegien für persönliche Tugenden halten und anderen vorschreiben wollen, wie sie zu leben, zu sprechen und zu denken haben. Die sich edel dabei fühlen, wenn sie höhere Sprit- und Heizölpreise fordern und kein Verständnis dafür haben, dass es Menschen gibt, die auf ihr Auto angewiesen sind und für die 50 Euro mehr
auf im Monat kaum bezahlbar sind. Diese Lifestyle-Linken haben das Label links schwer beschädigt. Unsere Partei muss deutlich machen, dass unser Verständnis linker Politik ein anderes ist.
Wollen Sie damit am heutigen Mittwoch in Weimar gleich mal anfangen, wenn Sie gemeinsam mit Ihrem Ehemann Oskar Lafontaine
Wahlkampf für die Thüringer LinkeSpitzenkandidatin und Bundesvorsitzende Susanne Hennig-Wellsow machen?
Ja. Wir wünschen uns, dass wir in Thüringen ein gutes Ergebnis bekommen und Susanne HennigWellsow das Direktmandat erringt. Wir möchten außerdem dazu beitragen, dass die Streitigkeiten der Vergangenheit angehören.
Obwohl Sie eine völlig andere Auffassung von Flüchtlingspolitik haben als Hennig-Wellsow, rühren Sie für sie die Werbetrommel. Das muss Sie einiges an Überwindung kosten.
Überhaupt nicht. Solange man bei den wichtigen sozialen Fragen an einem Strang zieht, also bei den Forderungen nach besseren Renten, höheren Löhnen und der Ablehnung von Krieg und Aufrüstung, kann man doch akzeptieren, dass es bei einigen Positionen Unterschiede gibt. Ich finde die zunehmende Intoleranz in unserer Gesellschaft schrecklich, wo einige meinen, jeder, der eine andere Meinung hat als sie, ist deshalb schon ein halber Nazi.
Weil einige Genossen mit Ihren Positionen nicht mehr leben können, läuft jetzt sogar ein Parteiausschlussverfahren gegen Sie. Sie sorgen dafür, dass die Linke im Vorfeld der Bundestagswahl alles andere als geschlossen auftritt. Weshalb?
Fünf Mitglieder haben den Antrag gestellt. Das ist unerfreulich. Aber es gibt in jeder Partei schwierige Mitglieder. Man sollte das also nicht überbewerten. Susanne HennigWellsow lehnt das Ausschlussverfahren ganz klar ab.
Hennig-Wellsow sieht die Linke im Bund bereit, Regierungsverantwortung zu übernehmen. Sie auch? Wer etwas verändern will, muss auch regieren wollen. Wir wünschen uns eine Regierung, die endlich wieder den sozialen Zusammenhalt stärkt, statt die soziale Spaltung zu vertiefen. Das haben wir SPD und Grünen auch schon in der Vergangenheit angeboten. Bisher wurde das leider immer abgelehnt und auch jetzt sieht es danach aus, dass sie die FDP als Partner vorziehen. Dann haben sie ein Alibi, sich wieder nicht mit den mächtigen Wirtschaftslobbys anzulegen.
Linke-Wahlkampfkundgebung mit Sahra Wagenknecht, Oskar Lafontaine und Susanne Hennig-Wellsow am 25. August, 18 Uhr, auf dem Unesco-Platz in Weimar
thueringen@funkemedien.de