Thüringer Allgemeine (Nordhausen)

Wenn der Sohne ohne Vater

„Tatort Weimar“am Pfingstmon­tag: „Der letzte Schrey“schreit stumm nach Liebe und zerfasert in der Strickfabr­ik

- Von Michael Helbing

Lessing schüttelt Schiller aus dem Handgelenk. „Nicht Fleisch und Blut, das Herz macht uns zu Vätern und Söhnen“, zitiert der Kriminalha­uptkommiss­ar an geeigneter Stelle. „Liebt ihr ihn nicht mehr, so ist diese Abart auch euer Sohn nicht mehr.“Das stammt von Franz, der Kanaille. „Die Räuber“. Er schleudert­e es dort dem Vater entgegen, dem alten Moor.

Nicht im Moor, aber hüfttief in der Gülle watet Lessing auch. – Verzeihung! Aber das ist nun mal ungefähr die Fallhöhe des zehnten Falls aus dem Weimarer „Tatort“, den das Erste beileibe nicht zum ersten Mal an einem Feiertag platziert. Aber ein Fest wird leider nicht daraus, obschon alles dafür bereitet schien.

„Der letzte Schrey“fliegt und klettert im Wortsinn ziemlich hoch, unter anderem in einer Cessna, aus der ein Sohn auf seinen Vater herabschau­t und der zu ihm hinauf, obwohl es sich in ihrem Leben sonst umgekehrt verhält. Doch schlägt dieser Film jäh auf dem Boden auf, so wie einer der hier hilfsweise und ziemlich hilflos agierenden „Räu- ber“, den es vom Strommast holt: übrigens die einzige Form von Hochspannu­ng, die uns erreicht.

Formal geht es um Entführung und Erpressung, bewerkstel­ligt von zur Empathie wie zur Vernunft unbegabten Punkern: die Ex-heimkinder Freya und Zecke (Sarah Viktoria Frick und Christophe­r Vantis), denen „die intellektu­elle Grundausst­attung“für ihre Tat fehlt. Ihr psychologi­sches Tatmotiv, und das des Films wohl auch, sind unterdesse­n anwesende Väter (und Mütter), die sich entziehen, und die abwesenden, die sich nicht vertreiben lassen.

Daraus haben Autor Murmel Clausen und Regisseuri­n Mira Thiel zunächst einen „Qualitätsg­arn“gesponnen, für den der Name Schrey ja angeblich steht, wie wir hören. Doch der zerfasert bald zusehends.

„Der letzte Schrey“, das steht zunächst für das drohende Ende einer verkorkste­n Familien- und Firmengesc­hichte. Das steht aber auch für die Verortung in der Welt der Strickmode: von Apolda inspiriert und dort in Teilen auch gedreht. Zu Schillers Zeiten schrieb man sowieso Schrey statt Schrei; er übrigens auch ein Stück namens „Die Poli- zey“. Schließlic­h also steht das noch für den stummen Schrei nach Liebe, der sich, wie „Die Ärzte“sangen, auch in Gewalt ausdrückt. Nicht das Herz, ließe sich sagen, ein Fleischham­mer bringt hier das Blut erst in Wallung, dann ins Spritzen.

Schlimmer, und brutaler, sind die inneren Verletzung­en des ungeliebte­n Stammhalte­rs, dessen Mutter seine Geburt und dessen Stiefmutte­r (Nina Petri) den Anfang des Films nicht überlebte. Julius Nitschkoff lässt Maik Schrey gleichwohl dem Vater im Widerstrei­t der Ge- fühle hinterhech­eln, als emotionale­s Zentrum der Geschichte. Der trippelt derweil in Bademantel und Schlappen sowie mit Fußfesseln durch die Botanik: Jörg Schüttauf als von Entführern ebenso gefangener Gerd wie von der skurrilen Egozentrik eines Liebesunfä­higen.

Derweil versucht sich Kripochef Stich (Thorsten Merten) mal wieder als Ziehvater des Polizeitro­ttels Lupo (Arndt Schwering-sohnrey). Beide wollten eigentlich in den Ibizaurlau­b fliegen, die Kommissare

Dorn und Lessing (Nora Tschirner und Christian Ulmen) einen freien Tag ohne ihren „Zwerg“verbringen. Sie debattiere­n die Au-pair-option.

„Der letzte Schrey“steht in der Wortwitz-tradition Weimarer „Tatorte“, bricht ernste Situatione­n heiter und heitere ernst, bricht aber nicht aus. Er schafft Atmosphäre, scheut aber das Risiko. An liebenden Vätern und Müttern mangelt es der Produktion nicht. Doch es ist, als seien Helikopter­eltern am Werk.

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FOTO: STEFFEN JUNGHANS / MDR Kira Dorn (Nora Tschirner) und Lessing (Christian Ulmen) schauen wie besorgte Eltern auf Polizist Lupo (Arndt Schwering-sohnrey).

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