Thüringer Allgemeine (Nordhausen)

Boris Johnson und das No-no-deal-gesetz

Der britische Premiermin­ister will den Brexit erzwingen – ein Weg könnte ihn sogar ins Gefängnis bringen

- Von Christian Kerl

Brüssel/london. Am Amtssitz seines ungeduldig­en Gastgebers zeigte sich Boris Johnson geschmeidi­g. Ja, auch er bevorzuge einen geregelten Eu-austritt Großbritan­niens mit Vertrag, versichert­e Johnson bei einem Treffen mit seinem irischen Amtskolleg­en Leo Varadkar in Dublin. Ein No-deal bedeute „ein Scheitern der Staatskuns­t, für das wir alle verantwort­lich wären“, meinte Johnson. Doch sein Bekenntnis war nicht viel wert. Johnson lehnt den mit der EU ausgehande­lten Deal ab – aber Alternativ­en zur umstritten­en Regelung für eine offene Grenze auf der irischen Insel habe Johnson immer noch nicht vorgelegt, warf ihm Gastgeber Varadkar vor.

Und so hatte der wendige Johnson noch eine andere Botschaft parat: Sein Land müsse die EU auf jeden Fall am 31. Oktober verlassen. Aber wie, wo doch ein vom Parlament beschlosse­nes und von der Queen am Montag unterzeich­netes NoNo-deal-gesetz den EU-AUStritt ohne Vertrag Ende Oktober verbietet? Johnsons Antwort: Das Parlament soll schon ab Dienstag mit der Zwangspaus­e bis 14. Oktober vorübergeh­end ausgeschal­tet werden; die Regierung gab den überrasche­nd frühen Termin am Montag bekannt, die Opposition sprach von einem „Skandal“.

Und dann noch ein Paukenschl­ag am Montag: John Bercow, Sprecher des britischen Unterhause­s, stellte seinen Rücktritt in Aussicht. Er werde seinen Posten spätestens am 31. Oktober räumen. Sollte davor bereits eine Neuwahl ausgerufen werden, wolle er nicht mehr antreten. In der Debatte über den Brexit hatte sich Bercow stets für die Rechte der Abgeordnet­en eingesetzt – und sich damit den Vorwurf eingehande­lt, parteiisch zugunsten der EU-BEfürworte­r zu sein. Johnson plant derweil mit Tricks den schnellen Austritt am Gesetz vorbei – auch wenn ihm sogar Gefängnis droht.

Wie will Johnson den No-dealdurchs­etzen?

Offenbar überlegt der Premier, das vom Parlament beschlosse­ne No-no-deal-gesetz einfach zu ignorieren. Sein enger Berater Dominic Cummings wird mit den Worten zitiert, der Austritt würde notfalls mit der „Kettensäge“vollzogen: „Was ihr letzte Woche erlebt habt, ist nichts gegenüber dem, was noch kommen wird.“Eigentlich müsste Johnson bei der EU spätestens am 19. Oktober beantragen, den Austritt um drei Monate zu verschiebe­n, wenn bis dahin kein Vertrag ratifizier­t ist – was nach Lage der Dinge ausgeschlo­ssen werden kann. Doch stattdesse­n würde er in den letzten Oktobertag­en eine Staatskris­e auslösen: Johnson wird sich schlicht weigern, den Antrag in Brüssel einzureich­en – lieber würde er „tot im Graben liegen“. Nach der Weigerung würde er von Teilen des Parlaments sicher bei Gericht verklagt. Vor dem Supreme Court, dem obersten Gericht, käme es zum Showdown.

Riskiert Johnson wirklich Gefängnis?

Seine Unterstütz­er sagen: Ja, dieser Preis sei für einen Brexit nicht zu hoch. Johnson spekuliert wohl darauf, dass die Richter erst entscheide­n, wenn der Brexit am 31. Oktober schon vollzogen ist. Wahrschein­licher wäre eine Eilentsche­idung des Gerichts. Klar ist: Weigert sich Johnson, das Gesetz umzusetzen, kann er dazu verurteilt werden. Ex-generalsta­atsanwalt Dominic Grieve sagt: „Das Gericht würde notfalls eine Verfügung erlassen. Hält er sich nicht daran, könnte er ins Gefängnis geschickt werden.“Für die Hardliner unter den Brexit-befürworte­rn würde Johnson damit zum Helden. Was tatsächlic­h passieren würde, ist ungewiss. Wie könnte Johnson tricksen? Ein weiterer Plan sieht offenbar vor, die Eu-regierungs­chefs zu provoziere­n, die Verlängeru­ng abzulehnen. Johnson würde spätestens am 19. Oktober den Verschiebu­ngsantrag in Brüssel einreichen – aber ergänzt um einen Brief, der klarstellt, dass die Regierung gar keine Verlängeru­ng über den 31. Oktober hinaus will. Das Problem für die EU: Ihre Spitzenleu­te haben immer erklärt, im Prinzip könne man dem Wunsch Londons nachkommen – es müsse aber einen belastbare­n Grund für eine Verlängeru­ng geben. Wenn Johnson der EU nun offiziell mitteilt, es gebe leider keinen Grund, wären die Eu-regierungs­chefs in der Bredouille. Durchaus möglich, dass das erforderli­che einstimmig­e Einverstän­dnis der Eu-staaten dann nicht zustande kommt. Um den Druck zu erhöhen, wird in London auch die Drohung lanciert, die EU nach dem 31. Oktober zu sabotieren.

Warum ist Johnson so entschloss­en?

Den Wählern hat er versproche­n, das Land, „komme was wolle“, am 31. Oktober aus der EU zu führen. Bei raschen Neuwahlen hätten die Konservati­ven dann laut neuesten Umfragen einen Vorsprung von zehn bis 14 Prozentpun­kten vor Labour. Doch falls Johnson sein Verspreche­n nicht halten kann, droht er laut Demoskopen die Wahl zu verlieren.

Wie reagiert die Opposition? Empört. Es wird bereits ein Amtsentheb­ungsverfah­ren diskutiert.

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FOTO: GETTY IMAGES ?? Parlaments­präsident John Bercow kündigte aus Protest gegen Johnson seinen Rücktritt an. Zeigt der EU die Muskeln: Großbritan­niens Premier Boris Johnson beim Besuch in der Republik Irland.
FOTO: REUTERS FOTO: GETTY IMAGES Parlaments­präsident John Bercow kündigte aus Protest gegen Johnson seinen Rücktritt an. Zeigt der EU die Muskeln: Großbritan­niens Premier Boris Johnson beim Besuch in der Republik Irland.
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