Thüringer Allgemeine (Nordhausen)
„Notfalls lasse ich mich hier abführen“
Der Bratwurststreit um Deutschlands älteste Autobahnraststätte tobt seit Langem. Jetzt entscheidet Oberverwaltungsgericht
Rodaborn. Christina Wagner steht am Grill. Noch immer. Ein Jahr ist es her, dass Verwaltungsrichter Deutschlands älteste Autobahnraststätte aufsuchten, um in einem bizarren Streit zu urteilen. Autofahrern, die am Parkplatz Rodaborn an der A 9 (Berlin-münchen) Rast machen, versperrt ein zwei Meter hoher Zaun den Weg zu Wagners Imbiss. Sie steigt auf eine Leiter und verkauft Bratwürste und Kaffee über den Zaun hinweg. Die Behörden haben diese Praxis untersagt. Weil sich Wagner nicht fügte, landete der Fall vor Gericht. Auch da erlitt sie eine Niederlage. Die Zaun-rebellin verkauft trotzdem weiter Kaffee und Thüringer Bratwürste.
Wie es ihr ein Jahr nach dem Urteil geht? „Es muss“, sagt sie. Schon ruft ein Mann gegen den Lärm der Autobahn an: „Zwei Bratwürste!“„Senf?“, ruft sie zurück. „Ja, bitte!“So wiederholt es sich zigmal am Tag. Wagner packt die Würste in ein Körbchen, läuft einige Meter bis zum Zaun, steigt auf die Leiter und reicht den Korb hinüber. Ihr Kampf gegen die Behörden hat dem Imbiss zu einiger Bekanntheit verholfen. Der Spaß sei ihr aber längst vergangen: „Es geht um meine Existenz und die meiner Familie.“Wagner hat mit ihrem Mann vom Bund die historische Raststätte gekauft, die allerdings keine Konzession hat. Ihr sei zugesichert worden, dass es zumindest vom Parkplatz in Fahrtrichtung Berlin einen Zugang gebe, sagt sie. Doch auf beiden Seiten der A 9 sind die Parkplätze mit hohen Zäunen abgeriegelt, die Tore darin verschlossen. Wer auf normalem Weg eine Bratwurst würde kaufen wollen, muss von der Autobahn einen erheblichen Umweg über Gewerbestraßen auf sich nehmen. So geben viele Autofahrer ihre Bestellung lieber am Zaun auf. Doch beim Verkauf am Zaun handle es sich um eine „erlaubnispflichtige Sondernutzung“, entschied die 3. Kammer des Verwaltungsgerichts Gera am 3. Mai 2016. Und eine Konzession dafür hat Wagner nicht. Eine Öffnung des Zauns – wie von ihr immer wieder auch aus Sicherheitsgründen angeregt – lehnte das Gericht ab, weil dies enorme Haftungsrisiken berge. Etwa, wenn dadurch Tiere auf die Autobahn gelangen und Unfälle verursachen.wagner kann bislang dennoch weiter Bratwürste über den Zaun verkaufen. Das Urteil der Geraer Richter ist noch nicht rechtskräftig. Das Oberverwaltungsgericht in Weimar muss klären, ob die Berufung zugelassen wird. Eine Entscheidung sei im Laufe des Monats zu erwarten, erklärte ein Sprecher. Auch gegen die Ablehnung einer Sondernutzung ist sie in Widerspruch gegangen. Hierzu stehe eine Entscheidung aus. Die Zaun-rebellin fühlt sich betrogen. Immerhin habe ihr der Bund die Raststätte einst verkauft und sie sei guten Glaubens hierher gezogen. „Notfalls lasse ich mich hier abführen“, sagt sie und eilt mit ihrem Korb samt Bratwürsten erneut zum Zaun, wo der nächste hungrige Autofahrer wartet. (dpa)