Thüringer Allgemeine (Nordhausen)
Löw setzt auf die Helden von Rio
Einen gemütlichen Start schließt der Bundestrainer aus. Die Weltmeister von 2014 sollen es im Auftaktspiel richten
Évian-les-bains. Joachim Löw lässt seine Weltmeister los. Die Helden von Brasilien sollen im kniffligen Auftaktspiel gegen die hart einsteigenden Konterfußballer der Ukraine für einen Traumstart sorgen und beweisen, dass sie wieder hungrig auf einen Siegerpokal sind. Der Bundestrainer ermahnte seine erfahrenen Startelf-kräfte aber vor dem Ernstfall am Sonntag (21 Uhr) in Lille, sofort an die Schmerzgrenze zu gehen.
„Dass man gemütlich durch die Vorrunde kommt, ist bei einem Turnier nie der Fall – und jetzt ganz besonders nicht“, erklärte Löw. Die letzte Trainingseinheit im Basisquartier in Évian-les-bains wurde am Freitag bei strahlendem Sonnenschein hinter dem Sichtschutz des Trainingsplatzes absolviert. „Wir sind bereit, man merkt die Anspannung der Jungs“, berichtete Löws Assistent Thomas Schneider. „Wir sind topvorbereitet“, sagte Edeljoker André Schürrle.
Löw erwartet nach der Ausweitung des Teilnehmerfeldes auf 24 Mannschaften und damit maximal sieben Spielen innerhalb von 29 Tagen einen körperlichen Abnutzungskampf. Nie zuvor hat der 56-Jährige in seiner zehnjährigen Amtszeit als Bundestrainer die typisch deutschen Tugenden wie Siegeswille, Leidenschaft und Kampfkraft so sehr betont wie vor seinem fünften Championat. „Wir dürfen uns nicht allein auf unsere spielerischen Fähigkeiten verlassen gegen solche Mannschaften wie die Ukraine. Das wäre ein großer Fehler“, sagte Löw vor dem ersten Gruppenspiel im Stade Pierre Mauroy.
Der Weltmeistercoach erwartet beim Start in seine dritte EM ein zähes Anlaufen gegen eine ukrainische Mannschaft, deren erstes Ziel es sein werde, Gegentore zu vermeiden. Geduldig sein, den Gegner müde spielen und dann konsequent zuschlagen, lauten Löws Vorgaben an sein Team. „Wir müssen uns daran gewöhnen, dass wir in Zweikämpfe verwickelt werden, dass wir unsere gesamte Kampfkraft investieren müssen, dass wir durchsetzungsfähig sein müssen“, glaubt Löw.
Die Mannschaft der Ukraine und ihre Spieler sind in Deutschland weitgehend unbekannt. Aber Löw hat mit seinem Trainerstab und der Scoutingabteilung den Gegner bis ins letzte Detail analysiert. „Sie spielen defensiv sehr strukturiert und sehr diszipliniert. Sie kontern schnell, haben schnelle Außenstürmer.“Die Flügelzange Jarmolenko/konopljanka gilt als die größte Gefahrenquelle. Dazu kommt Härte. „Sie sind körperlich robust und alles andere als zimperlich“, mahnte Löw. Das Gesamtfazit des Bundestrainers lautet: „Das ist eine gefährliche Mannschaft!“
Löw muss zum Start entstandene Lücken schließen. Kapitän Bastian Schweinsteiger kann der Mannschaft nach seinem Kurz-comeback gegen Ungarn im ersten Gruppenspiel höchstens ein paar Minuten als Einwechselspieler helfen. „Basti hat sicherlich noch nicht die Substanz, über einen längeren Zeitraum zu gehen“, äußerte Cotrainer Schneider deutlich.
Für den noch nicht fitten Innenverteidiger Mats Hummels muss Löw nach dem Turnieraus des Ersatzmannes Antonio Rüdiger (Kreuzbandriss) die Clösung ins Abwehrzentrum stellen – aller Voraussicht nach Shkodran Mustafi. Löw setzt – wenn die wenigen gewährten Trainingseinblicke am Genfer See nicht trügen – auf volle Weltmeister-power. Bis zu zehn der noch 14 Brasilien-champions im Em-kader dürften den Anpfiff am Sonntagabend auf dem Rasen erleben.
„Unsere Mannschaft steht“, äußerte Schneider. Am Spieltag könnte Löw trotzdem noch nach einer Bauchentscheidung immer noch eine letzte Position ändern. Mario Gomez hat sich im Angriff angeboten. Einziger Turnierneuling in der deutschen EM-ELF wird Jonas Hector sein.
Alle im riesigen Dfb-tross – von den 23 Spielern bis zum Zeugwart – sind froh, dass es nach drei Wochen Vorbereitung endlich losgeht. „Man freut sich, wenn man zur Sache kommen kann“, sagte Teammanager Oliver Bierhoff. Am Samstag um 11.45 Uhr hebt der Charterflieger in Annécy Richtung Lille ab.
Bierhoff hat Deutschland vor 20 Jahren in England zum dritten und bislang letzten Em-titel geschossen. Sein Golden Goal zum 2:1 in der Verlängerung des Endspiels gegen Tschechien wird seitdem vor jeder Em-endrunde in Erinnerung gerufen. „Wir sollten neue Geschichte schreiben und auch den vierten Em-stern nach Deutschland holen“, sagte der ehemalige Nationalstürmer darum in Anspielung auf den vierten Wm-titelgewinn vor zwei Jahren.