Thüringer Allgemeine (Mühlhausen)
Die vier Leben des Horst Seehofer
Als CSU-CHEF hat er bald ausgedient, als Innenminister mit begrenzter Hausmacht muss er sich erst neu erfinden
Berlin. Er ist wie eine Katze. Er hat viele Leben, nicht sieben, aber mindestens vier. Das vierte Politikerleben von Horst Lorenz Seehofer beginnt irgendwann Ende Januar, Anfang Februar 2019. Dann scheidet er als CSU-CHEF aus. Er hatte Zeit, sich darauf einzustellen. Und doch wirkt er arg geknickt, als die Csu-bezirkschefs ihm klarmachen, dass sie ihn beim Wort nehmen und am Ergebnis der Bayernwahl messen wollen. Er ist kein Erfolgsgarant mehr. Als Innenminister macht er in Berlin weiter, in einem Ressort und in einer Stadt, mit denen er fremdelt. Er ist ein Mann der Bonner Republik.
In den Bundestag kommt er 1980, 31 Jahre alt. Er hat ein Faible für Sozialpolitik. Von 1992 bis 1998 ist er Gesundheitsminister. Aus Protest gegen die Gesundheitspauschale tritt er 2004 rollentreu als Unionsfraktionsvize zurück. Davon erholt er sich – zweites Leben – schnell. 2005 profitiert er von der vorgezogenen Neuwahl und der großen Koalition, er darf als Agrarminister ins Kabinett. 2008 verliert die CSU erstmals seit vier Jahrzehnten die absolute Mehrheit. Weite Teile der Partei wünschen sich einen Neuanfang und dass Ministerpräsidentenamt und Csu-vorsitz in eine Hand gelegt werden – in Seehofers. Sein drittes Leben lässt sich gut an. 2013 holt er die absolute Mehrheit zurück.
Seine Schwächen treten aber bald zutage. Er ist stimmungsabhängig, wechselt gern Positionen. Schon bald nennen sie ihn „Drehhofer“. Seit wann der Ruch des Scheiterns ihn umweht, lässt sich schwer datieren. Zweifellos gibt es zwei Treiber des Niedergangs. Da ist zum einen Markus Söder, der ihn immerzu als Leitwolf auf die Probe stellt und im Frühjahr 2018 als Regierungschef ablöst. Da ist zum anderen die Flüchtlingskrise 2015, die zum Bruch mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU) führt. Auf einem Parteitag im November desselben Jahres kann man das Drama verfolgen. 21 Minuten hat die Kanzlerin geredet, weitere 13 Minuten muss sie auf der Bühne verharren. Ein führender Csu-politiker erinnert sich: „Das war schrecklich peinlich, einfach kein Benehmen.“Später wird Seehofer ihr eine „Herrschaft des Unrechts“vorwerfen, noch später sie als gemeinsame Kanzlerkandidatin bejubeln.
Da ist er wieder, der Drehhofer. So wie im Sommer 2018, als er, seit März neuer Bundesinnenminister der großen Koalition, seinen Rücktritt ankündigt – wieder geht es um die Flüchtlinge – und zurücknimmt. Da hatte er längst den Rückhalt der CSU verloren. An jedem Infostand im Wahlkampf, versichern Csu-politiker, gab es ein Thema: Wann geht Seehofer?
Jetzt. Aber nicht so ganz. Das vierte Leben – nur als Innenminister – beginnt.