Thüringer Allgemeine (Mühlhausen)
„Für Platz 30 mache ich das nicht“
Der frühere Skisprung-weltmeister Severin Freund kehrt nach langer Verletzung in den Weltcup zurück
Garmisch. Es passt ins Bild, dass im Vergleich zur großen Skisprung-serie noch das letzte Viertel fehlt. So ist es sozusagen eher eine Drei- als eine Vierschanzentournee, die Severin Freund gerade absolviert. Aber das ist nicht schlimm, ihm selbst fehlt ja auch noch einiges.
Innsbruck, Oberstdorf und Garmisch-partenkirchen – mit jedem Sprung gewinnt Severin Freund mehr Gefühl zurück. Das Bewusstsein, wie es ist, sich vom Bakken abzustoßen, die Spur herunterzusausen, abzuspringen, zu schweben und um zuletzt wieder festen Boden unter den Skiern zu haben.
Für das Sportler-drama, das der Niederbayer hinter sich hat, eine gewöhnliche Neuorientierung, er kann ja nach eineinhalb Jahren Verletzungspause noch nicht wieder der Alte sein. Doch jeder Sprung weckt in Freund, der neben Alpin-star Felix Neureuther die am meisten beäugte Rückkehr des nacholympischen Winters anpeilt, auch Erwartungen. „Es wird nicht so sein, dass ich einsteige und zack, bumm – da ist der Sieg. Aber ich mache das auch nicht, damit ich im Weltcup 30. werde.“
Worte eines Skisprung-enthusiasten. Denn eigentlich könnten sich in Freunds Leben gerade auch leicht die Prioritäten verschieben. Er ist 30 Jahre alt, wurde vor einem Monat Vater und hat während der Zwangs-reha nach zwei 2017 unmittelbar aufeinander folgenden Kreuzbandrissen seinen Bachelor-abschluss in BWL gemacht. Doch das Ende seiner Karriere, als Olympiasieger mit der Mannschaft in Sotschi, als Weltmeister von der Großschanze sowie im Skifliegen – das kam für ihn trotz der verpassten Winterspiele im Februar in Pyeongchang nie infrage: „In keiner Minute habe ich daran gedacht, dass ich dort nicht anstelle eines Teamkollegen sein konnte. Es gab bittere Momente, aber irgendetwas in mir hat mir schnell nach der Verletzung gesagt, dass es da noch etwas zu tun gibt.“
Erst im Kraftraum arbeitet sich Freund nun auf der Schanze heran. „Wenn man zurückkehrt, ist gleich Euphorie dabei. Aber bei den Sprüngen merkt man schnell, dass eineinhalb Jahre keine drei Monate Pause sind.“Und die Konkurrenz ist groß, durch Olympiasieger Andreas Wellinger und den Gesamtweltcup-zweiten Richard Freitag. Es ist schwierig, seinen Platz im Team zu finden. Freund: „In anderen Nationen wäre es vielleicht leichter, über den Bonus der Erfolge reinzukommen. Aber wenn ich jetzt da bin und mich etabliere, weiß ich, dass ich international auch zu etwas fähig bin.“
Der Rückkehrer setzt sich selbst die WM in Seefeld/österreich im Februar zum Ziel: „Bis dahin kann wieder etwas Großes entstehen.“Auch wenn Severin Freund noch einige Zwischenschritte und vor allem viele gute Sprünge fehlen.