Gothas Stadtbibliothek ist mittlerweile ihr zweites Zuhause
Sarah Roos zeigt mit Betreuerin Ramona Schrickel, dass Inklusion ein Gewinn für alle Menschen ist
Gotha. Betriebsintegrierter Arbeitsplatz. Was sperrig klingt, ist für Sarah Roos, die durch eine Entwicklungsverzögerung beeinträchtigt wird, pures Glück. Und ein wichtiges Instrument, um gehandicapte Menschen teilhaben zu lassen am Arbeitsleben. Zum Europäischen Protesttag zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderung unter dem Motto „Tempo machen für Inklusion“am 5. Mai zeigt das Beispiel von Sarah, wie einfach und bereichernd das sein kann.
Die 21-Jährige aus Crawinkel hat seit Anfang dieses Jahres einen Arbeitsvertrag für die Stadtbibliothek „Heinrich Heine“. Dienstags bis freitags arbeitet sie in der Einrichtung der Stadt Gotha. Montags ist sie weiterhin in einer Werkstatt der Diakonie des Landkreises Gotha beschäftigt.
Der Schritt aus den Werkstätten heraus bedeutet Weiterentwicklung Nach ihrem Schulabschluss im Förderzentrum Gotha hat Sarah Roos in dieser Werkstatt den Berufsbildungsbereich durchlaufen. Zwei Jahre dauert das, um herauszufinden, was für sie möglich ist und was ihr liegt. Zwischendrin gab es immer wieder Praktikumstage in der Bibliothek.
„Aus einem Tag pro Woche wurden zwei und drei Tage“, erinnert sich Nicole Strohrmann, die Leiterin der Bibliothek. Michael Fischer, Jobcoach bei der Diakonie, sagt: „Uns ist wichtig, dass unsere Mitarbeiter auch etwas anderes ausprobieren und dafür Praktikumsplätze in Unternehmen nutzen können. Denn ein betriebsintegrierter Arbeitsplatz ist ein Schritt aus den Werkstätten heraus, bedeutet Weiterentwicklung.“
Fischer hält den Kontakt zu Sarah und weiteren ehemaligen Beschäftigten aus den Werkstätten. „Insgesamt haben wir bei der Diakonie im Landkreis Gotha derzeit 26 Menschen mit einem betriebsintegrierten Arbeitsplatz“, so der Jobcoach. „Das Spektrum ist breit. Es reicht von der Altenpflege über die
Firmen Reterra und Enercon bis eben zur Stadtverwaltung mit der Bibliothek.“Anfangs habe die Diakonie viel Aufklärungsarbeit leisten müssen. „Viele wissen nicht, was Menschen mit Handicaps zu leisten imstande sind.“Aber es habe sich langsam herumgesprochen, dass Firmen mit ihnen oft sehr zuverlässige und engagierte Mitarbeiter gewinnen können. Michael Fischer: „Inzwischen bekommen wir Anfragen von Unternehmen.“
Sarah Roos hatte früh ihre Begeisterung für die Gothaer Stadtbibliothek entdeckt. Sie war hier schon zu Schulpraktika in der 9. und 10. Klasse. Und wusste schnell, dass sie das gern beruflich machen würde. Von Beginn an steht ihr Ramona Schrickel zur Seite. Die Mitarbeiterin der Bibliothek hatte schnell einen Draht zu der anfangs sehr schüchternen jungen Frau gefunden.
Sarah wiederum hat in all der Zeit viel von ihrer Betreuerin gelernt – das Etikettieren, Scannen und Folieren
der neuen Bücher zum Beispiel. „Ich räume aber auch den Rückgabe-Automaten aus und die Bücher wieder an ihren richtigen Platz, überprüfe die Spiele auf Vollständigkeit, sortiere das Zeitschriftenregal,
räume morgens in der Kinderwelt auf und arbeite an der Ausleihtheke“, erzählt die 21-Jährige. „Ich lese auch gern vor, zum Beispiel manchmal in der Kinderwelt. Die Bibliothek ist wie mein zweites Zuhause“, strahlt sie.
„Sarah ist wirklich ein Sonnenschein. Sie hat immer gute Laune. Das wirkt sich auch positiv aufs Betriebsklima aus“, hat Nicole Strohrmann festgestellt. „Man merkt, dass sie hier sein möchte, sie fordert uns geradezu heraus, sie zu fördern. Und sie ist viel selbstbewusster geworden.“
Natürlich brauche man Geduld, doch die zahle sich aus, weiß auch Michael Fischer, der bei einem seiner Besuche selbst schon Zeuge wurde, welch guten Blick Sarah fürs Buchsortieren entwickelt hat.