Wie viele Ukrainer hat Putin verschleppt?
Die Berichte mehren sich, dass Zivilisten nach Russland deportiert wurden. Das wäre ein weiteres Kriegsverbrechen
Berlin. 15 vermummte Männer hätten die junge Journalistin mitgenommen, an diesem 15. März im Osten der Ukraine. So berichtet es ihr Arbeitgeber, die „Hromadske Media“, dem britischen Fernsehsender BBC. Die Reporterin Viktoriia Roshchyna sei „wahrscheinlich“durch den russischen Geheimdienst FSB festgehalten worden. Nach sechs Tagen sei Roshchyna freigekommen. Eine offizielle Bestätigung für den Vorfall gibt es nicht.
Kidnapping, Entführungen und Verschleppungen – es sind gravierende Vorwürfe, die ukrainische Zivilisten
und die Behörden des Landes den russischen Angreifern machen. Menschen würden aus den besetzten Gebieten gegen ihren Willen nach Russland gebracht. Von Tausenden Deportierten sprach der Bürgermeister von Mariupol Mitte März. Von „Umsiedlungen“ist die Rede, sogar von „Konzentrationslagern“. Darunter auch Kinder.
„Die Berichte über Verschleppungen müssen zwingend Gegenstand der internationalen Untersuchungen zu russischen Kriegsverbrechen sein“, sagte die Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Luise Amtsberg (Grüne) unserer Redaktion. „Sollten diese
Personen gegen ihren Willen nach Russland verbracht worden sein, wäre das ein erneuter eklatanter Bruch des Völkerrechts.“Die vierte Genfer Konvention verbiete die zwangsweise Umsiedlung und Deportationen von Zivilisten in einen anderen Staat.
Belege liefert die ukrainische Regierung für diese Vorwürfe bisher nicht. Allerdings verdichten sich die Hinweise, dass Russland anderenorts in der Ukraine bereits gegen das Völkerstrafrecht verstößt – und Kriegsverbrechen begeht.
Unsere Redaktion hat mehrere Organisationen angeschrieben, die vor Ort im Einsatz sind. Das UNFlüchtlingshilfswerk erklärt, ihnen seien „Berichte und Hinweise über Verschleppungen bekannt“. Man könne aber nichts bestätigen. Die UN sammele Informationen zu den Vorwürfen. Das „Norwegian Refugee Council“teilte ebenfalls mit, man könne die Berichte nicht unabhängig prüfen.
Die russische Seite bestreitet zunächst einmal nicht, dass die Soldaten Menschen aus den besetzten Gebieten im Osten des Landes nach Russland bringen. Laut UN-Flüchtlingshilfswerk sind bis Ende April fast 700.000 Menschen aus der Ostukraine nach Russland geflohen. Freiwillig, sagt die russische Regierung. Ob das bei allen der Fall ist, daran gibt es starke Zweifel.
„Die russische Kriegsführung suggeriert, dass es sich hierbei um humanitäre Evakuierungen handelt, dabei haben diese ‚Evakuierungen‘ rein gar nichts mit den vereinbarten humanitären Korridoren zu tun“, wirft Amtsberg Russland vor. Der Verbleib dieser Menschen werde für russische Propaganda genutzt.
International sorgen die Vorwürfe für Entsetzen. „Die offenkundig massenhaften Verschleppungen und ganz besonders die berichteten Zwangsadoptionen von Kindern eröffnen eine weitere, düstere Sicht auf derart wirklich barbarisches Verhalten, dass die ganze Welt alarmiert sein muss“, sagte Michael Brand, Vorsitzender der Arbeitsgruppe für Menschenrechte der Unionsfraktion, unserer Redaktion. Die Bundesregierung müsse „wegen des tausendfachen Schicksals dieser Familien und Kinder“massiven Druck auf die russische Führung ausüben, so Brand.