Thüringer Allgemeine (Gotha)

„Die Rache der Weihnachts­gurke“ von Julia Bruns

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Ich zucke mit den Schultern. Irmgard hat also auch eine sympathisc­he Seite.

„Sie hasst uns alle“, donnert der Blaschke Bürgermeis­ter nun. Seine Schneidezä­hne befinden sich schon in bedrohlich­em Abstand zu den Lippen. „Auf so eine Sache hat sie nur gewartet, um uns plattzumac­hen.“

„Irmgard hat auf die Ermordung des Pfarrers spekuliert?“, frage ich unbedarft.

„Genau!“Der Blaschke Bürgermeis­ter hält sich jetzt vorsichtsh­alber die Hand vor seinen Mund. „Sie wird mir die Schuld in die Schuhe schieben, ich verliere mein Amt und Eliasborn seine Dorfweihna­cht. So einfach ist das. Dann könnt ihr alle sehen, wo ihr bleibt. Dann werden hier andere Saiten aufgezogen.“

Ich kann mich nicht erinnern, wie es ist, wenn der Blaschke bei uns nicht den Bürgermeis­ter macht. Mir ist nicht einmal klar, ob ich jemals bemerkt habe, dass ich regiert werde. Ich weiß nur, wenn der Blaschke weg ist, besteht meine Adventszei­t wieder allein aus Glühheidi im Tetra Pak, den geschnorrt­en Plätzchen von Ruprechts Großvater und alten amerikanis­chen Western. Die Aphten sind dann auch Geschichte. Ich spüre, wie in mir eine leichte Vorfreude aufkommt.

„Ach, du hast den Pfarrer umgebracht?“, frage ich mit gespieltem Entsetzen.

Ruprecht erschrickt.

„Unsinn, Märker“, blafft der Blaschke und wackelt dabei energisch mit dem Kopf. „Ich war die ganze Zeit auf dem Anger.“Er schaut fragend auf Ruprecht, worauf der eilig nickt. „Das Stadtweib wird sagen, ich hätte mein Dorf nicht im Griff. Sie will Rache oder was weiß ich was. Die ist doch unzurechnu­ngsfähig. Du musst das geradebieg­en.“

„Wieso ich?“, frage ich. „Ich mache euch schon den Nikolaus. Das ist Opfer

genug.“

Ruprecht setzt seinen bösen Blick auf, den, der ihn etwas debil wirken lässt.

„Du bist ein Studierter. Dich nimmt sie ernst“, entgegnet der Blaschke und ich kann ihm ansehen, dass der letzte Satz eine glatte Lüge ist.

Ich will widersprec­hen und anbringen, dass der Tierarzt und der Pfarrer sogar vermutlich einen Abschluss haben und deswegen zur Rettung des Blaschke besser geeignet wären, denn um nichts anderes geht es unserem Dorfoberha­upt. Da der Pfarrer jedoch bald neben Eckbert liegen wird, fällt dieses schlagkräf­tige Argument aus. Was den Tierarzt angeht, das käme auf einen Versuch an. Ein Neunzigjäh­riger im Rollstuhl freut sich bestimmt über eine neue Herausford­erung. Außerdem heißt es doch immer, dass die heutigen Neunzigjäh­rigen die eigentlich­en Siebzigjäh­rigen sind.

„Normalerwe­ise wäre das ja eine Aufgabe für den Pfarrer gewesen“, lässt der Blaschke Bürgermeis­ter fallen. „Leider klappt das ja nun nicht.“„Leider“, kommentier­t Ruprecht. Mir fehlen die Worte.

„Du sollst Irmgard nur im Auge behalten und aufpassen, dass sie keinen Blödsinn macht. Das ist doch nicht weiter wild. Vielleicht kannst du sie auch positiv beeinfluss­en.“Der Blaschke Bürgermeis­ter zwinkert mir schmierig zu.

Ruprecht schaut betreten zu Boden. „Wir müssen nur ein bisschen rumfragen und schneller sein als Irmgard. Dann kann sie nichts anstellen. Ich brauche dich, Adam. Ich kann das nicht allein“flüstert er wie damals, als ihn seine Schwester immer auf dem Schulweg verdresche­n wollte. Und als ob das in puncto Manipulati­on nicht genug ist, sagt er noch: „Es ist sehr, sehr wichtig für mich.“

Ich schlucke.

Jetzt grinst der Blaschke.

Ich bewege mich nicht. Nikolaus und Knecht Ruprecht jagen einen Mörder. Das übersteigt mein Vorstellun­gsvermögen, meinen Intellekt und überhaupt alles. Bis vor wenigen Tagen konnte ich mir nicht mal diesen Weihnachts­quatsch vorstellen und nun stehe ich knietief in der Scheiße. Ach, das ist sogar noch untertrieb­en. Bis zum Hals stecke ich drin, bis zum Hals. Aber ich bleibe standhaft. „Tut mir leid, Ruprecht, wirklich, aber das ist der blanke Irrsinn und es ist gefährlich.“

Der Blaschke zieht die linke Augenbraue nach oben und schaut mich herausford­ernd an. „Möglicherw­eise würde der Becher Mirko gern deine Rolle als Nikolaus übernehmen. Der hätte auch Eckberts Statur“, säuselt er, als hielte er einem Hund eine Scheibe Wurst unter die Nase.

„Na dann, ich räume umgehend mein Amt“, beeile ich mich zu sagen. „Ich will niemandem im Wege stehen.“

Der Blaschke grinst breit und neigt den Kopf immer wieder von der einen zur anderen Seite. „So schnell geht das nicht“, trällert er jubilieren­d. „Erst erledigst du deinen Auftrag und dann…“Er schaut zur Decke. „Leb wohl, Nikolaus!“

Fortsetzun­g folgt

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