Ein Wert an sich
Geschichte besitzt zuweilen ihre ganz eigene Ironie. Das gilt insbesondere für das Land der begrenzten Koalitionsmöglichkeiten namens Thüringen.
Ein kurzer, schmerzhafter Blick zurück: Am Abend des 4. Februar dieses Jahres einigte sich die Fraktion der CDU im Landtag darauf, am nächsten Tag den FDP-Landeschef Thomas Kemmerich zum Ministerpräsidenten zu wählen. Die meisten glaubten, damit nur eine symbolische Handlung zu vollziehen. Wie sie sich doch täuschten.
Nun, zehn Monate später, saßen in demselben „Bernhard-VogelSaal“, in dem damals die Unionsabgeordneten tagten, die Fraktionsvorsitzenden von Linke, SPD, Grüne und CDU zusammen, um den finalen Kompromiss für den Landeshaushalt 2021 zu beraten. Sie stritten, feilschten und aßen viel zu viel Pizza, bis nach 19 (in Worten: neunzehn) Stunden eine Einigung gefunden war.
Der Kompromiss wirkt an einigen Stellen wie ein teures Sammelsurium an Dingen, die sich die beteiligten Parteien schon immer wünschten, aber nicht leisten konnten. Gleichzeitig lassen sich etliche Ausgaben zumindest begründen, für mehr Lehrer, mehr Polizeianwärter und mehr Investitionen.
Unabhängig davon aber ist es wichtig, dass es überhaupt einen Kompromiss gibt. Man kann gar nicht hoch genug bewerten, was hier passiert ist: Eine von der Linke geführte Koalition hat trotz aller Differenzen, Befindlichkeiten und Abgrenzungsbeschlüsse einen gemeinsamen Landesetat mit der CDU aufgestellt. Das ist 30 Jahre nach der Wiedervereinigung ein historisches Ereignis.
Viele Entscheidungen dürften zu Kritik führen, und die Kritik wird in Teilen berechtigt sein. Dennoch ist der Umstand, dass nun alle Beteiligten in Land, Kommunen, Wirtschaft, Verbänden und Vereinen sicher für das nächste Jahr planen können, ein Wert an sich.
Das nächste Jahr wird, leider, auch so schon schwer genug für Thüringen, mit Pandemie, Wirtschaftskrise und Wahlkämpfen. Da ist es beruhigend, dass es wenigstens einen gültigen Etat gibt.