„Komm, Jule, komm“
Julian Draxler soll sich im heutigen Länderspiel gegen die Türkei als Führungskraft beweisen
Köln. „Komm, Jule, komm!“, brüllt Joachim Löw. Julian Draxler zieht an, macht zwei, drei schnelle Schritte, schießt – und der Ball fliegt am Tor vorbei. „Gut, Jule“, schallt es über den Platz des Kölner Südstadions, während Draxler nur den Kopf schüttelt. Der 27-Jährige ist unzufrieden, er weiß ja, dass er es besser kann, als er es eben im Training der deutschen Nationalmannschaft gezeigt hat. Aber das ist nun einmal die Situation des Julian Draxler: Er ist ein fantastischer Fußballer, daran zweifelt niemand, erst recht nicht Bundestrainer Löw. Deswegen hat er Draxler ja erneut eingeladen für die Länderspiele heute gegen die Türkei (20.45 Uhr/RTL), am Sonnabend in der Ukraine und am Dienstag gegen die Schweiz (beide 20.45 Uhr/ARD). Aber dieser Draxler kann seine Qualitäten zu selten zeigen und sieht sich deswegen mal wieder an einem Scheidepunkt seiner Karriere.
Die Rahmendaten sind nicht die schlechtesten: Draxler, Ex-Schalker und Ex-Wolfsburger, steht beim Weltclub Paris St. Germain unter Vertrag. Gerade erst hat er im Champions-League-Finale gegen den FC Bayern gespielt – wobei das mit dem Spielen so eine Sache ist: 18 Minuten kam er gegen die Bayern zum Einsatz, überhaupt reichte es in der Königsklasse nur für Kurzeinsätze. Und auch sonst war Draxler meist zweite Wahl in Paris. Zunächst fehlte er verletzt, dann kam er auch im vierten Jahr dort nicht über eine Nebenrolle hinaus im Starensemble um Neymar, Mbappé und Di Maria. „Das letzte Jahr ist sportlich nicht so gelaufen ist, wie ich es wollte“, gibt der 27-Jährige unumwunden zu.
Und das schlägt auch auf die Nationalelf durch. 2017 noch war er Kapitän und Leistungsträger der jungen Mannschaft, die mit erfrischendem Fußball den Confed-Cup gewann. Seine 53 Länderspiele werden im aktuellen Kader nur von Toni
Kroos (98) und Manuel Neuer (92) übertroffen. Und doch muss Draxler um seinen Platz kämpfen. Im Angriff sind Serge Gnabry, Leroy Sané und Timo Werner vorbeigezogen, im Mittelfeld Leon Goretzka und Joshua Kimmich. Allesamt Leistungsträger in ihren Clubs, alle vollgepumpt mit Selbstvertrauen.
Schon im September hatte Bundestrainer Löw zum Clubwechsel geraten: „Für Julian wäre es wichtig, auch in dem Alter, vielleicht einen Schritt zu machen, wo er regelmäßig spielt. Das würde ihm wahrscheinlich schon entscheidend helfen.“Es gab zwar einige Interessenten, wirklich konkret aber wurde nichts. Überraschend? „Für mich nicht, ich habe es ja so entschieden“, sagt Draxler und lacht.
Ja, er habe wirklich konkret über einen Wechsel nachgedacht. Aber dann kam Corona. Die einen Clubs konnten nicht die nötige Ablösesumme aufbringen, die anderen reizten Draxler nicht. Und es gab da noch ein Gespräch mit Trainer Thomas Tuchel. „Er ist nach wie vor davon überzeugt, dass ich ein guter Spieler bin und meine Chancen bekommen werde“, erzählt er. Und so blieb Draxler – auch in dem Wissen, dass sein Vertrag im kommenden Jahr ausläuft und die Optionen dann interessanter sein dürften.
Neues Glück in Paris und neues Glück auch bei der Nationalmannschaft, das ist jetzt der Plan. Gegen die Türkei wird Draxler als Kapitän auflaufen, das hat Löw gestern verkündet. Aber Draxler weiß auch: Wer im Freundschaftsspiel gegen die Türkei spielt ist zwar irgendwie dabei – mittendrin aber sind nur jene, die in den Nations-League-Spielen zum Einsatz kommen.
Und dass muss sich einer wie Draxler neu erarbeiten. „Auch dafür ist so ein Spiel gut, dass ein Spieler wie Julian zeigen kann, dass er eben nicht nur Mitläufer ist, sondern mit seinen Qualitäten auch ein ganz großer Faktor für die Nationalmannschaft sein kann“, sagte Sportdirektor Oliver Bierhoff.