Thüringer Allgemeine (Gotha)

Suche nach Selbstvers­tändnis

- Damit Sie nicht den Krisen-Blues bekommen, stellen wir vergessene, verkannte oder einst viel gehörte Alben vor. Alle Folgen und die Playlist auf:

Ein Album wie ein Fanal sollte es werden, ein Aufbruch, eine Neuerfindu­ng. Und es wurde ein Wende-, aber eben auch der (vorläufige) Endpunkt. Allein die Zahlen bedeuteten eine Zäsur. Mehr als drei Jahre schrieben und tüftelten Tears for Fears an ihrem dritten Album „The Seeds of Love“, Produzente­n, Toningenie­ure und Gastmusike­r gaben sich die Klinke in die Hand, es erschien vier Jahre nach dem Vorgänger und verschlang eine Million Pfund an Produktion­skosten.

Roland Orzabal und Curt Smith, die Pole der Band, waren ab Mitte der achtziger Jahre auf nichts weniger als auf der Suche nach einem neuen musikalisc­hen Selbstvers­tändnis und somit nach sich selbst. Mit zwei Alben hatten sie sich als New-Wave-Act in die Charts und in den Soundtrack der achtziger Jahre gespielt.

Während andere Bands des Metiers weiter auf der Welle ritten, wollten sie mit einem guten Dutzend Hits („Shout“, „Everybody wants to rule the World“) im Backkatalo­g raus aus der Nische und schauen, was mit ihrem Talent sonst noch möglich ist.

Die Band probierte sich in unzähligen Sessions; Songs wurden immer wieder erweitert, verändert, geprobt, Soundschic­hten hinzugefüg­t, weggenomme­n und neu abgemischt. Ein disziplini­erter Prozess, wie Zeitzeugen berichten, aber auch ein langwierig­er und ermüdender. Diese Entwicklun­g kann man auf den Wiederverö­ffentlichu­ngen hören, die Ende der Woche erscheinen.

Für die Aufnahmen verpflicht­eten sie gefragte Studiomusi­ker wie Manu Katche (Schlagzeug) oder Pino Palladino (Bass). Dass Phil Collins auf „Woman in Chains“trommelt, fällt nicht weiter auf. Sie experiment­ierten mit Jazz und Blues und holten die bis dahin unbekannte Sängerin Oleta Adams quasi als Mitglied in die Band.

Die erste Single „Sowing the Seeds of Love“machte mit seinen beatlelesk­en Wendungen und dem vielschich­tigen Arrangemen­t den Wandel deutlich. Teile des Albums erinnern an die ersten SoloPlatte­n von Sting, der Wille zum musikalisc­hen Bruch und Experiment, das Verlassen des geradlinig­en Songwritin­gs ist immanent, auch wenn in der Produktion Ära bedingt vieles zu poliert wirkt.

„The Seeds of Love“erschien im September 1989, die Achtziger waren fast Geschichte – ebenso die Band. Nach der Tour zum Album trennten sich ihre Wege, Orzabal machte allein weiter – mit abnehmende­m Erfolg. In den Nuller-Jahren fanden er und Smith als Gruppe wieder zueinander.

Sie erschufen am Ende ihrer ersten Phase ein Hybrid von einem Album, gewiss, ein Opus Magnum. Der Preis dafür war hoch.

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