Funktionale Typographie im Dienste der NS-Diktatur
Künstler Herbert Bayer setzt mit Drucksachen internationale Maßstäbe
Gotha. Das Jahr 1928 markierte eine Zäsur für das Bauhaus: Mit Direktor Walter Gropius, Meister László Moholy-Nagy, Jungmeister Marcel Breuer und dem Leiter der Reklamewerkstatt Herbert Bayer schieden quasi zeitgleich vier dominante Persönlichkeiten aus dem Lehrkörper aus. Zufällig waren darunter auch jene beiden Personen, die den Bauhausdrucksachen ihren unverwechselbaren Look gegeben hatten.
Sowohl Moholy-Nagy als auch Bayer betrieben aber das lukrative Grafik-Design auch nach ihrem Ausscheiden aus dem Bauhaus weiter, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten – und zwar als Selbstständige in eigenen Ateliers in Berlin. Kooperationen waren unter den Bauhaus-Veteranen, die ein reges Freundesnetzwerk unterhielten, aber weiterhin an der Tagesordnung.
So entschloss sich auch der Deutsche Werkbund, mit der Gestaltung des Deutschen Pavillons auf der Pariser „Société des Artistes Décorateurs“-Ausstellung 1930 ein Team um Walter Gropius zu beauftragen. Gemeinsam mit Moholy, Bayer und Breuer entstand ein viel beachtetes, von der Bauhauslehre geprägtes Ausstellungserlebnis, das die Besucher mit all den Insignien der modern-neusachlichen Innenarchitektur und Einrichtung konfrontierte. In fünf Sälen zeigte Deutschland seine Version eines modernen Lebens im Hochhaus, von der chromglänzenden Bar im Gemeinschaftsraum bis zu den eleganten Gläsern für das Tischgedeck. Für die Drucksachenentwürfe war Herbert Bayer zuständig. Sein berühmtes Plakat zeigte winzigeMenschenineinemabstrakten, von einer Kugel beherrschten Raum. Sein hier reproduziertes Begleitheft diente dazu, dem Publikum eine Orientierung innerhalb der „Section Allemande“zu geben; mit seinem durchsichtigen Kunststoffumschlag, einem seitlichen Griffregister und der Aufklapptafel setzte es gestalterisch auch im internationalen Vergleich Maßstäbe. Sein Informationsdesign beeindruckt bis heute und ließ die querformatige Broschüre zum Vorbild für andere Drucksachen werden, in denen komplexe Sachverhalte auf kleinstem Raum übersichtlich präsentiert werden mussten.
Diese Arbeit sollte freilich nur der Auftakt zu einer ganzen Reihe von Publikationen sein, die Herbert Bayer begleitend zu Großausstellung realisieren würde und die in der Ausstellung in Gotha zu sehen sind. Er produzierte einen Prospekt zum Deutschen Pavillon auf der Weltausstellung 1933 in Chicago und den Katalog zur Propagandaschau „Die Kamera“im selben Jahr; aber dies war nur der Auftakt zu einem weitaus prominenteren und lukrativeren Auftrag, für den er später als Mitläufer der NS-Diktatur gescholten werden sollte: Für die Ausstellungstrilogie „Deutsches Volk-Deutsche Arbeit“(1934), „Das Wunder des Lebens“(1935) und „Deutschland“(1936) schuf er Plakate und Broschüren, die in ihrer Modernität an die Prinzipien des Bauhauses anschlossen – aber gleichzeitig verdeutlichten, dass die Funktionale Typographie auch einem totalitären Staat gute Dienste leisten konnte.
Lange nach seiner Auswanderung 1938 in die USA kam Bayer zu der Einsicht, dass seine gelungenen Designs, auch wenn sie für das Berliner Messeamt entstanden und er offiziell niemals direkt für Partei oder das Regime gearbeitet hat, zur ideologischen Massenbeeinflussung des Volkes beigetragen hatten.
Plakate und Broschüren für Berliner Messeamt
Die Schau „Das Bauhaus wirbt“ist im Kunstforum Gotha bis . Mai, Dienstag bis Sonntag, jeweils bis Uhr zu sehen.