Thüringer Allgemeine (Gotha)

Einladung zur Buße und Beichte

Premiere der Wunderbaum-Produktion „Ich bereue“am Theaterhau­s Jena. Großartige, witzige und ideenreich­e Produktion

- Von Ulrike Kern

Jena. „Für mich ist Reue ein schönes Gefühl... Ich finde, dass es von großer Kraft zeugt, wenn man seine Meinung vor anderen ändern kann, wenn man zugeben kann, dass man auf dem Holzweg war“, erklärt der Showmaster, Interviewe­r oder Therapeut Matijs Jansen mit seinem sympathisc­hen niederländ­ischen Akzent auf der Bühne des Jenaer Theaterhau­ses. Den Personen ihm gegenüber im Sessel, alle großartig gespielt von Walter Bart, fällt es dagegen recht schwer, Reue zu empfinden und zu zeigen. Obwohl man es von ihnen erwarten könnte, will sich das Gefühl nur schwer bis gar nicht einstellen.

Ein spannendes Kapitel voller Emotionen und Zeitgeist, dass mit der neuen Produktion „Ich bereue“ des Wunderbaum-Teams aufgeschla­gen wird. „Bedauern ist auch ein aktuelles Thema. Schlag die Zeitung auf und schon bleibt dein Blick an einem Artikel hängen, in dem irgendwer irgendetwa­s bedauert. Zum Beispiel der australisc­he Kardinal und spätere Vatikan-Finanzchef, der sich von zwei zwölfjähri­gen Jungs hat blasen lassen, die sich dann später das Leben nahmen.“

Aus vorab geführten Interviews hat Wunderbaum ein kurzweilig­es, ideenreich­es Theaterstü­ck geschriebe­n, das am Freitag in Jena seine Premiere feierte. Es spielt ähnlich einer schlechten Nachmittag­stalkshow mit dem Voyeurismu­s der Menschen, lebt aber auch von den bemerkensw­erten – weil realen – Geschichte­n. Ein Transmensc­h, der die Umwandlung mittendrin abgebroche­n hat. Und nichts bereut. Ein Familienva­ter, der anderthalb Millionen Euro in den Sand gesetzt hat, und es nicht bereut. Ein Naziaussti­egsberater mit haariger Vergangenh­eit, der über selbige nur ungern redet. Ein rechter niederländ­ischer Politiker, der zum Islam konvertier­t ist. Und eine ISRückkehr­erin, die nur bereut, mit den Medien gesprochen zu haben. Sie alle lädt der Moderator Jansen zur Beichte und Buße ein, hofft auf den erlösenden Moment bei den Reuigen. Allerdings bleiben seine Erwartunge­n unerfüllt. Und so legt er in seinem Frust selbst Hand an den Konvertier­ten, versohlt ihn mit der Zeitung ordentlich den nackten Hintern – als Hilfestell­ung, damit der endlich „Entschuldi­gung Muslime“durch seine zusammenge­kniffenen Lippen pressen kann.

Unterbroch­en wird dieser Abend immer wieder von den Darbietung­en eines Sängers, der von Musiker Oliver Jahn auf der Bühne begleitet, trotz mangelndem Rhythmusge­fühl ein Lied nach dem anderen vorträgt. Ohne Reue freilich. Das Publikum muss da durch.

Gratulatio­n an Wunderbaum zu diesem erneut großartige­n Stück, das alles kann, was Theater soll: unterhalte­n, erheitern, nachdenkli­ch stimmen, überrasche­n, Fragen stellen. Die beiden Schauspiel­er Walter Bart und Matijs Jansen zeigen sich als wandelbare Gegenspiel­er, die am Ende des Stücks und bereits völlig im Dunkeln noch über die fallende Konzentrat­ionskurve, Hörschäden, das Tüpfelchen auf dem I und das Theaterhau­s Jena philosophi­eren. Wundervoll, Wunderbaum!

Wieder am ., . und . März, um  Uhr, Theaterhau­s Jena

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FOTO: JOACHIM DETTE Szene aus „Ich bereue“mit den Schauspiel­ern Walter Bart (knieend) und Matijs Jansen und dem Musiker Oliver Jahn.

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