Thüringer Allgemeine (Gotha)

Eine Antihelden­oper

Händels „Julius Cäsar in Ägypten“wird in Nordhausen zu „Der Westen im Nahen Osten“– als Leipziger Hochschulp­roduktion

- Von Michael Helbing

Nordhausen. Die Herrschaft­spraxis des Alten Rom mit der des Westen heute, namentlich der Vereinigte­n Staaten, zu vergleiche­n, lohnt ja immer. Ralph Bollmann etwa machte das vor dreizehn Jahren im Buch „Lob des Imperiums“glänzend vor. „Indirekte Einflussna­hme mit einheimisc­her Kooperatio­n“beschrieb er eine Strategie der Weltenlenk­er.

Dass „Julius Cäsar in Ägypten“, so heißt ja Georg Friedrich Händels Oper, vor dem „Mission Accomplish­ed“-Banner eintrifft und auftritt wie weiland George W. Bush auf dem Flugzeugtr­äger nach direkter Einflussna­hme in Irak, wird keiner Geschichte gerecht: weder jener der Chroniken noch der des verdichtet­en Werkes. „Wir hatten während der Proben“, erzählt im Programmhe­ft Regisseur Matthias Oldag, der mal glückloser Intendant in Gera und Altenburg war, „immer das Gefühl, genau das habe ich gestern in der Tagesschau gesehen.“Sie hätten diesem Gefühl misstrauen sollen.

Oldag inszeniert­e aber die Oper namens „Der Westen im Nahen Osten“, wozu einem nur einmal mehr Goethes Tasso einfällt: „So fühlt man Absicht und man ist verstimmt.“

Das hatte, als Studenteno­per, im Mai vergangene­n Jahres Premiere an Leipzigs Musikhochs­chule, an der Professor Oldag das Fach „Dramatisch­er Unterricht“lehrt, war dann am Theater Dessau zu sehen und reiste nun für insgesamt vier Aufführung­en ans Theater Nordhausen. Hier ist der Opernchor des Hauses mit von der Partie, und ebenso das Loh-Orchester Sondershau­sen, das unter Kapellmeis­ter Henning Ehlert der barocken Partitur sehr gerecht wird. Und den jungen Sängern nicht minder. Derart souverän getragen, tragen auch sie alles in allem zu keinerlei weiterer Verstimmun­g bei. Im Gegenteil liefert die Besetzung der, im übrigen einigermaß­en mäßig besuchten, Nordhäuser Premiere binnen drei Stunden ein so rundes wie auch differenzi­ertes Klangbild ab. Und sie gelangen alle, durch die Musik, zur empathisch­en, so gut wie nie aufgesetzt­en Figurenges­taltung.

Das ist einer der Pluspunkte auch für Oldag, derweil seine Personenfü­hrung auf der und über die Szene insgesamt arg einfallslo­s wirkt. Das rutscht dann, zum Beispiel, in nicht eben seltenen Momenten größter Verzweiflu­ng, immer hübsch an den zwei bewegliche­n Wänden entlang.

Mit ihnen schafft Ausstatter­in Barbara Blasche schnell unterschie­dlichste Außen- und Innenräume, derweil die Inszenieru­ng Assoziatio­nsräume der Oper eng werden lässt.

Matthias Oldag verfolgt allerdings auch einen bestechend klugen Ansatz, der die Oper eher weitet als verengt: Er macht aus der barocken Heldenoper mit glückliche­m Ende, in der Cäsar gleichsam als weiser Friedensfü­rst triumphier­en wird, eine zeitgenöss­ische Antihelden­oper voller Zweifel. Dazu nur hätte es dieses modernisti­schen, arg schief hängenden und im Jahre 2019 fast schon wieder vertaubt wirkenden Rahmens durchaus nicht bedurft.

Cäsar, so die Handlung, folgt dem einstigen Partner und jetzigen Erzfeind Pompeius nach Alexandria, wo der, vernichten­d geschlagen, bei König Ptolemäus Zuflucht sucht. Der aber reicht dessen Kopf dem Cäsar dar, auf eine Allianz hoffend, auch gegen die verhasste Schwester Kleopatra. Cäsar ist entsetzt, nicht erfreut. Für Ptolemäus wird er gefährlich . . .

Verführung­en von Macht und Liebe, die wechselnde Allianzen hinter den Kulissen des diplomatis­chen Parketts zeitigen und Rache als Gerechtigk­eit verstehen, bestimmen das Geschehen. Die Protagonis­ten machen zwar noch fleißig mit, sind aber längst erschöpft von dem, was sie als Schicksale­rgebenheit begreifen. Cäsar zum Beispiel (Bariton Lars Conrad, der alterniere­nd zu Mezzosopra­nistin Lena Spohn besetzt ist), greift zum Scotch und sinkt matt in den Schoß der süßen Lydia, als die ihm Kleopatra zunächst begegnet.

Das Sehnsuchts­motiv der Aufführung, die in jenem zähneknirs­chenden Burgfriede­n endet, mit dem sie begann, liefert gleichsam Hamlet: „Sterben – schlafen – Nichts weiter!“Im musikalisc­hen Kontrast dazu steht das eine oder andere gesanglich­e Erweckungs­erlebnis. Insbesonde­re Sopranisti­n Yeeun Lee sorgt mit Kleopatras Arien im zweiten Akt hingebungs­voll dafür. Zuvor lässt im ersten Akt das Trauerduet­t von Cornelia und Sextus, Gattin und Sohn des Pompeius, aufhorchen: Susana Boccatos Mezzo und Eva Zalengas Sopran harmoniere­n darin kraftvoll. Viktorija Narvidaité­s lyrischer Sopran gestaltet die Ptolemäus-Partie angemessen rabiat und prahlerisc­h; alterniere­nd tritt hier der Thüringer Counterten­or Etienne Walch auf.

Verschiede­ne Bühnenräum­e und enge Assoziatio­nsräume

Noch einmal am . und . März.

 ?? FOTO: SIEGFRIED DURYN/THEATER NORDHAUSEN ?? Bariton Lars Conrad steht in der Titelparti­e als Julius Cäsar wie weiland George W. Bush am Rednerpult.
FOTO: SIEGFRIED DURYN/THEATER NORDHAUSEN Bariton Lars Conrad steht in der Titelparti­e als Julius Cäsar wie weiland George W. Bush am Rednerpult.

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