Eine Antiheldenoper
Händels „Julius Cäsar in Ägypten“wird in Nordhausen zu „Der Westen im Nahen Osten“– als Leipziger Hochschulproduktion
Nordhausen. Die Herrschaftspraxis des Alten Rom mit der des Westen heute, namentlich der Vereinigten Staaten, zu vergleichen, lohnt ja immer. Ralph Bollmann etwa machte das vor dreizehn Jahren im Buch „Lob des Imperiums“glänzend vor. „Indirekte Einflussnahme mit einheimischer Kooperation“beschrieb er eine Strategie der Weltenlenker.
Dass „Julius Cäsar in Ägypten“, so heißt ja Georg Friedrich Händels Oper, vor dem „Mission Accomplished“-Banner eintrifft und auftritt wie weiland George W. Bush auf dem Flugzeugträger nach direkter Einflussnahme in Irak, wird keiner Geschichte gerecht: weder jener der Chroniken noch der des verdichteten Werkes. „Wir hatten während der Proben“, erzählt im Programmheft Regisseur Matthias Oldag, der mal glückloser Intendant in Gera und Altenburg war, „immer das Gefühl, genau das habe ich gestern in der Tagesschau gesehen.“Sie hätten diesem Gefühl misstrauen sollen.
Oldag inszenierte aber die Oper namens „Der Westen im Nahen Osten“, wozu einem nur einmal mehr Goethes Tasso einfällt: „So fühlt man Absicht und man ist verstimmt.“
Das hatte, als Studentenoper, im Mai vergangenen Jahres Premiere an Leipzigs Musikhochschule, an der Professor Oldag das Fach „Dramatischer Unterricht“lehrt, war dann am Theater Dessau zu sehen und reiste nun für insgesamt vier Aufführungen ans Theater Nordhausen. Hier ist der Opernchor des Hauses mit von der Partie, und ebenso das Loh-Orchester Sondershausen, das unter Kapellmeister Henning Ehlert der barocken Partitur sehr gerecht wird. Und den jungen Sängern nicht minder. Derart souverän getragen, tragen auch sie alles in allem zu keinerlei weiterer Verstimmung bei. Im Gegenteil liefert die Besetzung der, im übrigen einigermaßen mäßig besuchten, Nordhäuser Premiere binnen drei Stunden ein so rundes wie auch differenziertes Klangbild ab. Und sie gelangen alle, durch die Musik, zur empathischen, so gut wie nie aufgesetzten Figurengestaltung.
Das ist einer der Pluspunkte auch für Oldag, derweil seine Personenführung auf der und über die Szene insgesamt arg einfallslos wirkt. Das rutscht dann, zum Beispiel, in nicht eben seltenen Momenten größter Verzweiflung, immer hübsch an den zwei beweglichen Wänden entlang.
Mit ihnen schafft Ausstatterin Barbara Blasche schnell unterschiedlichste Außen- und Innenräume, derweil die Inszenierung Assoziationsräume der Oper eng werden lässt.
Matthias Oldag verfolgt allerdings auch einen bestechend klugen Ansatz, der die Oper eher weitet als verengt: Er macht aus der barocken Heldenoper mit glücklichem Ende, in der Cäsar gleichsam als weiser Friedensfürst triumphieren wird, eine zeitgenössische Antiheldenoper voller Zweifel. Dazu nur hätte es dieses modernistischen, arg schief hängenden und im Jahre 2019 fast schon wieder vertaubt wirkenden Rahmens durchaus nicht bedurft.
Cäsar, so die Handlung, folgt dem einstigen Partner und jetzigen Erzfeind Pompeius nach Alexandria, wo der, vernichtend geschlagen, bei König Ptolemäus Zuflucht sucht. Der aber reicht dessen Kopf dem Cäsar dar, auf eine Allianz hoffend, auch gegen die verhasste Schwester Kleopatra. Cäsar ist entsetzt, nicht erfreut. Für Ptolemäus wird er gefährlich . . .
Verführungen von Macht und Liebe, die wechselnde Allianzen hinter den Kulissen des diplomatischen Parketts zeitigen und Rache als Gerechtigkeit verstehen, bestimmen das Geschehen. Die Protagonisten machen zwar noch fleißig mit, sind aber längst erschöpft von dem, was sie als Schicksalergebenheit begreifen. Cäsar zum Beispiel (Bariton Lars Conrad, der alternierend zu Mezzosopranistin Lena Spohn besetzt ist), greift zum Scotch und sinkt matt in den Schoß der süßen Lydia, als die ihm Kleopatra zunächst begegnet.
Das Sehnsuchtsmotiv der Aufführung, die in jenem zähneknirschenden Burgfrieden endet, mit dem sie begann, liefert gleichsam Hamlet: „Sterben – schlafen – Nichts weiter!“Im musikalischen Kontrast dazu steht das eine oder andere gesangliche Erweckungserlebnis. Insbesondere Sopranistin Yeeun Lee sorgt mit Kleopatras Arien im zweiten Akt hingebungsvoll dafür. Zuvor lässt im ersten Akt das Trauerduett von Cornelia und Sextus, Gattin und Sohn des Pompeius, aufhorchen: Susana Boccatos Mezzo und Eva Zalengas Sopran harmonieren darin kraftvoll. Viktorija Narvidaités lyrischer Sopran gestaltet die Ptolemäus-Partie angemessen rabiat und prahlerisch; alternierend tritt hier der Thüringer Countertenor Etienne Walch auf.
Verschiedene Bühnenräume und enge Assoziationsräume
Noch einmal am . und . März.