Verzögerung bei Ausbau von Frontex
Eu-mitgliedsstaaten verschieben Pläne
Brüssel. Alarm bei Datenschützern, Aufregung in der Bundesregierung: Polizei und Staatsanwälte aus anderen Eu-staaten könnten bald auch dann problemlos in Deutschland ermitteln, wenn die vermuteten Taten hierzulande gar nicht strafbar sind. Internetprovider oder Diensteanbieter müssten auf deutschen Servern gespeicherte E-mails zum Beispiel der polnischen Justiz aushändigen, damit die das strenge Abtreibungsverbot in Polen durchsetzen und Ärzte ins Gefängnis bringen kann. Selbst für politisch motivierte Verfolgung, so warnen Rechtsexperten, könnte es schnellen und unkomplizierten Zugang zu Internetdaten in Deutschland geben. Es bestehe „Anlass zur großen Sorge“, erklärt deshalb Bundesjustizministerin Katarina Barley (SPD).
Grund der Aufregung: Ein Eu-plan, grenzüberschreitende Ermittlungen im Internet zu erleichtern. An diesem Freitag werden die Justizminister der 28 Mitgliedstaaten in Brüssel die Vorschriften wahrscheinlich trotz Protest aus Deutschland und anderen Ländern mit Mehrheit durchwinken. Denn das eigentliche Ziel ist vielen Regierungen wichtiger als die Bedenken: Die Strafverfolgung innerhalb Europas soll erleichtert werden, wo es um Beweissicherung im Internet geht. Das Problem: Bei mehr als der Hälfte aller strafrechtlichen Ermittlungen in der EU wird zwar irgendwann ein grenzüberschreitender Antrag auf Übermittlung von elektronischen Beweismitteln gestellt. Doch in der Mehrzahl dieser Fälle geht etwas schief.
Die Verfahren, bei denen Justizbehörden anderer Länder um Rechtshilfe gebeten werden müssen, dauern meist zu lange, oft ist die Datenübermittlung auch nicht erlaubt. Frans Timmermans, Vizepräsident der Eu-kommission, sagt: „Wir dürfen nicht zulassen, dass Straftäter und Terroristen die heutigen elektronischen Kommunikationstechnologien einsetzen, um Straftaten zu vertuschen und sich der Justiz zu entziehen.“Die Eu-kommission hat darum im April einen Vorschlag vorgelegt, wie die Justiz schneller an die Daten kommt: Bei Straftaten, bei denen eine Haftstrafe von drei Jahren oder mehr möglich ist, sollen sich die Strafverfolger direkt an die Service-provider und Diensteanbieter anderer Länder wenden können.
Die müssten binnen zehn Tagen, in Notfällen innerhalb von sechs Stunden, E-mails, Textnachrichten, Kommunikation über Whatsapp, Ip-adressen oder Verbindungsdaten etwa in Deutschland herausgeben, ohne dass dafür die Anordnung eines deutschen Gerichts notwendig wäre. Wenn sich die Anbieter – Unternehmen wie Google oder Facebook – weigern, drohen hohe Geldstrafen. Der ursprüngliche Entwurf sah vor, dass die betroffenen Staaten nicht mal über den Zugriff informiert werden müssten. Als Kompromiss ist jetzt vorgesehen, dass die Staaten über Anfragen zumindest informiert werden müssten.
„Das reicht aber nicht aus“, meint Justizministerin Barley und fordert mindestens ein Einspruchsrecht des jeweiligen Staates. Die Bundesdatenschutzbeauftragte Andrea Voßhoff sagt, die fehlende Beteiligung der Justizbehörden sei ein wesentlicher Kritikpunkt. Ob die Rechtmäßigkeit eines Ersuchens überprüft werde, hänge laut Entwurf ausschließlich vom Verhalten des Providers ab, moniert sie. Voßhoff fordert: „Der Vorschlag muss in dieser Form gestoppt werden.“Auch die Bundesrechtsanwaltskammer mahnt, der Plan schieße „weit über das Ziel hinaus“. Die Kritiker alarmiert vor allem, dass das Prinzip der doppelten Strafbarkeit ausgehebelt würde: In Deutschland würde elektronisch wegen Taten ermittelt, die hierzulande nicht strafbar sind.
Die Bundesrechtsanwaltskammer warnt indes auch, einige Eu-länder könnten Daten wegen Delikten verlangen, „die nur zum Zweck politisch motivierter Verfolgung“geschaffen wurden. Ministerin Barley verweist bei ihrer Kritik auf die Entwicklung Polens und Ungarns, die aus Eu-sicht gegen Rechtsstaatsprinzipien verstoßen. Einige der dort geltenden Straftatbestände sind mit deutschem Recht kaum vereinbar – daher wird bezweifelt, dass die Justizbehörden Polens und Ungarns ungehindert Zugriff auf Daten aus Deutschland bekommen sollten.
Das Eu-parlament müsste dem Kommissionsvorschlag Anfang nächsten Jahres ebenfalls zustimmen. Im Parlament haben Abgeordnete fraktionsübergreifend signalisiert, dass sie die Bedenken mangelnder Überprüfung teilen. Brüssel. Der geplante schnelle Ausbau der Eu-grenzschutztruppe Frontex ist geplatzt. Frühestens Mitte des nächsten Jahrzehnts dürfte die Truppe von heute 1500 auf 10.000 Beamte aufgestockt sein, um in Krisenfällen die Kontrollen an den Außengrenzen zu gewährleisten. Das zeichnete sich am Freitag bei Beratungen der Eu-innenminister in Brüssel ab.
Die Verzögerung ist ein Rückschlag für die europäische Flüchtlingspolitik. Der Ausbau von Frontex auf 10.000 Beamte schon bis 2020 war erst vor einem halben Jahr bei einem Gipfeltreffen verkündet worden. Doch jetzt treten die Mitgliedstaaten auf die Bremse: Denn sie sollten nach den Plänen der Eu-kommission den Großteil des zusätzlichen Personals stellen – anfangs 8500, später 7000 Beamte. So schnell können die Länder aber nicht so viele Polizeibeamten entbehren. Allein Deutschland hätte zum Start 1277 Polizisten entsenden müssen.
Der österreichische Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) schlug als amtierender Vorsitzender des Ministerrats vor, den vollständigen Ausbau der Grenzschutztruppe erst für 2027 anzupeilen. Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) zeigte sich etwas ehrgeiziger und erklärte, „2025 wäre mich ein machbarer Zeitplan“. (ck)