Ausflugslokal mit drei Ebenen Der Ingerslebener „Felsenkeller“war eines der beliebtesten Ausflusziele im Gothaer und Erfurter Umland
Ingersleben. Im Sommer, wenn es grünt, ist das Gebäude am Rand des Holzberges hinter dem Ingerslebener Sportplatz kaum zu sehen. Nur wer sich über den einst von Pappeln begrenzten Weg (eine steht noch) zum Wald bewegt, wird plötzlich vor einer einladenden Einfahrt stehen, hinter der ein großes Fachwerkgebäude den Wald von der Aue trennt. Und mit etwas Fantasie könnte der Wanderer noch erahnen, welches Leben hier eins pulsierte. Wenn er wüsste, dass er vor einem einstmals sehr beliebten Ausflugslokal steht, vor dem „Felsenkeller“.
Dieter Manns, der Chef des Ingerslebener Heimatmuseum, hat alles gesammelt und archiviert, was ihm über das Lokal in die Hände kam. Er weiß, dass es bereits 1954 geschlossen wurde, dass es 1871 erbaut wurde und dass bis heute nur wenig an der ursprünglichen Bauform veränder wurde.
Bauherr des „Felsenkellers“war der Landwirt Louis Burkhardt – den Grundstock dafür legte er mit einem Gewölbekellerkeller, den er um 1870 in den Holzberg treiben ließ, um darin Obst und Gemüse kühl lagern zu können. Der Keller wurde schnell zum Treffpunkt der Jugend, er erhielt einen Tanzboden, und nach weiterem Grundstückserwerb baute Burkhardt anstelle der Tanzdielen 1873 eine Gaststätte über den Keller. Bis 1876 wurde diese um weitere Anbauten ergänzt, mit Gasträumen, einem Biergarten und einer Kegelbahn.
Allein der Biergarten bot Platz für 500 durstige Gäste, darüber gab es im Wald eine zweite und darüber eine dritte, auf der sich die Kinder austoben konnten. Wer noch weiter den Wald hinaufsteigt wird dort sogar noch eine vierte Ebene feststellen können. Diese wurde in Eigenleistung der Arbeiterturnvereine errichtet. Es war der Turnplatz, auf dem sich einst für gemeinsame Übungen getroffen wurde – um im Anschluss im Biergarten die Gläser zu heben. Der „Felsenkeller“wurde sogar für Gottesdienste genutzt, zumindest im Jahr 1879, als in Ingersleben die Kirche renoviert wurde.
Bis zur Jahrhundertwende mauserte sich der „Felsenkeller“zu einem der beliebtesten Treffpunkte für Vereine und Gesellschaften weit und breit. Aus Erfurt, Arnstadt und Gotha kamen die Gäste, besonders zu Pfingsten war es voll, stauten sich die Kutschen, wenn zur beliebten Brautschau eingeladen wurde. Unter der Leitung des neuen Besitzers Hermann Günzler erlangte der „Felsenkeller“eine sagenhafte Beliebtheit. Alte Ingerslebener erinnern sich heute noch an den Kellner des „Felsenkellers“, an Karl Walter, der unter dem Spitznamen „Sehse“ bekannt war. Weil er nach angekündigten Gesellschaften Ausschau halten musste, um die Küche zu informieren. Wenn er rief „seh‘ se!“, wusste die Belegschaft der Küche Bescheid.
Für den guten Ruf des „Felsenkellers“wurde vom Wirt auch viel getan wurde. Die Kegelbahn wurde beheizt, es wurde für Belustigungen und für Musik gesorgt. Vereine, die über Neudietendorf mit der Bahn kamen, wurden dort mit Marschmusik abgeholt, der Weg zum Felsenkeller wurde mit Gaslicht ausgeleuchtet. Der Weg nach Neudietendorf führte entlang der Apfelstädt durch die Aue, der nach Ingersleben über eine Fußgängerbrücke über die Apfelstädt. Der damalige Bürgermeister Benno Steinke sorgte auch dafür, dass der „Felsenkeller“für die Ingerslebener immer erreichbar war: Er sorgte für die Instandsetzung der Brücke.
Als diese nach der Wende erneuert wurde, wurde sie nach Benno Steinke benannt. Nicht wegen seines Engagements für den Brückenbau, sondern wegen seines Mutes, als Mitglied der NSDAP, jüdischen Verfolgten Unterschlupf zu gewähren. Ende 1944 meldete sich die Schwiegertochter der Günzlers beim Bürgermeister Steinke – in letzter Minute konnte sie mit ihren beiden Kindern aus Berlin fliehen, nachdem ihr gesteckt worden war, dass sie „auf der Liste“stand, auf der Liste für einen Osttransport in ein Vernichtungslager. „Sie haben es in der Hand uns leben oder sterben zu lassen“, erklärte sie ihm – und war überglücklich, dass er half, sie unerkannt bei ihren Schwiegereltern in einer kleinen Bodenkammer versteckte. Und er sorgte zusätzlich noch für Lebensmittelmarken... Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das Lokal für einige Zeit für die Unterbringung von Flüchtlingen genutzt, danach als Kinderkrippe, auch als Lager für Pharmazieerzeugnisse musste es herhalten. 1954 wurde der Betrieb der Gaststätte endgültig eingestellt. Heute wird das Haus von der Familie in vierter Generation nur noch als Wohnhaus und Lager genutzt.
Mit Marschmusik vom Bahnhof abgeholt