„Ich habe mit meiner Seele fotografiert“
Elena Kaufmann porträtiert Mitglieder der Jüdischen Landesgemeinde Thüringen – Ausstellung in der Kunsthalle Erfurt
Erfurt. Porträts entstehen nur im Miteinander mit den Porträtierten, sagt Elena Kaufmann. Sie interessieren vor allem Menschen und nicht ihre Herkunft – „Ein Jahr mit dem Stern“heißt die Ausstellung mit Arbeiten der Fotografin, die heute um 19 Uhr in der Erfurter Kunsthalle eröffnet wird. Für die 33-Jährige, die in Workuta (Russland) geboren wurde und seit 2012 in Erfurt lebt, ist dies die erste große Arbeit in Deutschland. Die Exposition zeigt Porträts von Mitgliedern der Jüdischen Gemeinde Thüringens. Unterstützt wird das Projekt von den Achavafestspielen.
Frau Kaufmann, sind Sie Jüdin? Nein, das bin ich nicht. Ich bin Christin, komme aus Russland und lebe heute mit meinem Mann und meinem Kind in Erfurt. Aber ist das nicht egal?
Ja, das kann man so sehen. Wie sind Sie aber auf die Idee gekommen, ausgerechnet Mitglieder der Jüdischen Landesgemeinde zu porträtieren?
Das hat mit meinem Leben in Sankt Petersburg zu tun. Zunächst habe ich Weltgeschichte und Weltkonflikte studiert. Ich erfuhr von Indien und Pakistan, von Tschetschenien und Israel. Meine Abschlussarbeit schrieb ich über den Genozid in Ruanda. Nebenher habe ich viel fotografiert – wie all die Jahre zuvor. Zwar sollte ich an der Universität bleiben, doch ich entdeckte ein Angebot der Fotofakultät für den Bereich Dokumentarfotografie. Das war ein Signal. Ich bewarb mich mit meinen Bildern und wurde tatsächlich genommen.
Das erklärt noch nicht zwingend, warum Sie Mitglieder einer jüdischen Gemeinde porträtierten. Nun, ich sah damals einen Mann mit Schläfenlocken, den Pejes. So etwas kannte ich nicht. Der hat mich fasziniert, und ich lief ihm nach. Bis dahin wusste ich nicht, dass es in Sankt Petersburg ein jüdisches Viertel gibt. Ich landete in einer Jungenschule und durfte dort sogar fotografieren. Ich habe einen jüdischen Jungen ein halbes Jahr mit dem Fotoapparat begleitet. Das war meine Diplomarbeit, die ich 2011 vorgelegt habe.
Ein Jahr später kamen Sie mit Ihrem Mann nach Erfurt. Mit welchen Plänen?
Ich wollte erst einmal ankommen. Aber ich kam überhaupt nicht zurecht. Wenn man in einem anderen Land Urlaub macht, ist alles sehr schön und von Romantik überzuckert. Aber dort plötzlich leben? Es ging nicht, ich fuhr zurück nach Sankt Petersburg. Mein Mann hat mich mit viel Geduld zurückgeholt. Und vor vier Jahren wurde unser Sohn Matvey geboren. Zwei Jahre lang war ich nur Mama. Und verschwand mit all dem, was ich sonst noch bin, hinter der Mama. Das war gut so, aber ich musste auch wieder heraus.
Wie gelang Ihnen der Weg in die Gemeinde? Zwei Menschen, Ivo Dierbach und Maria Stürzebecher, haben mich angesprochen, dass ich doch unbedingt einige Frauen und Männer aus der jüdischen Gemeinde kennenlernen solle. Die sprächen wie ich Russisch. Ich bin mitgegangen. Aber ich habe mich gefragt, wieso ich ausgerechnet dort meine Fremdheit ein wenig überwinden könnte.
Offensichtlich hat das funktioniert. Ja, plötzlich hieß es nicht mehr, die spricht Russisch. Und es gab auch kein Naserümpfen, wie ich das zuvor immer mal wieder erlebt hatte. Es folgte sogar der sicher lieb gemeinte Vorschlag, mich als Französin auszugeben. Mein Akzent hätte so einen Klang. Warum also sollte ich die Idee mit der Gemeinde nicht annehmen? Das war Glück. Es fühlte sich an, als würde mir jemand einen schützenden Mantel umlegen. Die Sprache, die vertraute, und die Menschen, die schnell Vertrauten, sie haben mich außerhalb meiner warmherzigen Familie gut aufgefangen. Ich hatte ihnen ein Bild von dem jüdischen Jungen aus Sankt Petersburg mitgebracht. Ich bin bis dahin auch Menschen außerhalb der jüdischen Gemeinde begegnet, die freundlich waren. Aber niemand hat gesagt, komm doch zu uns nach Hause. Das passierte in der Gemeinde. Sie ist ein Stück meine Familie geworden.
Wann hatten Sie die Idee für diese Ausstellung?
Die ersten Begegnungen gab es ja schon vor drei Jahren. Wir haben Tee getrunken, und plötzlich waren über die Gespräche drei Stunden vergangen. Ich bekam eine Einladung zu Chanukka. Dort lernte ich viele Mitglieder der jüdischen Gemeinde kennen. Sie sagten, es mache nichts, dass ich keine Jüdin sei. Wir haben dieselbe Sprache. Und sind fremd wie du. Das hat mich gewärmt. Gute Taten von Menschen haben mir schon immer Energie gegeben. Zu fühlen, dass man auch in der Fremde einzigartig ist, hat mich aufgefangen und inspiriert. Ich habe schließlich ab und an fotografiert. Weil die Kamera einfach zu mir gehört. Aber ich kam auch mal ohne Kamera. Weil ich zeigen wollte, dass ich der Menschen wegen da bin und nicht um der Fotos willen. Ich schätze schließlich sehr, dass ich dabei sein darf. Bis heute. Die Idee zur Fotoausstellung kam von Martin Kranz, dem Intendanten der Achavaspiele. Das ist jetzt gut ein Jahr her.
Wie sind die Fotos entstanden? Wir haben Stunden und Tage einfach miteinander gesprochen. Über die Lebensgeschichte. Über Träume und Wünsche. Und irgendwann habe ich vorgeschlagen, sie sollen sich doch vor die Leinwand setzen. Ich muss die Menschen kennen, bevor ich sie fotografiere. Der Mensch ist doch viel mehr als ein Deutscher oder ein Russe oder ein Jude. Er ist das, was seine Geschichte aus ihm gemacht hat. Ich denke, sie haben Vertrauen zu mir entwickelt. Ich habe mit meiner Seele fotografiert.
Ihre Ausstellung heißt „Ein Jahr mit dem Stern“. Da kommt sofort die Assoziation des Davidsterns.
Ja, das ist natürlich auch so gemeint. Er ist das Symbol. Aber es ist noch mehr. Da steckt auch das Warten auf den dritten Stern am Himmel mit drin, der das Ende des Sabbats Samstagabend signalisiert. Ich war bei Rabbiner Benjamin Kochan zu Hause, der Thüringen ja jetzt verlässt. So habe ich mehr und mehr erfahren über das Judentum und die Symbolik der ganz besonderen Sterne. Die Sterne sind eine wunderbare Metapher, und ich durfte ein Jahr unter einem wirklich guten Stern mit der Landesgemeinde arbeiten.
Hält der Kontakt an?
Ja, natürlich. Einige Mitglieder gehören zu meiner Familie.
Tragen Sie deshalb immer einen Hut, der inzwischen fast so eine Art Markenzeichen ist?
Ach, nein. Der Hut ist mein Schutz. Irgendwann hatte ich mir diesen Hut gekauft. Und in dem Moment, da ich ihn aufgesetzt hatte, hat er mich bewahrt vor Nacktheit. Ich will nicht zu nackt vor den Menschen stehen. Ich fühle mich ja auch erst dann vollständig, wenn ich eine Kamera dabei habe. Die darf dann sogar ganz klein sein.
Wer lässt sich leichter fotografieren – Männer oder Frauen?
Ich weiß es nicht. Alle, die ich porträtieren durfte, waren besonders. Es gab keinen Unterschied. Und wenn, dann lag der in der Persönlichkeit und nicht darin, ob es Männer oder Frauen waren. Ich wollte ja auch keine Faktbilder. Klick und fertig, das stimmt für mich nicht.
Haben Sie sich deshalb für die Schwarz-weiß-fotografie entschieden?
Ja, für die Porträts habe ich die Frauen und Männer sogar gebeten, schwarze Kleidung anzuziehen. Ich wollte die Konzentration auf die Gesichter. Einige farbige Bilder ergänzen die zehn Porträts.
Welche nächsten Ziele haben Sie? Ich weiß es noch nicht. Ich habe den Kopf noch gar nicht frei und stecke in den Geschichten der Gemeindemitglieder drin. Die nächsten Schritte werde ich erst gehen können, wenn die Aufstellung hängt. Aber ganz sicher werden es keine Landschaften sein. Ich fotografiere immer Menschen. Ihre Gesichter und ihre Geschichten.
Wen würden Sie gern porträtierend fotografieren?
Ich habe durch dieses Jahr mit dem Stern verstanden, dass viele Menschen Geschichten in sich tragen. Kleine Dinge sind manchmal richtig groß. Ich habe Interesse an Menschen mit solchen Geschichten.
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Bis . . in der Kunsthalle Erfurt, Di-so - Uhr, Do - Uhr