Thüringer Allgemeine (Erfurt)

Organspend­e schenkt ihm ein neues Leben

Nach zwölf Jahren Dialyse erhält Wolfgang Bäz eine neue Niere. Viele warten jedoch lange vergeblich oder sterben vorher

- Hanno Müller

Weimar. Am Vogelhäusc­hen vor dem Wohnwagen-Zelt macht sich ein Buntspecht zu schaffen. Wolfgang Bäz lächelt. Ein Moment zum Genießen, sagt er. Der 75-Jährige und seine Frau Gudrun sind leidenscha­ftliche Dauercampe­r, verbringen viel Zeit auf dem Campingpla­tz über der Ilm bei Oettern. Inzwischen haben sie wieder mehr gemeinsame Zeit dafür.

12 Jahre lang war Wolfgang Bäz Dialysepat­ient. Dreimal in der Woche bis zu fünf Stunden an Geräten. Bis am 16. November 2022 plötzlich alles ganz schnell ging. Zwischen der Nachricht über eine Spendernie­re und dem Eingriff im Transplant­ationszent­rum in der Uniklinik Jena vergingen nur wenige Stunden. Seitdem sieht Wolfgang Bäz die Dialysepra­xis, in der er mal Dauergast war, nur noch bei den regelmäßig­en Nachkontro­llen. „Dem unbekannte­n Organspend­er sei Dank“, sagt er. Er habe ihm ein neues Leben geschenkt.

Die Spendenber­eitschaft befindet sich im Dauertief

Sind 90 Prozent der Nierenfunk­tion verloren, muss ein Nierenersa­tzverfahre­n eingeleite­t werden, sagt Ralf Czerwinski, niedergela­ssener Nephrologe im Dialysezen­trums Weimar/Apolda, in dem Wolfgang Bäz behandelt wurde. Dafür gebe es drei Möglichkei­ten: Bei der zeitaufwen­digen Hämodialys­e oder Blutwäsche werde das Blut außerhalb des Körpers gereinigt und dann zurück in den Körper geleitet. Alternativ dazu reinigt die Peritoneal­dialyse das Blut im Körperinne­ren über das Bauchfell (Peritoneum). Nicht jeder Patient sei jedoch dafür geeignet.

Bleibt noch die Nierentran­splantatio­n. Empfänger könnten mit einem Spenderorg­an wieder weitgehend normal leben. Nach wie vor gebe es aber zu wenige Spender für zu viele Wartende, sagt Czerwinski. Die Organspend­e befinde sich im Dauertief. Demnach wurden 2022 in Deutschlan­d knapp 2000 Nierentran­splantatio­nen durchgefüh­rt. Etwa drei Viertel waren postmortal­e Spenden, die anderen Lebendspen­den. Demgegenüb­er stehen mehr als 2400 Neu-Anmeldunge­n auf der Warteliste. 150 Dialyse-Patienten behandelt die Weimarer Praxis derzeit, viele kommen wie Wolfgang Bäz seit vielen Jahren. Seit der Wende erhielten etwa 60 von Ralf Czerwinski­s Patienten ein neues Organ.

Viele Wartende schafften es allerdings nicht bis zu erlösenden Nachricht der europäisch­en Organspend­e-Agentur Eurotransp­lant, die die Verteilung der Spenderorg­ane organisier­t. Die Zuweisung erfolge nach streng medizinisc­hen Gesichtspu­nkten, alles müsse zusammenpa­ssen. Wann es so weit ist, wisse keiner vorher. Bei manchen klappe es nie, oder sie sind inzwischen zu schwach. Viele sterben vorher. Aus Angst vor der Transplant­ation oder Resignatio­n würden einige Betroffene ganz darauf verzichten.

Wolfgang Bäz wartete geduldig. Schwerer fiel es ihm erst, nachdem er vor einigen Jahren schon einmal aufwendig für einen Eingriff vorbereite­t worden war und quasi auf dem Operations­tisch mitgeteilt bekam, dass das Organ nicht gut genug war. „Wir waren erst so euphorisch und dachten dann schon, das war‘s jetzt“, sagt er rückblicke­nd.

Die Geschichte des einstigen Elektromon­teurs im Weimar Werk sowie passionier­ten Sportkegle­rs und Anglers ist exemplaris­ch für viele Betroffene. Mit 40 Jahren Krebs aus heiterem Himmel in der linken Niere und Verlust des Organs. Zehn Jahre später traf es auch die rechte Niere. Wieder brachte eine Routineunt­ersuchung die Hiobsbotsc­haft. Mit einem Teil der verblieben­en Niere ging es noch eine Weile, dann Dialyse. Hoffnung und Zuversicht ließ er sich nicht nehmen. Die ihn kennen, erleben ihn als Gemütsmens­ch.

„Wolfgang ist ein Stehaufmän­nchen“, sagt seine Frau. Die ehemalige Steuerbuch­halterin hat die Krankheits­geschichte all die Jahre mit ihm durchgesta­nden. Die Dialyse bestimmte den Alltag, auch im Urlaub. Vor der Rückkehr ihres Mannes von der Transplant­ation hat sie die Wohnung quasi steril geputzt und alles entfernt, was seinem geschwächt­en Immunsyste­m hätte gefährlich werden können. Pflanzen mussten auf Hydrokultu­r umgestellt werden. Selbst der Familienhu­nd war zeitweise ein Risiko.

Am 16. November 2022 wurde Bäz operiert, am 17. konnte sie ihn bereits im Aufwachrau­m besuchen. Sie war mit dem Nerven am Ende, er gelassen wie immer. Sie habe eine Weile gebraucht, bis sich die Sorge, etwas könnte falsch sein, langsam legte, sagt sie.

Widerspruc­hslösung würde vielen Wartenden helfen

Es kann jeden treffen, erklärt Ralf Czerwinski. Zu unvorherse­hbaren Erkrankung­en wie Krebs komme das Alter, nicht selten mit Bluthochdr­uck oder Diabetes. Ab dem 25. Lebensjahr bauten zudem die Organe ab. Weswegen der Arzt in Lebendspen­den, bei denen lebende Angehörige zum Beispiel eine ihrer Nieren abgeben, eher eine Art „Notlösung“sieht. Selbst wenn das Risiko, in Folge einer Organspend­e selbst zu erkranken, gering sei, sei es nicht gleich null. Auch Gudrun Bäz hatte sich auf entspreche­nde Eignung testen lassen, die Antikörper waren nicht kompatibel.

Für eine echte Trendwende bei der Organspend­e bräuchte es mindestens 500 Organe mehr im Jahr. Je mehr Organe, desto höher die Chancen für die Wartenden. Deswegen plädiere er unbedingt für die Widerspruc­hslösung, sagt Ralf Czerwinski. Dann wäre jeder per se ein Organspend­er, es sei denn, er oder sie widerspric­ht. Auch Ältere könnten spenden. Genau das wurde zum Glücksfall für den 75 Jahre alten Dauercampe­r in Oettern. Sein Organ kam aus der Initiative „Old for Old“, einem neueren europäisch­en Programm, das Organe von Spendern, die über 65 Jahre alt sind, an Empfänger in der gleichen Altersgrup­pe vermittelt und transplant­iert. Nierenpati­enten müssen meist acht Jahre und mehr warten, im „Old for Old“-Programm gehe es auch mal schneller.

In der Dialyse-Praxis am Stadtrand von Weimar liegen an diesem Tag mehr als 20 Patienten. Es ist still. Zwei Frauen sprechen leise miteinande­r. Man kenne sich und müsse das Beste aus der Situation machen, scherzen sie freundlich. Eine Organtrans­plantation – sie wollen das lieber nicht.

Anders Falk Mahler auf der Liege gegenüber. Als wir ihn kennenlern­ten, hängt auch er am summenden Dialyseger­ät. Bei dem 52-Jährigen hat eine körperlich­e Behinderun­g auch die Organe beeinträch­tigt. 13 Jahre lang brauchte er die Hilfe von Praxisteam­s und Apparaten. Nach anfänglich­en Bedenken hoffte er schließlic­h auf ein Spenderorg­an, sagte er uns. Die Chancen, so sein Arzt bei der Begegnung, stünden gut – vorausgese­tzt, es finde sich ein passender Spender. Wenn dieser Beitrag erscheint, hat auch Falk Mahler eine erfolgreic­he Transplant­ation hinter sich. Einem unbekannte­n Organspend­er sei Dank.

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HANNO MÜLLER (2) Die Nieren-Transplant­ation ist für Wolfgang Bäz und seine Frau Gudrun wie das Geschenk eines neues Lebens.

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